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Alt 13.12.2015, 15:32   #45  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Klein, aber fein: Zines

Bei all der Begeisterung für die (neuen ?) digitalen Formate darf eines nicht übersehen werden: Technisch beschränkt sich der Handel auf einen höchst individualisierten Zugang (Access), also muß das Publikum das Buch ausdrücklich anfordern. Und selbst dann besteht die Gefahr, daß der Vertriebspartner plötzlich den Access unterbindet und die Datei löscht.
Als Amazon 2009 ohne Vorwarnung George Orwells 1984 vom Kindle löschte, rauschte es im Blätterwald und Jeff Bezos mußte sich entschuldigen.

Durch diese rechtliche Zwangslage, bei der das Publikum noch nicht einmal Sicherheitskopien für den eigenen Gebrauch anfertigen darf, verlieren vor allem nicht-etablierte Autorinnen und Autoren klassische Möglichkeiten, bekannt zu werden:
Verliehene Bücher kommen in den seltensten Fällen zurück.
Außerdem können Exemplare verschenkt, gespendet, vererbt oder irgendwo vergessen werden (Buchtauschringe).
Für eBooks gibt es bestenfalls eine Art lebenslanges Leasing.

Im angelsächsischen Bereich floriert eine bunte Zine-Kultur: Lose erscheinende Zeitschriften, Künstlerbücher und Magazine in winziger Auflage bilden einen Grauen Markt, teilweise unter dem Radar des etablierten Marktes. Ein Privatdruck kann so als Visitenkarte fungieren und zum Beispiel anderen Leuten in der Literaturbranche zeigen, daß jemand sein Handwerk versteht. Wenn das Konzept überzeugt, findet sich womöglich ein Mäzen oder Sponsor.

Beiträge für Zines lassen sich innerhalb einer Community tauschen, so daß ein weiteres Erscheinen gesichert werden kann. Zu den unschlagbaren Vorteilen der marginalen Werke gehört der Papiercharakter: sie können signiert werden, zum Beispiel bei Lesungen oder Workshops. Wenn eine Gruppe gemeinsam eines oder mehrere Zines hergestellt, kann das Ereignis für ein Event genutzt werden und als kleines Festival oder im Beiprogramm einer größeren Veranstaltung (wie zum Beispiel Ladyfest oder Konzerte) eine Bühne bieten.

Wer Englisch kann, findet etliche Ratgeber für diese kleine Nische:
  • Aimee Cliff: "How To Make A Zine For The Internet Age", in: The Fader (2015)
  • Patrick Ilagan: "7 Reasons Why You Should Make A Zine", in: ucreative (2015)
  • Emma Dajska: "How to Make a Zine. Zine-making isn’t about rules or knowledge; it’s about freedom and POWER", in: RookieMag (2012)
  • Corinna Kirsch: "What You Need to Know about Comics and Zine Self-Publishing", in: The L Magazine (2012)
  • ZineWiki: http://zinewiki.com/Zine
Siehe auch:
  • Jens Neumann (Hg.): Fanzines. Wissenschaftliche Betrachtungen zum Thema, Ventil Verlag 1997
  • Jens Neumann (Hg.): Fanzines 2. Noch wissenschaftlichere Betrachtungen zum Medium der Subkulturen, Ventil Verlag 1999
Wenn alles geklappt hat, können sich Zines wie (gutartige) Viren verbreiten.
Viel Spaß!
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