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Alt 10.04.2022, 17:08   #135  
Servalan
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Standard Erfolg ist nicht alles

Stefan Zweig war nach Thomas Mann der populärste deutschsprachige Schriftsteller seiner Zeit und wurde quer über den Globus gelesen. Nach dem sogenannten Anschluß wurde der erklärte Pazifist 1934 denunziert, woraufhin sein Haus durchsucht wurde. Zweig reiste mit dem Zug nach London und nahm die britische Staatsbürgerschaft an. Über New York, Argentinien und Paraguay gelangte er 1940 nach Brasilien, das von dem antisemitischen Diktator Getúlio Vargas regiert wurde. Weil Zweig ein lobendes Buch über Brasilien verfaßte, erhielt er ein Dauervisum.

Vor kurzem lief der biographische Spielfilm Vor der Morgenröte (Deutschland / Frankreich / Österreich 2016), Regie: Maria Schrader, im Fernsehen und war in der Mediathek abrufbar. Der österreichische Kabarettist, Regisseur und Schauspieler Josef Hader - er verkörperte den Simon Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen von Wolfgang Murnberger - stellt Stefan Zweig im Exil sehr sachlich und zurückhaltend dar.
Wegen seines finanziellen Erfolges und seiner zahlreichen Kontakte zählte er einerseits zu den privilegierten Flüchtlingen. Andererseits wandten sich zahlreiche Bekannte in Not an ihn, darunter auch alte Rivalen. Um ihnen diese Hilfe zukommen zu lassen, mußte sich Zweig zu Gegenleistungen für seine Unterstützer verpflichten, meist waren das Lesungen, Vorträge oder Feste, auf denen mit seiner Anwesenheit gerechnet wurde. Der Film zeichnet diese Zerrissenheit im Exil in sechs Episoden zwischen 1936 und dem Doppelsebstmord des Ehepaars Zweig 1942 in vier Episoden sowie einem Prolog und einem Epilog nach.

Eine bittere Ironie der Geschichte ist, wie ich finde, die Tatsache, daß er heutzutage für sein letztes zu Lebzeiten erschienenes Werk berühmt ist: Aus Zweigs Sicht war die Schachnovelle zu lang für einen Zeitungsartikel und zu kurz für einen Roman, eine ungeliebte Veröffentlichung aus purer Not. Heute ist sie Schullektüre.

Geändert von Servalan (11.07.2022 um 15:41 Uhr)
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