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Alt 01.07.2020, 22:20   #214  
Peter L. Opmann
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Die Rächer # 12
Williams, Dezember 1974 ("Avengers" # 13, Februar 1965)



Kein Zweifel, das ist eine der schlechtesten „Rächer“-Episoden, die ich kenne. Ihr Kampf gegen einen aufgeblasenen Gangsterboß aus Europa und seine unfähige Bande ist ihrer einfach nicht würdig. Aber die Story hat doch einen ganz interessanten Subtext, der die Lektüre etwas erträglicher macht. Grafisch überzeugt mal wieder nur das Cover von Jack Kirby, der sich aber offensichtlich mit Don Heck nicht abgesprochen hat, wie der ominöse Graf Nefaria eigentlich aussieht.

Dieser Graf wohnt irgendwo in Europa stilecht in einem Schloß, dirigiert aber von dort aus eine Ansammlung von Spitzbuben in New York, die etwa mit dem Diebstahl von Pelzen beschäftigt sind. Die Untat ruft dennoch die Rächer auf den Plan, die die Gangster im Handumdrehen bei der Polizei abliefern. Nefaria kocht vor Wut, statuiert zuerst ein Exempel an dem verantwortlichen Ganoven in NY und zieht dann mit seinem Schloß kurzerhand an die amerikanische Ostküste, um die Rächer zur Strecke zu bringen. Er inszeniert sich als stinkreiche Celebrity, lockt damit die Rächer an und betäubt sie durch seltsame Lichtstrahlen. Dann schafft er durch Stan-Lee-Technik Kopien von ihnen, die ihm gehorchen und sich daranmachen, die USA zu unterjochen. Das Militär ist darüber nicht amüsiert, und die Rächer landen erstmal auf Steckbriefen: „Gesucht tot oder lebendig!“

Die Teen-Brigade wittert zwar, daß da etwas nicht stimmt, und dringt ins Schloß ein. Aber Nefarias Männer überwältigen die Jungs. Der Graf läßt indessen die echten Rächer frei, die sich wundern, daß sie von Armeeeinheiten angegriffen werden. Ameisenmann und die Wespe wetzen zu einem Kiosk und erfahren, daß die Rächer angeblich die USA bedrohen. Diese Falschinformation hat bereits Folgen. Ein Pentagon-Vertreter sucht die Fantastischen Vier auf und erklärt ihnen, daß sie in „Schutzhaft“ genommen werden (so heißt es da wirklich), weil die Bürger so wütend auf alle Superhelden sind, daß sie um ihr Leben fürchten müssen. Inzwischen ruft Rick Jones, der Anführer der Teen-Brigade, mit einem Funkgerät die Rächer zu Hilfe. Sie befreien die Jugendlichen, und während Nefaria noch einmal Captain America paralysiert, machen ihn die übrigen Rächer mit einem schnellen Vorstoß unschädlich. Was wohl als Pointe gedacht war: Am Ende wimmert Nefaria ebenso um Gnade wie zuvor sein New Yorker Gangster-Unterboß, an dem er Rache geübt hat (Asyl bekommt er aber keins). Erstmals endet ein Rächer-Abenteuer mit einem richtigen Cliffhanger: Die Wespe ist im Kampf angeschossen worden und bewußtlos. Der Gigant erkennt sofort, daß sie sich an der Schwelle des Todes befindet…

Nefaria unterscheidet sich funktionell kaum von Kang – beide setzen überlegene Technik gegen die Rächer ein, wenn auch erfolglos. Jack Kirby macht das auf dem Cover ganz deutlich. Um die Figur etwas zu variiieren, wird er zu einem europäischen Adligen (wohl kein Deutscher, aber woher er kommt, bleibt unklar). Wir sehen: Europäer meinen fälschlich, sie seien den Amerikanern überlegen; sie sind dekadent und haben keinen Charakter. Nefaria als Gangsterboß fand ich anfangs denkbar unpassend – die Spinne oder der Dämon kämpfen gegen Gangster, aber doch nicht die Rächer! Ich dachte, daß vielleicht zu dieser Zeit die Mafia noch als rein europäisches Phänomen gesehen wurde, was aber nicht sein kann. Spätestens in der Prohibitionszeit müssen die US-Büger gesehen haben, was in ihrem eigenen Land los ist. Wahrscheinlich sorgen die Gangster einfach für die nötige Action, denn Rächer, die nur gegen geheimnisvolle Lichtstrahlen kämpfen und sich nicht prügeln, bieten wohl nicht genug Action.

Das Interessanteste an dem Heft ist aber für mich der Aspekt, daß Superhelden eine Bedrohung für die normale Bevölkerung sein können und die Regierung eingreifen muß, um dieses Problem zu lösen. Dieser Gedanke, den Stan Lee hier nur anreißt, wurde später in „Watchmen“ oder auch „Die Unglaublichen“ viel detaillierter und auch konsequenter durchgespielt. Vielleicht war dies das erste Mal, daß dieses Motiv bei Marvel vorkam. Ich weiß nicht, ob es Ähnliches auch bei DC so früh einmal gab, aber ich schätze, daß die Sache bei Marvel jedenfalls ein bißchen realistischer gestaltet wurde.

Zu den Zeichnungen von Don Heck und Dick Ayers kann ich nur sagen, daß sie höchstens hin und wieder überzeugen.
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