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Alt 21.12.2018, 17:52   #444  
Peter L. Opmann
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Ort: Hessen
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Spinne (Williams) 98

Erscheinungstermin: 11/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 97
2) Mighty Thor # 131

Story-Titel:
1) Im Griff des Kobolds!
2) Sie kommen aus dem All!

Original-Storytitel:
1) In the Grip oft he Goblin!
2) They strike from Space!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / Frank Giacoia
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Es ist schon ambitioniert, wenn Stan Lee das Thema Drogensucht aufgreift, indem er nicht nur einen beliebigen Jugendlichen mit Wahrnehmungsstörungen zeigt, sondern die Sache in den engsten Bekanntenkreis von Peter Parker verlegt. Das Opfer ist Harry Osborn, sein Studienfreund, Zimmerkumpel und Sohn des Unternehmers, der als der Grüne Kobold die Stadt unsicher macht. Einige Einzelheiten der Story finde ich heute nicht mehr besonders überzeugend; vor allem, daß Mary-Jane sich äußerst eklig gegenüber Harry verhält (bisher war sie doch das Partygirl, das immer gute Laune hat), und daß Harry durch seine psychedelischen Pillen sofort schwerst erkrankt. Das ändert aber nichts daran, daß mich die Geschichte noch immer irgendwie mitreißt.

Zunächst sieht es so aus, als ob Lee in gewohnte Bahnen zurückkehrt. Der Kobold bringt der Spinne eine schwere Niederlage bei. Das ist etwas anders gestaltet als sonst. Mit seinen Gadgets läßt er dem Wandkletterer von vorneherein keine Chance. Er ist der Spinne immer einen Schritt voraus. Sie kann sich schließlich nur unter einem Hochhaussims verstecken, während der Kobold erstmal annimmt, sie sei in den Tod gestürzt. Aber insgesamt ist es eine bekannte Masche, daß die Spinne zunächst den Kürzeren zieht und ihren Supergegner beim zweiten Zusammentreffen dann doch besiegt.

Dann wird die Story jedoch interessanter. Peter geht nach Hause, denkt noch einmal darüber nach, wie er den Kobold besiegen kann – und denkt auch an Gwen, die er verloren glaubt. In seiner Studentenbude angekommen, bekommt er jedoch unerwartet Ärger mit Harry, der ihm vorwirft, ihm Mary-Jane ausgespannt zu haben. Peter versucht Harry klarzumachen, daß er sich für MJ überhaupt nicht interessiert. Frustriert geht Harry zum Medikamentenschrank, der vollgestopft ist mit Aufputsch-, Beruhigungs- und Schlafmitteln. Zu denen nimmt er auch jetzt Zuflucht, und Peter fällt auf, daß Harry schon seit längerem daran gewöhnt ist, Probleme zu lösen, indem er irgendwelche Tabletten schluckt. Drogen sind da aber offenbar noch nicht dabei.

Am nächsten Tag will Harry, auch auf Empfehlung von Peter, sein Verhältnis zu MJ wieder einrenken. Aber sie wirkt wieder so, als ob sie sich von Peter wesentlich mehr angezogen fühlt. Ein Dealer, den wir vorher schon als Statisten im Umfeld der Studenten gesehen haben, sieht jetzt seine Stunde gekommen. Er bietet Harry unter der Hand Tabletten an, mit denen er sich sofort viel besser fühlen wird, und zwar gratis. Er setzt sicherlich darauf, daß Harry bald wiederkommen wird, um ihm mehr davon abzukaufen. Harry: „Ich bin ja nicht verrückt!“ Aber er nimmt das Fläschchen.

Später versucht er es noch einmal mit Mary-Jane. Aus heutiger Sicht verhält er sich etwas ungeschickt, indem er ihr einfach verkündet, sie könne nun wieder seine Freundin sein. MJ wirkt dagegen ziemlich emanzipiert und biegt ihm bei: „Ich gehöre niemandem… nur mir selbst! Und das gefällt mir so!“ Harry geht tief enttäuscht nach Hause, fängt noch einmal Streit mit Peter an und bricht dann psychisch zusammen. Jetzt wirft er ein paar von den Pillen des Dealers ein und geht zu Bett. Peter bemerkt zwar, daß Harry ziemlich viele Tabletten einnimmt, und will den Arzt rufen – was Harry aber ablehnt. Peter läßt ihn zunächst in Ruhe und will sich nun wieder als Spinne dem Grünen Kobold stellen. Während er die Stadt absucht (ein inzwischen wohlbekanntes Motiv), ist Harry auf einem wirklich üblen Trip. Der zurückkehrende Peter findet ihn nahezu bewußtlos – Harry fleht um Hilfe. Aber als Peter gerade den Arzt rufen will, taucht der Grüne Kobold vor dem Fenster auf und setzt zum nächsten Angriff an. Ende dieser Episode.

Die Drogenkarriere von Harry wirkt unglaubwürdig, weil sie so kurz ist. Er greift ja offenbar erstmals zu solchen Pillen. Kann natürlich sein, daß er als Erstes einen schlechten Trip erwischt, aber am Ende dieses Hefts wird er als Drogenwrack präsentiert, und so schnell geht das wohl doch nicht. Auch das Arschloch-Verhalten von MJ kommt reichlich schnell; vorher wirkte sie nie so launenhaft und uninteressiert daran, wie ihre brüske Abfuhr bei Harry ankommt. Lee greift zu starken Effekten und macht die Story trotz kleiner Ungereimtheiten packend. Für einen Harry, der sich mit den Drogen zunächst besser fühlt und dann allmählich deren Schattenseiten kennenlernt, ist in einer 19-Seiten-Story nun mal kein Platz. Vielleicht wurde auch davor zurückgeschreckt, Drogen als etwas vermeintlich Schönes darzustellen. Ich meine, ich dachte als Erstleser, Harry hätte schon vorher Drogen genommen und vom Dealer lediglich eine neue Substanz bekommen. Aber was er bis dahin in seinem Medikamentenschrank aufbewahrte, scheint alles legal gewesen zu sein. Wobei man natürlich auch von Aufputsch- und Schlafmitteln abhängig werden kann.

Auch in diesem Heft finde ich Peter vom Zeichner nicht immer gut getroffen, aber auch beim Wechsel von Ditko zu Romita hat er sein Aussehen geändert. Auffällig ist, daß Peter hier zeitweise in angedeutetem Hippie-Look herumläuft: weit offenes lila Hemd mit Riesenkragen, lässige Weste, protzige Halsketten und Schlaghose – auch das ist ein abrupter Imagewechsel; im Wesenskern bleibt Peter allerdings derselbe. Als Kanes Inker tritt hier übrigens Frank Giacoia an; seine Arbeit wirkt sauber und präzise. John Romita wird hier in den Credits nochmal als „Künstler emeritus“ erwähnt – es war nicht sein erster Aussetzer seit „Spinne“ # 40.

In dieser Ausgabe gibt es noch eine Leserbriefseite. Nach der Einstellung etlicher Serien ist es vermutlich kein Zufall, daß sich die Schreiber hier alle positiv über Marvel und Williams äußern.

Geändert von Peter L. Opmann (25.04.2019 um 14:38 Uhr)
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