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Alt 28.05.2020, 20:10   #81  
Peter L. Opmann
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Die Rächer # 4
Williams, April 1974 ("Avengers" # 4, März 1964)



Dieses Heft gehörte ursprünglich einem Freund von mir. Aber ich war davon begeistert, ihm lag weniger daran. Ob ich es ihm abgekauft oder eingetauscht oder mir einfach unter den Nagel gerissen habe, weiß ich nicht mehr. Es müßte etwa 1975/76 gewesen sein. Den Rest dieses Absatzes sollten Sammler vielleicht lieber überspringen. Das Heft war in recht gutem Zustand, aber mein Freund hatte seinen Namen mit Kuli groß rechts oben an den Rand geschrieben. Also habe ich ein Stück weißes Papier drübergeklebt. Ich finde, ich habe das ziemlich sorgfältig gemacht; auch ein Stück des Titelschriftzugs habe ich ergänzt. Immerhin war ich damals erst zehn oder elf Jahre alt.

Noch heute hat diese Episode für mich einige starke Momente. Dabei fällt mir erst jetzt auf, daß sich die Story eigentlich im Leerlauf dreht. Die Rächer wollen den Hulk unschädlich machen und müssen ihn dazu erstmal finden – in diesem Heft taucht er praktisch nicht auf. Da er sich aber mit dem Submariner verbündet hat, müssen sie sich nun mit dem herumschlagen. Zwischendurch bekommen es die Rächer noch mit einem Außerirdischen zu tun, der auf der Erde gestrandet ist und die Fähigkeit hat, Menschen zu versteinern. Hinzu kommt aber die „Wiederauferstehung“ von Captain America, der gleich bei allen einen tiefen Eindruck hinterläßt. Das ist eine reichlich zusammengestückelte Handlung, wie oft bei Stan Lee mit großer Anstrengung verleimt, aber das stört nicht.

Aquarius flieht vor den Rächern ins Meer und taucht erst in der Polarregion wieder auf. Hier stößt er auf Eskimos, die eine ins Eis eingefrorene Gestalt anbeten. Namor gerät in Wut und schmeißt die Eisstatue ins Wasser, wo sie zu tauen beginnt. Dann kommt sie ausgerechnet den Rächern ins Blickfeld, die mit einem U-Boot nach dem Hulk (!) suchen. Was der wohl im Nordmeer und im Wasser verloren haben könnte? Aber es geht ja nur darum, daß sie die vereiste Gestalt ins U-Boot holen. Zuerst ist die ein großes Rätsel, dann erkennt die Wespe das Superheldenkostüm, das unter einer zerschlissenen Militäruniform hervorblitzt. Es ist ein Held, den jeder kennt, aber an den schon lange niemand mehr gedacht hat: Captain America.

Ich konnte natürlich um 1975 von der langen Vorgeschichte von Captain America nichts wissen. Aber der Mythos, der ihn umweht, teilte sich doch auch mir mit. Zwar wird schon auf dem Splashpanel auf die Besonderheiten hingewiesen, aber Begriffe wie "Golden Age" sagten mir damals rein gar nichts. Auch mit dem Namen Jack Kirby verband ich vorerst nicht sehr viel.

Eben aufgetaut, ist Cap gleich wieder putzmunter und mischt die vier Rächer im Handumdrehen auf. Dennoch wollen sie nicht glauben, daß er es tatsächlich ist, aber Cap überzeugt sie mit seinem unnachahmlichen Kampfstil. Ihm fällt auch sofort ein, wie er in den Eisblock gekommen ist: Im Zweiten Weltkrieg versuchte er mit seinem Sidekick Bucky, ein Bombenflugzeug aufzuhalten, das die Nazis klauen wollten. Der Bomber explodierte in der Luft, was sicher nicht bezweckt war – Bucky starb, und Captain America stürzte ins Meer und wurde dort in einen Eiswürfel verwandelt. So überdauerte er 20 Jahre tiefgefroren (in Deutschland war der Krieg damals schon 30 Jahre her). Der Traum von Walt Disney: jahrzehntelang im Eis konserviert sein und dann wieder zum Leben erwachen. Auf etwa zwei Seiten wird gezeigt, wie sich Cap in einer Welt zurechtzufinden versucht, die sich 20 Jahre weitergedreht hat – für mich immer noch ein bewegender Abschnitt des Comics.

In New York meint Cap, Bucky wiederzuerkennen. Es ist aber Rick Jones, hartnäckigstes Superhelden-Groupie dieser Zeit. Er will mit Hilfe von Cap die Rächer wiederfinden. Die sind aber nicht verschwunden, sondern nur in Statuen verwandelt worden. (Cap blieb verschont, weil er das U-Boot später verließ als seine Kumpels.) Cap und Rick entdecken auf einem Foto einen Fotografen mit einer merkwürdigen Kamera. Der stellt sich kurz darauf als Alien heraus, der die Rächer mit seinem Apparat versteinert hat. Cap findet ihn, umgeben von New Yorker Gangstern, sorgt für Ordnung und reißt ihm die Maske vom Kopf. Der Außerirdische erzählt ihm, sein Raumschiff sei schon vor langer Zeit ins Meer gestürzt, und er habe Hilfe gesucht, um es wieder flottzubekommen. Dabei begründete er nebenbei den Mythos der Medusa. Nun habe ihm der Submariner versprochen, ihm zu helfen, wenn er die Rächer versteinere. Cap macht ihm klar, daß ihm die Rächer viel besser weiterhelfen können. Thors Uruhammer bringt das Raumschiff tatsächlich mit Magnetkraft an die Meeresoberfläche, und der Außerirdische fliegt – vermutlich beglückt – davon. Nun taucht der Submariner, begleitet von seiner Armee, wieder auf, um die Rächer höchstselbst zu erledigen. Sechs Seiten Schlachtgetümmel, das schließlich, wie üblich, unentschieden endet. Namor tritt den Rückzug an. Captain America wird feierlich in die Reihen der Rächer aufgenommen, und dann geht die Suche nach dem Hulk weiter.

Wenn dies nicht das Comeback von Cap wäre, dann würde die Story ziemlich wirr und unlogisch erscheinen. Aber sein Auftritt ist beeindruckend und zudem ziemlich originell gelungen. Ich habe den Band gern wieder mal zur Hand genommen. Allerdings gibt es doch ein paar Minuspunkte: Wie schon erwähnt, ist der Druck wie bei der # 3 mangelhaft. Immerhin gibt es nicht wieder so starke Farbverschiebungen. Dafür beginnt nun der Kampf der Helden gegen ihre eigenen Sprechblasen. In fast jedem Panel sind sie so vergrößert, daß wesentliche Teile der Bilder verloren gehen. Als Übersetzer ist erstmals Behrend de Cuvry angegeben, der offenbar nicht darauf achtete, ob sein Text in die Blasen paßt. Häufig wird auch das Inking von George Roussos bemängelt (der bei Williams in den Credits nicht angegeben ist), aber ich finde seinen sehr expressiven Stil zumindest hier nicht schlecht. Allerdings muß man einen Blick in den Marvel-Klassik-Band werfen, um ihn angemessen bewundern zu können. Etwas habe ich dagegen am Cover auszusetzen: Wo eigentlich der Submariner zu sehen ist, wurde ein Bild von Captain Marvel, der Zweitserie, eingefügt. Wir sehen aber den neuen Captain Marvel, so daß ich als junger Leser annahm, es handele sich eventuell um Captain America ohne Maske.

Geändert von Peter L. Opmann (28.05.2020 um 20:27 Uhr)
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