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Alt 09.05.2018, 11:43   #105  
Peter L. Opmann
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Die Spinne (Williams) 22

Erscheinungstermin: 11/1974

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 20
2) Tales to Astonish # 91

Story-Titel:
1) Hier kommt der Skorpion!
2) ohne Titel (Vor den Toren lauert der Tod!)

Original-Storytitel:
1) The Coming oft he Scorpion
2) Outside the Gates waits Death!

Zeichnungen:
1) Steve Ditko
2) Bill Everett / Dan Adkins

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Mit dieser Ausgabe löst sich ein Problem von selbst, das seit „Spinne“ # 12 bestand: Eine US-Story umfaßt jetzt nur noch 20 Seiten, es muß also nicht mehr gekürzt werden. Natürlich wird die „Aquarius“-Zweitstory nach wie vor geteilt, sonst würden die 32 Seiten kaum ausreichen. Noch eine Anmerkung zur Publikation: Bei „Spinne“ # 21 habe ich vergessen, den Veröffentlichungsmonat zu ändern, da wäre bereits November dran gewesen. Allerdings sind bei 14tägiger Erscheinungsweise 26 Ausgaben pro Jahr herausgekommen; vielleicht ist also auch die vorliegende Ausgabe noch im Oktober erschienen. Ein Kalender von 1974 liegt mir allerdings nicht vor.

Diese Ausgabe mit einem neu kreierten Superschurken, dem Skorpion, erscheint mir in unterschiedlicher Hinsicht als die Summe des bisherigen „Spinne“-Konzepts. Der Skorpion ist Ergebnis eines schiefgegangenen wissenschaftlichen Experiments. Durch ein Serum und elektrische Energie werden einem geistig etwas beschränkten Gauner die Kräfte eines Skorpions verliehen – sieht für mich etwas Frankenstein-mäßig aus. An der Entstehung dieses Wesens ist wieder mal Jonah Jameson beteiligt, indem er die Umwandlung finanziert. Der Skorpion trifft zweimal, genau genommen sogar dreimal auf die Spinne, besiegt sie zunächst und wird am Ende doch zur Strecke gebracht. Und Peter Parkers private Probleme kennen wir nun auch bereits aus diversen Ausgaben: mit Tante May, die ihn diesmal beinahe im Spinnen-Kostüm ertappt, mit Betty, die sich hier nicht in der Lage zeigt, ihre Beziehungsprobleme mit Peter aufzuarbeiten, sowie mit Flash Thompson und seinen übrigen Mitschülern. Das war zu dieser Zeit die bewährte Storymischung.

Im Vergleich zu „Spinne“ # 20 ist das ein Rückschritt, denn die Zutaten sind in diesem Heft erkennbar nur Klischees. Es gibt wenig Motivation, und Betty erscheint sogar ziemlich widersprüchlich: Hat sie Angst vor der Spinne? Will sie Peter mit Ned eifersüchtig machen, oder ist Ned Leeds für sie eine ernsthafte Alternative? Warum will sie Peter nicht sagen, was sie für ihn empfindet? Daß Peter Jonah Jameson in Gestalt der Spinne einen Besuch abstattet, ist relativ neu, kommt aber in der Serie immer wieder vor. Am Ende schafft die Spinne ihm den außer Kontrolle geratenen Skorpion vom Hals, was JJJ zumindest mal kurz zum Nachdenken bringt, aber faktisch an seinem Haß auf die Spinne nichts ändert.

Nicht ungeschickt verknüpfen Lee und Ditko diese Episode mit dem vorherigen Heft. Peter war von einem Unbekannten beschattet worden, der seine Befehle von einem Gangsterboß empfing, dessen Gesicht immer im Dunkel blieb. Jetzt wird das aufgeklärt: Der Gangsterboß ist gar keiner, sondern Jonah Jameson, der herausfinden will, wie Peter immer an die sensationellen Fotos der Spinne kommt. Kleiner Schönheitsfehler: Die Beschattung war in „Spinne“ # 21 herausgekürzt worden. Trotzdem wird getreulich übersetzt: „Erinnert ihr euch an die mysteriöse Gestalt, die Peter Parker in der letzten Ausgabe nach Schulende folgte?“ Pech für deutsche Leser – daran können sie sich nicht erinnern.

Als der Spitzel ohne Ergebnis zu Jonah zurückkehrt, hat der bereits eine neue Idee: Er hat von einem Wissenschaftler gehört, der künstliche Mutationen an Tieren hervorrufen kann. Warum nicht auch an Menschen? Und der Privatdetektiv sagt dazu bloß: „Solange die Kasse stimmt…“ Immerhin bekommt der Wissenschaftler, ein gewisser Farley Kuckhoff (im Original: Stillwell), später Skrupel, als er sieht, wie sich die Persönlichkeit des Skorpions verändert. Er stirbt bei dem Versuch, seine Mutation rückgängig zu machen. Skorpione sind in Teilen der USA eine alltägliche Erscheinung, und so mancher hat sicher auch unliebsame Erfahrungen mit ihren Giftstacheln gemacht. Der menschliche Skorpion sieht in meinen Augen dennoch etwas seltsam aus. Er ist konzeptionell eine Kopie der Spinne, der Stachel muß ihm aber künstlich angefügt werden. Die Auseinandersetzung der beiden Superhelden verläuft etwas enttäuschend. Der Skorpion scheint stärker als die Spinne zu sein, aber der Kampf ähnelt dem von George Foreman gegen Muhammad Ali: Wendigkeit setzt sich letztlich durch. Der Skorpion kehrt später zurück, aber nicht allzu häufig – er ist wohl keiner der großen Gegner der Spinne.

Noch ein Detail am Rande: In den Credits wird diesmal Steve Ditko an die erste Stelle gerückt, dafür wird der Name von Lee darunter deutlich größer geschrieben. Ein Gag mit ernstem Hintergrund: Lee und Ditko haben sich später erbittert darüber gestritten, wer den größeren kreativen Beitrag zur Serie geliefert hat, und Lee schaffte es nicht, seinen ehemaligen Zeichner zu besänftigen, indem er ihm zugestand, „Co-Creator“ gewesen zu sein. Das Cover ist recht bekannt und wird häufig abgebildet; ungewöhnlich ist sicherlich, daß die Spinne hilflos in den Händen ihres Gegners erscheint. Hinzugefügt hat Williams ohne besonderen Grund eine Manschette mit der Aufschrift: „Marvel macht’s möglich!“ Über die redaktionellen Seiten habe ich letztes Mal schon gesprochen.

Geändert von Peter L. Opmann (09.05.2018 um 11:48 Uhr)
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