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Alt 30.12.2022, 15:49   #217  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Monte Christo, die zweite:
  • Alexandre Dumas der Ältere: Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (1844-1846)
  • Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (Frankreich / Italien / Deutschland 1998), Drehbuch: Didier Decoin, Regie: Josée Dayan, 388 min in vier Teilen
Nochmal ein paar Anmerkungen zum Roman von Dumas: Wegen seines Umfangs geht das Epos über ein banales Rachedrama weit hinaus und schildert die Verstrickungen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten unter-, mit- und gegeneinander. Besonders der Anfang wirkt aus heutiger Sicht ziemlich umständlich, weil die Exposition recht schematisch verläuft. Nach dieser Hürde entfaltet das Sprachkunstwerk jedoch seinen Sog, und das liegt nicht zuletzt an den zahlreichen Details - das sind quasi Mikroerzählungen, die eine eigene Faszination haben, wie das Leben der Gefangenen auf dem Château d’If oder Abbé Farias Erzählung über die Intrige zur Papstwahl.
Darüber hinaus zeichnet der Roman nach, wie sich der Alltag in gut 25 Jahren im 19. Jahrhundert verändert hat: Von den Segelschiffen zu den ersten Motorbooten, die neue Pünktlichkeit (der Graf wirkt teilweise wie ein Vorläufer von Phileas Fogg), in einem der Subplots gibt es ein lesbisches Liebespaar, das durchbrennt ... Also diese Vorlage ist schon fast postmodern und ziemlich woke, da bräuchte niemand etwas zu switchen, um heutigen Sehgewohnheiten zu entsprechen.

Gestern habe ich den Vierteiler in der Mediathek von Servus TV gebinget. Dabei fühlte ich mich in die Zeit der Adventsvierteiler aus meiner Kindheit zurückversetzt. Drehbuch und Regie haben vor allem am Anfang heftig gestrafft, so daß der Film auf der Gefängnisinsel einsetzt, wo Dantès durchdreht, bevor er Abbé Faria kennenlernt.
Im Wikipediaeintrag wurde die besondere Leistung von Guillaume Depardieu gewürdigt, Gérard Depardieus Sohn, der den jungen Edmond spielt. Aber der hat bloß zwei kurze Szenen, weshalb ich ihn wie einen besseren Statisten mit einer kleinen Sprechrolle empfunden habe. Ornella Mutis älteste Tochter Naike Rivelli wurde ebenfalls jedesmal im Vorspann erwähnt, doch die hatte bloß ein besseres stummes Cameo.
Bei dem Vierteiler fühlte ich mich gut unterhalten, weil er ziemlich werkgetreu vorging. Am meisten geärgert habe ich mich über das verkitschte Ende, das ich wie ein Zugeständnis an ein Massenpublikum empfand, während der Roman Einsichten in menschliches Verhalten gewährt, das von einer Lebenserfahrung zehrt.
Gérard Depardieu ist schon ein guter Schauspieler, zu den Chamäleons seiner Branche zählt er jedoch nicht. Auch wenn die anderen in ihren Rollen zugeben, Dantès nicht erkannt zu haben, bleibt Depardieu für das Publikum immer Depardieu. Zur Drehzeit war er schon etwas stabiler, die Proportion eines Obelix hatte er jedoch noch nicht.
Diese Fassung glänzt vor allem mit Produktionswerten und war damals bei der Erstausstrahlung ein Publikumserfolg. Vor allem die Architektur, die Kostüme, die Außenaufnahmen und die Kamera sorgen für reichlich Eyecandy. Inzwischen hat sich im Filmhandwerk einiges geändert, dennoch wirkt der Vierteiler nicht veraltet, obwohl er gewisse Längen hat.
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