Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 02.12.2021, 14:06   #1120  
Kain
Mitglied
 
Benutzerbild von Kain
 
Ort: Innsmouth
Beiträge: 2.350
Zitat:
Viele der größten Rassisten waren streng religiös, die nutzten das sogar noch für ihre Argumentationen. Man muss aber halt auch sehen, dass das schon 60 Jahre her ist, da sah die Welt noch ganz anders aus. Noch schlimmer bei Lovecraft, da gehörte das in gewissen Kreisen ja quasi zum "guten Ton". Nicht dass ich das gut heißen würde! Aber es waren nun mal andere Zeiten und damals wurde man dafür nicht an den Pranger gestellt, sondern vielleicht sogar noch geachtet.
Lovecraft hat sich allerdings so gut wie nicht öffentlich zu Rassenfragen geäußert*. Dass wir über seinen Rassismus bescheid wissen, ist hauptsächlich seiner ausufernden Korrespondenz geschuldet. Also eher privaten Äußerungen. Im Umgang mit anderen war er wohl immer höflich. Wohl nicht zuletzt um sein Bild als perfekter Gentleman aufrecht zu erhalten.

Das soll aber wohl auch dazu geführt haben, dass sich einige seiner Ansichten relativiert haben. Ich meine, dass Sprague de Camp in seiner Biographie speziell von Italienern sprach. Über die hatte er auch nichts gutes zu sagen. Bis er tatsächlich Menschen italienischer Abstammung kennengelernt hat.

Das zeigt ein gewisses Potential zu Veränderung. Ob er sich komplett hätte wandeln können, ist indes fraglich. Wenn es um Farbige geht, habe ich da gewisse Zweifel.

Lovecraft-Forscher Bobby Derie hat vor ein paar Tagen auf Twitter den Punkt aufgegriffen, dass wir nicht wissen, was Farbige (speziell Schwarze) Zeitgenossen Lovecrafts über ihn dachten. In William Stanley Braithwaite hatte Lovecraft einen afroamerikanischen Briefpartner. Diese Korrespondenz wurde aber wohl noch nicht erschöpfend gesichtet, da sie wohl auf mindestens vier verschiedene Einrichtungen verteilt ist.

Unter Lovecrafts Freunden waren auch einige, die seinen Ansichten vehement widersprochen haben. Darunter James F. Morton, einer seiner engsten Freunde.

Lovecraft hat sich in einem Brief an C. L. Moore vom Februar 1937 (also relativ kurz vor seinem Tod) andeutungsweise von seinen radikalen Ansichten distanziert. Er spricht es - und das darf man durchaus als Makel ansehen - aber nicht direkt aus:

Zitat:
Well—I can better understand the inert blindness & defiant ignorance of the reactionaries from having been one of them. I know how smugly ignorant I was ...

I managed to get through, after about 10 closely typed pages of egotistical reminiscences & showings-off & expressions of opinion about mankind & the universe. I did not faint—but I looked around for a 1924 photograph of myself to burn, spit on, or stick pins in! Holy Hades—was I that much of a dub at 33 ... only 13 years ago? There was no getting out of it—I really had thrown all that haughty, complacent, snonbish, self-centered, intolerant bull, & at a mature age when anybody but a perfect damned fool would have known better! That earlier illness had kept me in seclusion, limited my knowledge of the world, & given me something of the fatuous effusiveness of a belated adolescent when I finally was able to get out more around 1920, is hardly much of an excuse.
https://quotepark.com/quotes/1888488...lindness-defi/

Letztlich stellt sich die Frage, inwieweit Lovecrafts Schaffen anhand von Bemerkungen beurteilt werden sollte, die nie für die Öffentlichkeit bestimmt waren oder man nicht eher danach gehen sollte, wie er Menschen behandelt hat. Eine hundertprozentig richtige Antwort wird es hier aber wohl nicht geben.

* In seinem Werk kann der Rassismus in "The Horror at Red Hook" und diesem Gedicht natürlich nicht verhohlen werden. Bei den anderen Sachen in seinen Geschichten … würden viele wohl gar nicht daran denken, wenn sie nicht um die Aussagen aus seiner Korrespondenz wüssten.

HPLs Werk zu konsumieren und Gefallen daran zu finden, ist natürlich in Ordnung. Man sollte dabei aber nicht unter den Tisch fallen lassen, dass er in mancher Hinsicht problematisch war.
Kain ist offline   Mit Zitat antworten