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Alt 15.07.2018, 17:13   #238  
Peter L. Opmann
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So, hier mein Fazit des Stan Lee/Steve Ditko-Runs:

Als Kind habe ich keine Zeichenstile verglichen. Mir wäre nie in den Sinn gekommen zu fragen, ob Steve Ditko besser war oder die Zeichner, die nach ihm kamen. Aber die Williams-Marvels waren vor 1980 die einzigen Comics, in denen Autoren und Zeichner so augenfällig angegeben waren. Es wurde ja ein Kult daraus gemacht. Und mir fiel irgendwann, schon als Jugendlichem, auf, daß die verschiedenen Marvel-Zeichner jeweils ihre eigenen Kennzeichen hatten, etwa Hand-Haltungen, Posen, Faltenwürfe, Arten von Gesichtern. Das half mir, selbst Zeichner zu werden; ich lernte, wie man solche Dinge im Comicstil zeichnet. Der eigenwilligste Stil war der von Jack Kirby, aber ähnlich fiel mir auch Ditko auf.

Wie schon erwähnt, ist Ditkos großes Verdienst, daß er die Spinne mit ihrem drahtigen Körper, ihrer Akrobatik und dem aus dem Rahmen fallenden Kostüm (der Maske mit den leeren Riesenaugen) entwarf. Er hat nach dem Debüt in „Amazing Fantasy“ noch Details hinzugefügt, aber er mußte das endgültige Erscheinungsbild der Figur nicht erst über mehrere Ausgaben hinweg finden. Bei Jack Kirby dagegen haben sich Figuren im Lauf der Zeit manchmal sehr verändert (etwa Ding von den FV).

Ditko war aber ein Zeichner aus den 1950er Jahren. Er hatte bei „Amazing Spider-Man“ wohl das Pech, daß sich die Mode Mitte der 1960er Jahre ziemlich wandelte, er aber nur mühsam und schleppend darauf einging. Peter Parker war zu Beginn ein überzeugender Teenager, schon um Ausgabe # 25 aber nicht mehr. Erst zum Ende hin hat Ditko ihn etwas lässiger gemacht. Mit Jugendkultur hatte er sicher nicht viel Berührung. Es wäre aber wirklich visionär gewesen, wenn Ditko ihm schon 1965/66 lange Haare und Schlabberlook verpaßt hätte. Sehr gut gefallen mir Ditkos Splash-Pages. Die sind ein Markenzeichen von ihm und sind immer sowohl grafisch ansprechend als auch dekorativ. Seine Cover sind dagegen mal gut, mal weniger.

Ditkos Storytelling finde auch ich nicht so gut. Ich möchte behaupten, Stan Lee hätte das besser hingekriegt, wenn er Zeit gehabt hätte, die Episoden richtig zu schreiben und nicht nur zu texten. Anfangs richtet sich die Serie noch an jüngere Leser, ich würde sagen: Zwölfjährige. Auf sie sind die Storys zugeschnitten. Sie sind nicht sehr intelligent gemacht, aber das war wohl Absicht. Man muß „Spider-Man“ zugute halten, daß das Privatleben des Helden eine so große Rolle spielt wie in keiner anderen Marvelserie damals. Aber ich vermute, das war Stan Lees Idee. Ditko kann wohl damit nicht allzu viel anfangen, denn er läßt Peters Beziehungen – zu Betty, zu Liz, zu seiner Tante, zu Flash, zu Jameson – mal in die eine Richtung, mal in eine andere gehen. Manchmal haben diese Figuren eindrucksvolle Auftritte, aber Ditko verfolgt das meistens nicht weiter. Er hatte wohl die Vorgabe, daß sie alle möglichst immer wieder vorkommen mußten, und er ließ sie irgendwie vorkommen, ohne sich gründliche Gedanken darüber zu machen. Meistens waren ja auch die Hefte in sich abgeschlossen; das behinderte die planvolle Entwicklung der Handlung.

Die Gegenspieler: ich stimme zu, daß Doc Ock der eindrucksvollste unter ihnen ist, aber er ist in meinen Augen auch später noch ein Schurke der Spitzenklasse. Ock zog bei Tante May ein, und er verschuldete den Tod von Captain Stacy. Häufig waren die Superschurken in „Spider-Man“ zu Ditkos Zeiten aber tatsächlich nicht so aufsehenerregend. Er hatte eher einen Hang zu verrückten – oder verantwortungslosen – Wissenschaftlern und zu Verbrecherkönigen. Aber ihm ist weder eine Figur wie der verrückte Denker noch jemand wie Kingpin eingefallen. Ich glaube, er dachte wohl, Spider-Man ist ein so ungewöhnlicher Superheld, daß er keine Superschurken braucht. Aber auch hier gilt: Der Held gewinnt Kontur durch die Qualität seiner Gegenspieler.

Seltsam irgendwie: Ich hatte jetzt beim chronologischen Lesen den Eindruck, daß die Qualität der Ditko-Ausgaben sehr schwankt. Ich möchte jetzt zwar keine Favoritenliste aufstellen, aber ich sehe Williams-„Spinne“ # 33 und 34, 25, 13 und 14, 17, 20, 26 und von den frühen Ausgaben die # 8 als die wohl besten an. Dazwischen gibt es auch einige sehr schwache Episoden. Ditko gelingt es einfach nicht, der Serie richtige Kontinuität zu geben (nehmen wir mal an, daß er wirklich immer auch geplottet hat). Man ist versucht zu sagen: Er kann es doch, warum also die Durchhänger? Vielleicht hat es mit seiner Arbeitsweise zu tun – vielleicht hat er „Spider-Man“ mal mehr und mal weniger Priorität gegeben. Kirby dagegen hat sich in die Serien, die er gerade betreut hat, immer voll reingehängt. Aber vielleicht war es auch ganz anders…

Mir fällt gerade noch ein, daß Reinhold Reitberger Ditko zusammen mit Stan Lee im Comics-Handbuch auf Platz 50 der besten Comickünstler (aller Zeiten) sah; Wolfgang J. Fuchs setzte ihn sogar auf Platz 41, aber nur für seine Arbeit an „Doctor Strange“.

Geändert von Peter L. Opmann (15.07.2018 um 18:33 Uhr)
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