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Alt 30.06.2021, 23:15   #15  
Tilberg
Mr. Lexikon
 
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Zweidrei Anmerkungen hätte ich noch.

Die Wiederkehr von Sanatorius war überraschend und gelungen. Irgendwo - im entsprechenden SB? - konnte man lesen, daß er ursprünglich auch für die Alchemistenstelle auf Burg Geierstein vorgesehen war. Ich weiß nicht mehr, warum stattdessen eine neue Figur eingeführt wurde (oder ob der Grund überhaupt genannt wurde).

Lustig allemal, daß Sanatorius in Knödlingen ein original Hanswurstkostüm trägt, vom Hut über die Halskrause zum Brustlatz mit Herz und Initialen, und alles in den richtigen Farben, exakt so, wie Stranitzky die Figur ursprünglich gestaltet hatte und wie sie vom Mosaikteam als Puppe angefertigt worden war. Sanatorius - der bessere Hanswurst! Schön zudem, daß dadurch gezeigt wird, wie sich die Hanswurstfigur von ihrem ersten Verkörperer emanzipiert und künftig auch von anderen Darstellern ausgefüllt werden kann - genau wie in der realen Theatergeschichte Stranitzky erst von Prehauser und dann von einer Vielzahl reisender Hanswürste abgelöst wurde. Das Ganze ist ein hübsches Beispiel dafür, wie man manche dramaturgische Wendung im Mosaik neu oder besser oder überhaupt erst versteht, wenn man die zugrundeliegende Vorlage kennt.

Zum Thema Narrenzucht. Ich hatte mich für das Mosa-icke 14 sehr ausführlich damit befaßt und konnte nirgends einen Hinweis darauf finden, daß irgendwer jemals Kinder auf diese Weise verkrüppelt hätte - geschweige denn, daß es, wie im Mosaik geschildert, verbreitete Praxis gewesen wäre. Mir ist bis heute rätselhaft, was Dräger damals geritten hat. (Disclaimer: Natürlich gab es Narren und natürlich gab es ohne Ende Verkrüppelte und natürlich wurden Zwerge oder anders körperlich mißgestaltete Menschen als Narren eingesetzt - aber das alles ist halt nicht der Punkt.)

Die Seite 3 von 6/80 mit all den verwachsenen Zwergengestalten basiert jedenfalls auf Theaterfigurinen von Lodovico Ottavio Burnacini für ein Stück über die Versuchung des Heiligen Antonius durch lauter kleine Teufelchen. Hat daher nix mit irgendwelchen Narrenfiguren im Grünen Gewölbe zu tun (wie im Begleittext behauptet). Dräger muß um den Theaterkontext gewußt haben und hat sich dessenungeachtet für eine antifeudalistische Horrorgeschichte entschieden. In meinen Augen der Tiefpunkt seiner Arbeit als Szenarist (Orang Laut hin oder her). Wen es interessiert, der findet noch mehr dazu in dem entsprechenden Artikel von mir im MI 14 ("Das Rätsel von Burg Geierstein"). Burnacini war auch der Schöpfer der Pestsäule im Wiener Graben, die man einmal im Mosaik sieht, beim Einzug von C-fax als Erbprinz Rudi in Heft 9/78.

Geändert von Tilberg (30.06.2021 um 23:51 Uhr)
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