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Alt 19.12.2018, 17:47   #438  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 97

Erscheinungstermin: 11/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 96
2) Mighty Thor # 130

Story-Titel:
1) …jetzt kommt der Kobold!
2) Donner im niederen Reich!

Original-Storytitel:
1) …and now, the Goblin!
2) Thunder in the Netherworld!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / John Romita
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Nichts deutet darauf hin, daß wir hier eine bedeutende „Spinne“-Ausgabe vor uns haben. In den USA konnte ein aufmerksamer Käufer bemerken, daß das Comics Code-Siegel auf dem Cover fehlte, aber bei der Williams-Ausgabe gibt es das ja nicht. Da konnte die Bundesprüfstelle einfach verfügen, daß das Heft nicht verkauft werden darf – hat sie aber glücklicherweise nicht gemacht. Wir haben hier wieder eine Stan-Lee-typische Eröffnung eines Mehrteilers vor uns. Ganz allmählich leitet er zur eigentlichen Story hin. Er schafft es diesmal sogar, daß das, was auf dem Titel angekündigt wird, nämlich daß der Grüne Kobold zurückkehrt, erst auf der letzten Seite stattfindet. Aber vorher passiert noch etwas anderes, nämlich die erste Begegnung mit einem Drogensüchtigen in den US-Comics. War es geplant und gewollt, daß hier wieder Gil Kane die Pencils übernimmt und John Romita zum Inken wechselt? Keine Ahnung. Kane hat hier mitunter etwas Probleme, Peter Parker das Gesicht zu geben, das man kennt, aber insgesamt macht er seine Sache sehr gut.

Die Splashpage ist eine extreme Nahaufnahme, wie wir das später noch öfters sehen. Joe Robertson betrachtet Peter Parkers Fotos der Spinne, die er aus London mitgebracht hat. Dann folgt aber zunächst eine kleine Rückblende, die Peter auf dem Rückflug zeigt. In Gedanken rekapituliert er die Geschehnisse der letzten Ausgabe. Dann bekommt Robertson die Bilder in die Hand, und Peter kommt in den Sinn, was für mich eine klare Sache gewesen wäre: Wird für den Lokalchef damit nicht auch klar sein, daß Peter und die Spinne ein und dieselbe Person sein müssen? Robertson läßt das jedoch mit keinem Wort durchblicken.

Peter trifft an der Uni seine Clique und erfährt, daß Mary-Jane am Abend einen großen Tanz-Auftritt haben wird. Außerdem vermittelt Harry ihm einen Job in der Firma seines Vaters (der, wie wir wissen, einst als Grüner Kobold New York unsicher machte, sich an all das aber nicht mehr erinnern kann). Auch hier folgt ein kleiner Rückblick auf den letzten Kampf der Spinne gegen den Kobold. Peter sucht Norman Osborns Chemiefirma auf, um sich dort vorzustellen. Osborn unterzieht sich gerade im Nebenzimmer einer ärztlichen Untersuchung. Das Job-Gespräch verläuft positiv. Osborn überredet Peter zudem, zu Mary-Janes Show mitzukommen.

Zurück auf der Straße trifft Peter seine Tante May und Mrs. Watson, die bester Laune sind und sich das Musical „Hair“ ansehen wollen (damals wohl das Abgefahrenste, was man sich vorstellen konnte). Tante May hatte selten ein so faltiges Gesicht, macht aber einen auf jugendlich. Und nun kommt das, womit damals niemand rechnen konnte: Ein Polizeieinsatz erregt Peters Aufmerksamkeit. Vorsichtshalber verwandelt er sich in die Spinne. Auf einem Hochhausdach steht ein total bekiffter schwarzer Jugendlicher und meint, er könne fliegen. Offenbar bestand zu dieser Zeit, Anfang der 70er Jahre, das Vorurteil, nur Schwarze würden Drogen nehmen – das Lee aber bald ausräumen wird. Vorerst rettet die Spinne den Acidhead, als er vom Dach stürzt. Ein Polizist belebt ihn darauf wieder durch Mund-zu-Mund-Beatmung. Es folgen Peters bekannte Dialogsätze: „Eine Droge, die so stark ist, jemanden auf diesen Trip zu schicken, kann auch das Gehirn angreifen. Aber wie soll man die Kinder warnen? Wie kann man sie erreichen? Mein Leben als Spinne ist wahrscheinlich genauso gefährlich wie jedes andere auch, aber ich würde lieber hundert Superschurken bekämpfen, als es mit harten Drogen wegzuschmeißen. Denn diesen Kampf kann man nicht gewinnen.“

