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Alt 22.03.2020, 07:59   #174  
Peter L. Opmann
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Die Fantastischen Vier # 35




Na, was soll ich von dieser Ausgabe halten? Einerseits finde ich sie sehr spannend, andererseits paßt da storymäßig so manches nicht zusammen. Die Zeichnungen finde auch ich dagegen ziemlich gut. Jack Kirby zeigt ein paar Kabinettstückchen, und Inker Chic Stone hat sich im Vergleich zu den vorherigen Ausgaben wieder gesteigert.

Der Kern der Story ist denkbar simpel – was nicht schlecht ist. Im Sinne von William von Ockham ist eine einfache Lösung einer komplizierten immer vorzuziehen. Hier: Die Furchtbaren Vier locken die FV auf ein abgelegenes Atoll und zünden dort, nachdem sie sich selbst rechtzeitig entfernt haben, eine Atombombe. Genial, aber Moment mal. War die Zeit so naiv oder war es doch Stan Lees Gedanke, daß eine Atombombe mal eben ein Problem lösen soll? Da müßte man sich doch eigentlich fragen: Woher haben die Superschurken diese Bombe? Wie können sie sie einfach so einsetzen? Ist das denn eine Mini-Atombombe, die gerade mal das Atoll zerstört und sonst offenbar keine besondere Wirkung hat? Fragen, an denen ich aus heutiger Sicht nicht vorbeikomme. Eine Ladung Dynamit hätte es wohl auch getan.

Eine fixe Idee scheint mir zu sein, daß Schurken bei ihm gern Pläne haben, bei denen jedes Detail absolut sicher vorhergesagt werden kann. So auch dieser Plan des Zauberers, der nun „schwingenloser Zauberer“ heißt – ein Name, der auf mich als Jugendlichen ziemlich Eindruck gemacht hat (das war wieder eine Ausgabe, die ich aus einem Superband kenne). Dabei ist dieser perfekte Plan ziemlich unnötig. Es reicht doch, die gefangene Sue Storm sozusagen als Köder auszulegen und dann, wenn die übrigen drei Gruppenmitglieder bei ihr eingetroffen sind, das Atoll in die Luft zu jagen. Zudem läuft ja gar nicht alles wie am Schnürchen: einmal paralysiert der Fänger (vormals Kleisterpeter) versehentlich seinen Kumpel Sandmann. Das war sicher nicht Teil des Plans des Zauberers.

Wie auch immer: bis zur Explosion funktioniert letztlich alles nach Wunsch des Zauberers. Allerdings hat er sicher nicht ins Kalkül gezogen, daß Sues Kraftfeld das Quartett der Guten schützt – bloß nicht perfekt. Die Detonation raubt allen ihre Superkräfte – ein Konzept, das Lee in dieser Zeit immer wieder verwendet hat. Auch Thor verliert im Silver Age seine Kräfte, Spider-Man durch einen simplen Schnupfen, Iron-Man muß öfter mal feststellen, daß seine Akkus völlig leer sind und so fort. Das Besondere hier: Die FV ohne Superkräfte, das ist der allererste Cliffhanger in ihrer Serie. Das ist schon einen besonderen Vermerk wert, daß Lee sich an einen Zweiteiler wagt, eventuell erstmals in der Marvel-Geschichte (das kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen).

Alles in allem ist die Story längst nicht so durchdacht, wie man beim ersten Lesen meint. Trotzdem: Sie liest sich gut, ist gleichermaßen spannend und unterhaltsam. Das liegt daran, daß hier eben nicht alles nach Plan oder Schema abläuft, sondern es immer wieder überraschende Wendungen gibt. Die Furchtbaren Vier entwickeln sich und tragen Konflikte untereinander aus. Medusa, die später zu einer positiven Figur wird, rückt hier schon mal ein bißchen von dem wirklich bösen Zauberer ab. Die FV starten wieder mal mit einem Soap-Element in die Story: Sue fühlt sich vernachlässigt und spielt ihrem Verlobten einen kleinen Streich. Der Verlauf dieser Episode wirkt aus heutiger Sicht beinahe frauenfeindlich, hat aber doch einen gewissen Charme. Ein Fragezeichen möchte ich auch hinter das Verhalten von Reed Richards setzen. Als Sue entführt ist, ist bei ihm von kühler Überlegung und strategischem Vorgehen fast nichts mehr zu merken. Er dreht durch und ist durch Unvorsicht und Kurzschlußentscheidungen dafür verantwortlich, daß die FV in die Falle tappen. Aber das macht ihn natürlich auch menschlich. Und nicht zuletzt gibt es in dieser Ausgabe mal wieder eine Menge Wortwitz – natürlich nur bei den Guten (vor allem beim Ding). Die Furchtbaren Vier, insbesondere der Zauberer, reden dagegen mit einem Pathos, das hoffnungslos altmodisch wirkt.

Letzte Anmerkung: Das Cover ist, anders als das erste mit den Furchtbaren Vier, nicht so gelungen. Es werden acht Figuren auf begrenztem Raum in Szene gesetzt, aber das Bild erklärt sich nicht von selbst und erzählt damit auch keine Geschichte. Die Größenverhältnisse stimmen nicht, und Ding ist ziemlich mies gezeichnet, was gerade auf dem Titelbild nicht passieren sollte.
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