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Alt 01.04.2008, 12:26   #10  
Peter_Wiechmann
am 11.01.2020 verstorben
 
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Dieser Landstrich wartet noch auf seine Entdecker


Außer ein paar Archäologen hat noch niemand die umliegenden Canyons so richtig durchforscht.

Felsmalereien gibt es. Wir haben sie schon gesucht und bewundert. Ein Bild in Ocker und rußigem Schwarz ist vier Handflächen groß. El Toro = der Stier! Ihm hat eine Kugel am Blatt die siebentausend Jahre alte Farbe durchstoßen. Aus dem Karabiner eines Guardia Civil.

Die Grünröcke mit ihren gelackten Dreispitzen sind hier nicht gern und dementsprechend selten zu sehen.
Und im Bürgerkrieg mussten sie um ihr Leben bangen. Unter den Geiernestern gibt es ein weit verzweigtes Höhlensystem in der senkrechten Wand. Das kann der geübte Kletterer ohne Seil erreichen. 30, manchmal sogar 40 Flüchtlinge überleben in diesem Refugium in enger Drangsal weitab vom Pueblo.


Unter Geiern - Peter - Der Geier


Geier - Geierkopf

Republikaner, Falangisten, Kommunisten, Freischärler. Freund und Feind ist hier auf neutralem Boden in Schicksalsgemeinschaft versammelt. Ein geheimer Schutzraum auf der geheimen Route nach Frankreich.
Abends lassen sie leere Körbe hinunter und ziehen sie mit Brot und wässrigem Wein und ein paar Früchten wieder hoch. Das Dorf hat in den Bürgerkriegswirren nicht viel zu geben. Aber Schutz. Die verhassten Guardias wissen von dem Refugio ... aber sie wären tot, würden sie sich da einmischen.

Später – nach 1939 – da machen die Guardias Jagd auf die Maquis. Auf die Übriggebliebenen des Bürgerkriegs, die in kleinen Banden im wilden Land, in der undurchdringlichen Maccia ein jämmerliches Dasein führen. Ab und zu eine Gemse im Kochtopf, erpresste Nahrung aus den vergessenen Dörfern. Erst als legendäre Helden geduldet, dann als lästige Erpresser in Ungnade gefallen ... und dann den Guardias zur Beute freigegeben. Ein paar Scharmützel ... und der Nachkrieg ist vorbei.

Die Peters winden sich durch die blankgeriebenen Gänge. Cocina steht in roter Schrift über einem der Gewölbe. Bodega über einem anderen. Der Abtritt ist ein Spalt, der senkrecht in das Berginnere abfällt.
Wasser gibt es auch: Tropfen für Tropfen plinkt es in eine in den Felsen gehauene Schale. Man denkt an Weihwasser ...


Die Vorratskammer im Labyrinth der Deserteure – Die Wasserstelle im Refugio

Durch den malerischten aller Canyons hat sich der Guadelope sein Bett gefräst. Für das wasserlose Land fast ein Fluss – voller Forellen und Krebse. An seinen Ufern Weinbäume ... Pappeln, die bis in die Spitzen von Weinranken umwuchert sind. Pralle Trauben locken noch in zehn Metern Höhe. Feigenbäume, leuchtende Granatäpfel. Zeugnisse alter Gärten und Ansiedlungen ... vor 100 und mehr Jahren verlassen.

Auch Steinzeitland. Die Freunde sitzen in einer nach vor offenen Höhle, schauen auf den Fluss und stellen sich vor: eine kleine Horde Frühmensch konnte hier Unterschlupf finden. Nach hinten geschützte – nach vorn freies Blickfeld auf das kleine Tal. Wasser in Hülle und Fülle ... also auch Tiere darin und daran.