Peter geht zur Show. Dabei macht Mary-Jane ihm in Gegenwart ihres Freundes Harry schöne Augen. Randy Robertson, der ebenfalls gekommen ist, hat einen Disput mit Norman Osborn und wehrt sich gegen die Vorstellung, nur Schwarze hätten Drogenprobleme. Daneben greift er seine gutbürgerliche Selbstzufriedenheit an. Während der Show benimmt Norman Osborn sich komisch. Es sieht so aus, als ob seine Erinnerung an den Kobold allmählich zurückkehren würde. Ihm gehört die Halle, in der die Show stattfindet, und hier hat er offenbar auch ein Kobold-Kostüm versteckt. Peter verwandelt sich wieder in die Spinne, weil sein Spinnensinn ihm Gefahr signalisiert. Aber während er Osborn sucht, steht ihm plötzlich der Kobold gegenüber und redet ihn mit seinem richtigen Namen an: „Parker! Du wagst es, hierher zu kommen? Dann kann ich dir dies versprechen: Du wirst niemals lebend davonkommen!“ Wir erinnern uns: Der Kobold hatte einst, in „Spinne“ # 40, die Verwandlung der Spinne in Peter Parker heimlich beobachtet und belauscht und ihn dann sogar bis zum Haus von Tante May verfolgt. Seither ist er der einzige, der seine Geheimidentität kennt. „Fortsetzung in der nächsten Ausgabe (aber das habt ihr euch sicherlich auch schon gedacht)!“

Was mir an dieser Ausgabe grafisch ausnehmend gut gefällt, sind die vielen New Yorker Straßenszenen, die Gil Kane hervorragend gestaltet. Man sieht dagegen nichts von einer Drogenszene, wie ich sie etwa in dem Film „Christiane F.“ kennengelernt habe – wo man auch das ganze Elend von Leuten sieht, die von Drogen kaputtgemacht werden. Als dieses „Spinne“-Heft in USA erschien, hatten Drogen wohl noch eher Pillenform (das sieht man später auch bei Harry), und von den gesundheitlichen Folgen von Drogenkonsum oder den Wirkungen eines Entzugs wußte man da offenbar noch wenig. Oder Lee hatte die Hoffnung, vor den Giften warnen zu können, ohne dies allzu drastisch zeigen zu müssen.

Mir gefällt die Beiläufigkeit dieser Story. Lee konnte hier darauf vertrauen, daß das Privatleben von Peter mindestens so interessant ist wie sein Kampf gegen den Kobold – wobei Gwen, die zuletzt für die meiste Aufregung gesorgt hatte, hier gar nicht auftaucht. Zur Entstehungsgeschichte dieser Ausgabe: Lee hat später erzählt, das US-Gesundheitsministerium habe angeregt, daß er einen Anti-Drogen-Comic machen sollte. Das glaube ich nicht so recht. Wenn es einen solchen Kontakt überhaupt gegeben hat, dann hat Marketing-Genie Lee sicher den Vorschlag den Behörden unterbreitet. Die Comics Code Authority reagierte jedoch wie zu erwarten: Sie blickte nur auf den Wortlaut des Codes: Drogen dürfen in Comics nicht vorkommen; egal, ob sie positiv oder – wie hier – negativ dargestellt werden. Daraus folgte ihre Entmachtung. Das Drogenproblem wurde mit ASM # 96 bis 98 dagegen nicht gelöst.

Auf einer redaktionellen Seite werden einige neue US-Marvel-Serien vorgestellt, die ich tatsächlich 1977 sehr interessant fand. Vor allem „What if“. Nach dieser Darstellung ging es da nicht um Paralleluniversen, sondern um Fragen, die sich Fans stellen, wie etwa: Was wäre, wenn es die Rächer nie gegeben hätte? Aufgemerkt habe ich auch bei Marvels Version von „Tarzan“, gezeichnet von John Buscema. „Tarzan“ von bsv war einer der ersten Comics, die ich überhaupt gelesen habe, und ich hatte auch ein bißchen Ahnung von wichtigen Zeichnern wie Russ Manning oder John Celardo. Den Marvel-Tarzan hätte ich also gern mal gesehen. „John Carter“ oder „Ms. Marvel“ sagten mir dagegen weniger, sprachen mich aber auch an.

Geändert von Peter L. Opmann (25.04.2019 um 14:38 Uhr)
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