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Alt 14.06.2016, 18:57   #51  
Servalan
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Standard Théophile Gautier: Le Roman de la momie / Der Roman der Mumie (1858)

Diverse Ausgabe, daunter Maxi-Poche, Classique Français 1995, 253 Seiten
https://beq.ebooksgratuits.com/vents/gautier-momie.pdf (Volltext bei der La Bibliothèque électronique du Québec)
https://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Roman_de_la_momie
http://www.mediterranees.net/romans/momie/sommaire.html

Das antike Ägypten findet eigentlich immer ein dankbares Publikum, und das schon seit geraumer Zeit. Allerdings verschiebt sich der Schwerpunkt, so daß mal historisch belegte Fakten im Vordergrund stehen (siehe Jan Assmann), mal eher eine esoterische Wunschvorstellung (ich verweise auf das Buch von E.W. Hornung: Das esoterische Ägypten). Dem Alter der gewünschten Leserschaft läßt sich das Ambiente anreichern, Erotik für Erwachsene oder Hinweise auf das Alte Testament für Bibelfeste. Und seit C.W. Cerams Sachbuch-Klassiker und Bestseller Götter, Gräber und Gelehrte läßt sich die Vorgeschichte der Ägyptologie als fesselnde Abenteuergeschichte von Glücksrittern, Schatzsuchern und Gläubigen nachlesen.

Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es Gautier, möglichst viele Aspekte des Themas unter einen Hut zu bringen. Bei dieser Rubrik geht es mir auch darum, effektiv möglichst viele Schreibstile kennenzulernen und einen groben Überblick über die Epochen der Literaturgeschichte zu vermitteln.
Gautier drängt sich regelrecht auf, weil sein Roman in drei Teile zerfällt, die unterschiedliche Genres repräsentieren.

Der Einstieg erfolgt über einen Prolog, in dem erzählt wird, wie die Mumie nach 3500 Jahren wieder ans Tageslicht gekommen ist: Der englische Lord Evandale und der deutsche Ägyptologe Dr. Rumphius sind an den Nil gereist wie die späteren Entdecker des Grabes von Pharao Tut-Ankh-Amun.
Als Führer heuern sie den zwielichtigen Griechen Argyropoulos an, der sie ins Tal der Könige bringen soll. Nach langen Anstrengungen werden sie (natürlich) in einer Pyramide fündig, doch zu ihrer Überraschung liegt darin kein Pharao sondern die schöne Hofdame Tahoser.

Der zweite Teil schildert nun das Leben Tahosers in Theben, die das ganz große Los gezogen zu haben scheint: Der Pharao verliebt sich in die Tochter des Hohepriesters Pétamounoph. Aber die liebt den wesentlich älteren Juden Poëri, der Rachel versprochen worden ist. Unter dem Decknamen Hora schleicht sie sich heimlich ins jüdische Viertel und lernt die Not dort kennen.

Im dritten Teil geht sie auf die Avancen des Pharaos ein, um den jüdischen Sklaven zu helfen. Der Pharao weigert sich, wofür er mit den sieben Plagen bestraft wird. Moses bleibt hartnäckig, und bald darauf brechen die Juden zur Flucht auf ...

Gautier hat auf seinen Reisen Ausgrabungen aus der Antike besucht und ist mit dem Forschungsstand seiner Zeitgenossen vertraut. Gerade die Brüche machen seinen Roman heute noch interessant: Die Rahmenerzählung gleicht einem Indiana Jones-Abenteuer aus der Hand von Jules Verne, dann öffnet er ein breites gesellschaftliches Panorama wie in einer historischen Serie ... und zum Schluß läßt er die Vorgeschichte des Exodus lebendig werden.
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