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Alt 15.03.2020, 13:39   #111  
Peter L. Opmann
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Okay, weiter geht's.

Die Frantastischen Vier # 21




Die Inhaltsangaben in den frühen Williams-Marvels habe ich geliebt. Sie machten richtig neugierig auf die Monatsproduktionen – zumal ich mir ja nur einen kleinen Teil der Hefte zulegen konnte. Sie waren witzig geschrieben – großspurig und selbstironisch zugleich. Aber insbesondere bei den 14-tägig erscheinenden Titeln konnte ich eines nicht verstehen: wie konnten alle zugleich das beste Heft sein? Zum Beispiel: FV # 22 brachte den „Kampf des Jahrhunderts“, aber FV # 21 bot die „spektakulärste Überraschung“, etwa „Neues, Unglaubliches, Faszinierendes!“ Zu allem Überfluß waren die „Rächer“ dieses Monats ein „Marvel-Epos par excellence“, die „Spinne“ „berstend voll mit Spannung und dramatischen Szenen“, und beim „Hulk“ ist die „neueste Episode fast noch spannender als die vorherige“. Irgendwas konnte da doch nicht stimmen…

FV # 21 ist für mich eine Serienfolge des Übergangs. Das scheint auch die Redaktion gewußt zu haben, denn am Ende kündigt sie für das nächste Heft den Beginn des Marvel-Zeitalters an. Da werden erstmals Verbindungen innerhalb dieser Superheldenwelt hergestellt (bei Sub-Mariner und Ant-Man zuvor sind die Gastauftritte noch isoliert und folgenlos), auch wenn es nur um die blöde Frage geht: Wer ist stärker? Die aktuelle Ausgabe mit dem „Enfant terrible“ funktioniert dagegen noch nach den alten Mustern: Es geschehen unerklärliche Dinge, Monster stapfen herum, und Rätsel werden gelöst. Aber endlich gibt Stan Lee das Schema auf, die vier Teammitglieder einzeln gegen ähnliche Gegner antreten zu lassen. Jetzt kämpfen eher Fackel, Ding und Unsichtbare vereint, und Mr. Fantastic zieht sich ins Hauptquartier zurück, um sich die richtige Strategie auszudenken.

Die Idee, daß der Gegner ein außer Kontrolle geratenes Kind ist (okay, diesmal kein Halbstarker, sondern ein Kleinkind), ist ein Neuaufguß von FV # 10 mit dem Unmöglichen. Die aktuelle Pointe, daß die Eltern gerufen werden, um ihr Balg abzuholen, ist freilich nicht so stark. Aber hauptsächlich leidet die Episode unter den Schwierigkeiten von Lee und Kirby, Superkräfte richtig einzuschätzen und zu inszenieren. Das Enfant terrible kann im Prinzip alles, wie wir auf Seite 10/11 erfahren. Immerhin schickt es „Blitze reiner Energie“ auf die Straßen New Yorks, läßt Wolken auf die Erde stürzen, verzichtet aber darauf, die Sonne näher an die Erde heranzuholen, was Reed sozusagen als Super-GAU befürchtet. Dafür begnügt sich das Kind mitunter auch damit, ein Auto schweben zu lassen; es handelt sich um einen Geldtransporter, worüber sich ein paar Gangster freuen – aber nur kurzzeitig.

Die Taten des Außerirdischen erinnern mich mitunter ein bißchen an die Abenteuer von „Little Nemo in Slumberland“, etwa wenn Spielzeugsoldaten durch die Straßen New Yorks marschieren und sie dabei gänzlich anfüllen oder wenn die Brieftaschen, Hüte, Schirme, Brillen oder Mappen von zahllosen Passanten in die Luft fliegen. Hier sind das natürlich nur einzelne Momente. Aber auch die Dialoge finde ich überwiegend gelungen. Ding kommentiert einen eigenen Boxhieb: „Ah, det is’n Jedicht!“ Reed muß der leichtgewichtigen Story am Ende allerdings eine Pseudo-Lehre aufpfropfen: „Irgendwann, wenn irgendwer von uns zu weit geht, seine eigenen Kräfte mißbraucht, laßt uns dann an dieses Enfant terrible denken – diese ungeahnte Kraft aus dem Weltraum, die unwissentlich uns alle hätte vernichten können!“

Auch grafisch wird sich die Serie in der kommenden Ausgabe ein ganzes Stück steigern. Leider bleibt uns der grobe Pinselstrich von George Roussos noch eine Weile erhalten. Aber Ding wandelt sich zunehmend zu einer Funnyfigur (etwa durch seine immer ausgeprägteren steinernen Augenwülste). Insgesamt kann Jack Kirby zunehmend abwechslungsreichere Szenerien gestalten. Doch es ist immer noch eher der Stil der End-Fünfziger als der ikonischen sechziger Jahre.
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