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Alt 01.12.2009, 14:22   #749  
michidiers
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Feuer



Von Lorenzo Mattotti

Inhalt:

Ende des 18.Jahrhunderts soll die Mannschaft des Panzerkreuzers „Absinth“ den Untergang mehrerer Handelsschiffe vor der geheimnisvollen Südseeinsel „Sankt Agatha“ aufklären. Einer der Marinesoldaten, Leutnant Anselm erliegt dem Zauber der mystisch-rätselhaften Insel, ihrer Farbenpracht und zauberhaften Bewohnern. Er desertiert. Als der Befehl zur Zerstörung der Insel gegeben wird, trifft Anselm eine folgenschwere Entscheidung…

Meine Meinung:

Erklärt wird wenig in diesem auf dem ersten Blick seltsamen Comic. Text ist kaum vorhanden. Dieses Werk drückt sich überwiegend über seine Farbenwucht aus. Mattotti orientiert sich in seinem Stil stark an die deutschen Expressionisten des angehenden 20. Jahrhunderts, die sich revolutionär über ihre verzerrten Farbenspiele ausgedrückt haben, um die Seele Ihrer Werke und damit die Gefühle der Künstler und der Betrachter direkt anzusprechen. Und das ist nach meinem eigenen Empfinden auch durchaus gelungen. Die bunte Insel, der graue Panzerkreuzer als Gegenpol, alles hat seine eigene Bedeutung und spricht mithin Gefühle beim Betrachter an, die man sich kaum entziehen kann. Die wohlige Schönheit der Insel lässt einen förmlich zu träumen beginnen, um kurz darauf auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Das ist fast, wie mit seinem sonnengewärmten Körper ins kalte Wasserbecken zu springen.

Sogar die Namen der Protagonisten sind nach meiner Auffassung passend gewählt. Der Leutnant hat mit „Anselm“ einen urdeutschen Namen. Diesen hat Mattotti sicherlich bewusst gewählt, denn gerade unsere deutsche wilhelminische Gesellschaft in Ihrer Zerrrüttung ist angesprochen. Und der sperrige Panzerkreuzer mit den Namen „Absinth“, welches aus der griechischen Lehre heraus in der deutschen Sprache auch „Widerwillen der Würmer“ bedeuten kann. Wobei Absinth dabei früher zur Vernichtung der Würmer im Darm genutzt wurde, um Ungeziefer daraus zu vertreiben. Er zeigt aber auch klar einen bevorstehenden Verfall der Kolonialherrschaft einer industrialisierten Macht auf.

Sogar die zunächst verwirrende letzte Seite der Geschichte ergibt einen Sinn, wenn die einige Schlüsse gezogen werden. Denn der deutet auf den Antrieb und die Inspiration von Klee, Kandinski, Pechstein und Co. hin, der erst den Expressionismus in Deutschland so erwachen lassen konnte. Vielleicht war/wurde Anselm gar ein Blauer Reiter?

Ob ich bei meiner Amateurdeutung hier richtig liege? Keine Ahnung. Vielleicht hat es ja schon einer einmal gelesen und kann dazu etwas schreiben. Denn als ich mich näher damit beschäftigte, sah ich verblüfft, dass es tatsächlich den 38. Platz in der Speed Liste der besten Comics aller Zeiten belegte. Was die Meinung einiger Verfechter der Comics als ernstzunehmendes Kunstmedium ist, muss allerdings noch längst nicht die der zahlenden Kunden sein. Dieses Comic, ich hatte vorher nie davon gehört, hat mein Neffe mir geliehen. Dem wiederum wurde es in einem Hamburger Comicshop als Ladenhüter neu für 5 Euro hinterhergeschmissen. Für den Carlsen Verlag (20 €) wirtschaftlich sicherlich desaströs. Kunst muss nicht teuer sein, wenn sie keiner kauft...

Geändert von michidiers (01.12.2009 um 14:48 Uhr)
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