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Alt 25.05.2018, 16:42   #123  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 26

Erscheinungstermin: 1/1975

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 24
2) Tales to Astonish # 93

Story-Titel:
1) Die Spinne spinnt!
2) ohne Titel (Der Monarch und das Monster)

Original-Storytitel:
1) Spider-Man goes mad!
2) The Monarch and the Monster!

Zeichnungen:
1) Steve Ditko
2) Dan Adkins

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Es scheint, als hätten Stan Lee und Steve Ditko etwas Neues ausprobieren wollen. Ich weiß nicht, ob auch DC-Helden mitunter ihre eigene Zurechnungsfähigkeit in Frage stellen – der Spinne passiert jedenfalls genau das. Mein Freund, der DC-Fan, schrieb mir auf die Frage, ob auch Superman mal gesponnen hat: „Supermans Psyche ist nie so ganz stringent behandelt worden. Er ist auch superintelligent, spricht zig Sprachen, kennt zig Welten, aber das wird (aus Gründen breiterer Popularität?) selten erwähnt. Mittlerweile hat man ihn oft etwas verjüngt und naiver dargestellt. Ich denke persönlich: er hält sich nur zurück, das ist er mit seinen Kräften ja auch gewohnt. Dadurch alleine müsste er für Psychoattacken durchaus anfällig sein. An besonders denkwürdige Episoden erinnere ich mich aber nicht. Oft waren das Verkehrte Welt-Episoden.“

Die Story hat aber noch mehr zu bieten als eine originelle Grundidee. Sie ist in Form eines Rätsels erzählt, das auch für den Leser erst am Ende aufgelöst wird. Und die Geschichte wird ruhig und souverän erzählt. Die Halluzinationen, die die Spinne an ihrem Verstand zweifeln lassen, werden erst ab Seite 7 zum Thema; trotzdem ist die Episode in ganzer Länge unterhaltsam und spannend.

Zu Beginn läßt sich Tante May von Lieferando einen neuen Hut schicken. Peter nimmt das Paket entgegen, bezahlt und bemerkt, daß kaum noch Haushaltsgeld da ist. Deshalb möchte er mal wieder ein paar Bilder für den Daily Bugle schießen. Er ertappt als Spinne eine Einbrecherbande auf frischer Tat und erledigt sie. Aber Frederic Foswell kommt dazu. Nun wagt Peter es nicht, die Fotos anzubieten, weil Foswell merken könnte, daß er die Spinne ist. Trotzdem besucht er Betty Brant in der Redaktion. Durch Zufall bekommt er mit, daß sie an Ned Leeds geschrieben hat. Er ist verärgert, und Betty hat ein schlechtes Gewissen.

Foswell hat kein Problem damit, über den Kampf der Spinne gegen die Einbrecher zu schreiben. Jonah Jameson weist ihn an, die Spinne in ein negatives Licht zu rücken. Zudem initiiert er eine Straßenumfrage mit der Frage: „Warum hassen Sie die Spinne?“ Flash Thompson, der Präsident des Spinne-Fanclubs, kommt hinzu und beendet diese „Recherchen“. Liz Allen wendet sich an Peter wegen Nachhilfestunden, was Flash erneut auf Peter wütend macht.

Jetzt beginnt der Haupt-Erzählstrang: Der Psychiater „Dr. Ludwig Reinhardt“ aus Europa (vermutlich Österreich) meldet sich bei Jameson, weil er sich für die Spinne interessiert, über die JJJ so viel publiziert. Reinhardt ist überzeugt, daß die Spinne kurz vorm Durchdrehen ist, und zwar, weil ihr ihre Geheimidentität schwer zu schaffen macht. Jonah ist begeistert: Endlich kann er die Spinne fertigmachen. Betty erzählt Peter davon, und es kommt, wie tatsächlich oft zu beobachten: Er glaubt, daß er tatsächlich psychisch krank ist (oder wird). Er macht sich auf den Weg zum Bugle und schüttelt unterwegs Flash ab, der ihn im Verdacht hat, sich mit Liz zu treffen. Danach schlüpft er in sein Kostüm. In der Nähe des Verlags überfallen ihn jedoch täuschend echte Halluzinationen von Dr. Octopus, dem Sandmann und dem Geier. Er meint, sie würden ihn angreifen, aber dann verschwinden sie wieder.

Peter Parker ist nun sicher, daß er verrückt wird, und denkt darüber nach, sich einsperren zu lassen, damit er mit seinen Superkräften nicht zur Gefahr für die Allgemeinheit wird. Seine letzte Chance scheint zu sein, Dr. Reinhardt um Hilfe zu bitten. Als er seine Praxis betritt, überfallen ihn die Halluzinationen wieder. Das Wartezimmer ist offenbar leer, und einen Termin braucht die Spinne auch nicht. Reinhardt legt sie sofort auf die Couch und versucht, sie dazu zu bringen, ihm ihre Geheimidentität zu verraten; nur dann könne er ihr helfen. Inzwischen hat aber Frederic Foswell herausgefunden, daß „Dr. Reinhardt“ gar kein Arzt ist. JJJ sieht seine Kampagne gegen die Spinne wieder mal gescheitert und stürmt los, um Reinhardt zur Rede zu stellen. Er platzt in die Praxis, als die Spinne sich eben durchringen will, ihre Geheimidentität aufzudecken. Daß JJJ Reinhardt einen Betrüger nennt, macht sie stutzig.

Der Psychiater sieht, daß sein Plan vereitelt ist und will sich davonmachen, aber die Spinne hält ihn auf und lüftet seine Maske: Es ist Mysterio. In der Schlußszene trifft sich Peter mit Liz zum Nachhilfeunterricht. Liz verfolgt mit dem Treffen, wie uns jetzt enthüllt wird, noch andere Ziele, und auch Peter denkt sich: Wenn Betty Briefe an Ned Leeds schreibt, dann widme ich mich lieber mal Liz. Typisch Stan Lee ist die Bemerkung zum letzten Bild: „Zwischen Peter und Betty hat sich nichts Entscheidendes getan… auch nicht zwischen unserem Helden und Flash Thompson – eigentlich zwischen niemandem! Und doch: Ist das Leben nicht so?“ Natürlich geht es hier nicht um das wirkliche Leben, sondern um das Soap-Opera-Leben; Stan Lee hätte Gwen Stacy niemals sterben lassen, denn wirklich verändern darf sich seiner Ansicht nach in einer solchen Serie nichts.

Eine nette kleine Geschichte. Im Kern ist sie zugegeben recht simpel, aber die besondere Atmosphäre der „Spinne“ entsteht ja durch die Vermischung von Action und Melodram-Elementen. Mir erscheint der Mysterio-Angriff weder zu läppisch noch zu wenig aufregend, auch wenn sich alles auf nur zehn Seiten abspielt. Mal wieder eine Bemerkung zu Ditkos Zeichnungen: Er rückt nun zunehmend seine Figuren und vor allem die Gesichter näher ins Bild. Das macht die Optik dichter und überzeugender, auch wenn das sicher mit der Ökonomie des Zeichnens zu tun hat. Die eleganten, akrobatischen Bewegungen der Spinne hat er schon länger drauf. Insgesamt verfügt er nun über genug Routine, um die Grafik richtig gut aussehen zu lassen. Allerdings bevorzugt er nach wie vor kleine Panels – neun pro Seite sind keine Seltenheit. Und die Welt, die er entwirft, erinnert immer noch mehr an die 1950er als an die swingenden 60er Jahre.

Geändert von Peter L. Opmann (25.05.2018 um 16:47 Uhr)
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