Thema: Filmklassiker
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Alt 02.09.2023, 09:57   #1532  
Peter L. Opmann
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Wenn ich nun meine alten Videos durchgehe, wird dabei das Thema „Original und Remake“ ins Blickfeld kommen. Ich habe damals versucht, Filme und spätere Remakes zusammen auf eine Cassette zu bekommen. War nicht ganz einfach, weil ich ja warten mußte, bis ein bestimmter Film im Fernsehen kam, aber es hat doch einige Male geklappt. Ein paarmal habe ich sogar drei Filme zur selben Vorlage hintereinander aufnehmen können. Laut Manfred Hobschs Remake-Führer „Mach’s noch einmal“ zählt „Three Godfathers“ zu den am häufigsten verfilmten Westernstoffen. Am bekanntesten ist wohl John Fords Version von 1948 mit John Wayne. Ich habe aber mit einer Aufnahme von „Helden aus der Hölle“ (1936) von Richard Boleslawski angefangen. Und es gibt noch einige frühere Versionen: Stummfilme von 1909, 1916 und 1920 (letzterer auch schon von John Ford) und ein Film von 1929, nämlich William Wylers erster Tonfilm. Ich habe den Film von Boleslawski, den von Ford und ein spätes Remake von John Badham von 1974 auf meiner Cassette. Beginnen wir mit Boleslawski.

Bekanntlich war „Stagecoach“ von 1939 der Western, der dem Genre wieder Anerkennung verschaffte. Es gab aber auch vorher einzelne Filme, die über Revolverknallerei und ähnliche dumme Klischees der Western-Serials hinausgingen. Dazu gehört sicher dieser. Die Story dürfte bekannt sein: Drei Bankräuber fliehen in die Wüste und stoßen dort auf einen Planwagen. Ein junges Paar, das damit unterwegs war, ist tot, ihr Baby aber noch am Leben. Jetzt geht es den Gangstern nicht mehr darum, ihre Beute in Sicherheit zu bringen, sondern das Kind am Leben zu erhalten. Zwei von ihnen kommen dabei um, der dritte kehrt am Weihnachtstag in die Stadt zurück und übergibt das Baby den anständigen Bürgern.

Der Pole Boleslawski, der seit 1918 in Europa und dann in Hollywood Filme gedreht, aber auch Theatererfahrung hatte (er war Gründer eines Vorläufers des Actors Studio), inszeniert diese einfache Geschichte überzeugend, indem er sich auf den Sinneswandel der drei Verbrecher konzentriert. Die Akteure sind Chester Morris (in den 1930er Jahren ein namhafter Gangsterdarsteller), Lewis Stone und Walter Brennan (der wohl als einziger Mitwirkender eine langandauernde Karriere hatte). Stone, der sich „Doc“ nennt und einen Stapel Bücher, unter anderem von John Milton, Shakespeare und Schopenhauer, mit sich herumschleppt, zeigt als erster Menschlichkeit. Brennan, ein ungebildeter Cowboy, wird von ihm beeinflußt und nimmt sich nach Docs Tod des Kindes an, überlebt den Wüstenmarsch aber ebenfalls nicht. Morris, der vor dem Banküberfall von seiner Jugendliebe (Irene Hervey) zurückgewiesen wurde, weil sie erkannt hatte, daß er ein schlechter Mensch ist, weigert sich bis zum Schluß, sich mit dem Baby abzugeben, trinkt aber schließlich Wasser aus einer vergifteten Quelle, weil er so eine Chance hat, die Stadt („New Jerusalem“) zu erreichen. Als er das Kind in die Kirche gebracht hat, bricht auch er tot zusammen.

Mit den „three godfathers“ sind die heiligen drei Könige gemeint, die dem neugeborenen Jesus huldigen. Wenn ich mal annehme, daß einige Italowestern wie „Leichen pflastern seinen Weg“ die zynischsten Genrevertreter sind, dann befindet sich „Three Godfathers“ genau am anderen Ende der Skala – ein absolut moralischer, sozusagen erbaulicher Film, der sich hervorragend als Weihnachtsfilm eignet. Wenn man dafür keinen Draht hat, dann ist der Boleslawski-Film immer noch formal interessant. Er beginnt ganz harmlos: Die drei Männer werden in der Stadt gastfreundlich und arglos aufgenommen; nur Hervey gibt zu verstehen, daß Morris eine böse Seite hat. Der Bankraub geschieht dennoch ziemlich überraschend. Und dann ändert sich die Stimmung noch einmal, als die Bankräuber nach und nach merken, daß ihr Wüstentrip ihren Tod bedeuten könnte.

Boleslawski verwendet häufig Großaufnahmen ihrer Gesichter, damit ihre wechselnden Gemütszustände ganz deutlich werden. Wie um sich von den Serials abzusetzen, reduziert er die Action auf das Notwendigste und konfrontiert sie stattdessen in langen, ruhigen Szenen in der Wüste mit den Grundfragen ihrer Existenz. So „fromme“ Western wurden später wohl kaum noch gedreht, aber die Machart dieses Films kann sich in meinen Augen mit den besten Beispielen des „adult western“ der 50er Jahre durchaus messen.

Kurios finde ich, daß Boleslawski ein Jahr nach der Arbeit an diesem Film auf ähnliche Weise starb, wie er es hier zeigte: Bei Dreharbeiten trank er verdorbenes Wasser aus einer Quelle. So geschwächt, erlag er kurz darauf einem Herzanfall.
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