Kanu und Korando – Pfeilspitzen nach Steinzeitart


10 Kilometer zu Fuß Bachabwärts


Ein Jahr später buddeln an exakt dieser Stelle eine Archäologie-Professorin zusammen mit ihren Studenten. Da wo die Freunde gesessen hatten, ist eine Steinzeitwerkstatt freigelegt. Manufaktur für Pfeilspitzen, Schaber, Messer aus Flint. Die Professorin grummelt. Sie hat ihren Archäologenhammer vergessen. Die Freunde helfen mit ihrem aus. Ein Geschenk interessierter Laien an die Wissenschaft. Freundschaft wird geschlossen. Die beiden Peters erfahren, dass keiner der hoffnungsvollen, engagierten Studenten je eine viel versprechende Posten in der Forschung haben werden. Sie gehen perfekt und lange ausgebildet in ein Leben, das sie nicht braucht. In Spanien sind erst ein Zehntel aller archäologischen Schätze geborgen. Aber die Museen sind voll. Die Archive platzen aus allen Nähten. So kartografiert man die Lagestätten der pueblos inbericos, der pinturas rupsteres und überlässt die wissenschaftliche Erschließung nachfolgenden Generationen oder dem nächsten Erdbeben.



Felsmalerei

Die Freunde machen sich zu einem sagenumwobenen Dorf auf. Davon gibt es wenige im Areal des Abenteuerlandes. Wenige Dörfer, wohlgemerkt – sagenumwoben sind die wenigen allesamt. Cuevas de canard ist vom Hauptquartier in Ladrunan aus per strammen Fußmarsch durch eine wasserdurchrauschte Klamm zu erobern. Teile einer mittelalterlichen Stadtmauer. Ein Torbogen. Enge Gassen, bei denen sich die Häuser zum Himmel hin zueinander neigen. Die Templer haben einst von hier aus ihre Ländereien verwaltet. Ein alter Bischhofssitz prangt in verblasstem Prunk. Eine Kathedrale ragt. Eine andere Kathedrale in Ruinen. Hier sollen die Mönche aus dem Felsenkloster hingezogen sein ... weil deren Abt vor 400 Jahren das Hangende der Felswand über dem Klosterdach fürchtete. Doch Die Furcht war unbegründet: der Felsen hat ich nicht gerührt! Die Klause eines Eremiten auf dem Hügel in der Stadt. Reste. Ein Konvent hinter hohen Mauern. Aus alter Zeit, in der Priesternachwuchs noch von allem abgeschlossen herangezogen wurde. Hoch über dem Dorf ein Wasserfall.
Und darüber auf dem Plateau Silhouettengräber. In Körperform in den Fels gemauert – mit Steinplatten abgedeckt. Letztere sind zerbrochen und die Bruchstücke verstreut. Ein heiliger Ort. Man schaut von dort herab auf das Dorf – erkennt es kaum, so sehr machen es die Erdfarben von Mauern und Dächern eins mit der felsigen Umgebung.



Auf Pilgerfahrt zum Wasserfall über Cuevas de Canard - Peter nimmt Maß im Silhouettengrab

Aber man kann sich der Frage nicht erwehren: wie in Gottes oder Drei Teufels Namen kommt eine derartige Ansammlung von christlichem Überangebot und heidnischer Präsenz hier in das Nirgendwo? Templer, Priester, Schamanen ... sie residieren meist in Gegenden mit Ressurcen. Menschlichen! Aber hier war nichts, hier ist nichts und hier wird nie etwas von Bedeutung sein. Kein Heer- oder Salz- oder bedeutende Handelsstraße kreuzte hier. Hier ist Worlds End, hier sage sich die Füchse gute Nacht. Im Dorf vielleicht einst 300 Einwohner – jetzt 80. Das sind keine Zahlen für Seelenfänger. Und Drumherum auch nichts von Bedeutung. Ein weiteres kleines Dorf noch – dann ist auf 50 Kilometer in alle Richtung Felsland mit Maccia. Die Freunde fragen sich vieles, aber können kein Rätsel lösen. Die Einwohner auch nicht.
Ein im fernen Barcelona reich gewordener Sohn des Dorfes ist im Alter zurück gekommen. Er hat den Bischofssitz in ein bizarres Hotel gewandelt.
Aber er bekommt keine Angestellte, die länger in dieser Einsamkeit ausharren. Der letzte Koch flüchtet gleich bis in die Karibik ... Aber der wohlhabende Sohn des Pueblos richtet ein Museum ein, kümmert sich um die alten Urkunden, gräbt Erkenntnisse aus. Eine davon: das Dorf ist weit über 1.200 Jahre alt. Es hat also viel erlebt im Wandel der Geschichte ...

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