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Alt 05.05.2018, 10:46   #99  
Peter L. Opmann
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Die Spinne (Williams) 20

Erscheinungstermin: 10/1974

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 18
2) Tales to Astonish # 90

Story-Titel:
1) Das Ende der Spinne
2) ohne Titel (Und siegen wird Byrrah!)

Original-Storytitel:
1) The End of Spider-Man!
2) To be beaten by Byrrah!

Zeichnungen:
1) Steve Ditko
2) Bill Everett

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



„Diese Geschichte ist wahrlich der Knüller der Marvel-Saison.“ Solche und ähnliche Sprüche liest man in praktisch jeder Ausgabe. Doch ich muß sagen: Bisher ist mir diese Episode zwar nicht besonders aufgefallen (obwohl ich sie irgendwann auch mal gelesen habe). Doch Lee und Ditko tun hier tatsächlich einiges, um gewohnte Superhelden-Klischees in Frage zu stellen. Offiziell kämpft die Spinne hier gegen den Sandmann (tauchte erstmals in „Spinne“ # 6 auf), aber eigentlich gerät Peter Parker hier von einer Schwierigkeit in die andere. Er steht so unter Druck, daß er hier kaum als Spinne auftritt; das Konzept „Superhelden mit Problemen“ wird erstmals richtig ernst genommen. Ich sehe die Ausgabe als Gegengewicht zu „Spinne“ # 8; im Kampf gegen den lernfähigen Roboter war das humoristische Potential der Serie voll ausgeschöpft worden, jetzt wird alles herausgeholt, um tragische Verstrickungen zur Geltung zu bringen.

Tante May ist schwer herzkrank. Sie ist zwar aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, braucht aber Peters pflegerischen Beistand und teure Medikamente. Das bedeutet, daß Peter dringend Geld auftreiben muß (ein amerikanisches Problem, wo viele Menschen zu dieser Zeit nicht krankenversichert waren), und er wagt nicht mehr, als Spinne auf Verbrecherjagd zu gehen, weil Tante May außer ihm niemanden hat (das stimmt freilich eigentlich nicht; es gibt ja die fürsorgliche Anna Watson, die hier seltsamerweise Watkins heißt – aber völlig unglaubwürdig ist die Sache nicht).

Zunächst wird die Situation der vorherigen Ausgabe aufgegriffen: Die Spinne war vor dem Grünen Kobold abgehauen (in Wirklichkeit war sie ins Krankenhaus zu Tante May geeilt). Das war ein gefundenes Fressen für J. J. Jameson. Das ganze Heft hindurch weidet er sich an diesem Versagen und ist so guter Laune, daß ihn seine Angestellten kaum wiedererkennen. In der Öffentlichkeit wird breit diskutiert, was mit der Spinne los ist, aber die meisten neigen dazu, Jameson zu glauben. Inzwischen bleiben die Bemühungen der Spinne, an Geld zu kommen, erfolglos. Ein Sammelbildproduzent hat kein Interesse an einer Bilderserie, und die Industrie kauft auch nicht das besonders reißfeste Netz, weil es sich nach kurzer Zeit von selbst auflöst. Was nun? Tante Mays Arznei ist beinahe erschöpft.

Eingestreut werden die Probleme zwischen Peter und Betty Brandt. Betty ist nun soweit, daß sie mit Peter Schluß machen will (was allerdings nicht richtig erklärt wird). Als er sich mit ihr aussprechen will, geht sie nicht ans Telefon. Stattdessen beginnt sie, einen anderen Typen zu daten (der dem Leser allerdings nicht näher vorgestellt wird). Und hinzu kommen auch noch Probleme mit Flash Thompson. Er faßt den Plan, noch einmal als Spinne aufzutreten (wie schon in „Spinne“ # 7) und sich von der echten Spinne retten zu lassen, wenn einer der Supergegner auftauchen sollte. Klingt wie: Ich nehme jetzt Strichnin, und dann gehe ich zum Arzt. Aber Flash ist ein solch hirnrissiger Plan durchaus zuzutrauen.

Flash legt sich zwar nur mit drei Autoknackern an, wird aber von ihnen übel verdroschen, und Peter überläßt es zwei Polizisten, ihn zu retten. All die Probleme enden erst, als der Doktor Tante May bescheinigt, wieder gesund zu sein. Peter hatte das Spinne-Kostüm schon in den Mülleimer geworfen (ein Motiv, das später noch häufiger vorkommt); jetzt zieht er es wieder an. Er hat erkannt, daß er die Pflicht hat, seine Superkräfte zum Guten zu nutzen (siehe die allererste Episode: „Mit großer Kraft kommt große Verantwortung“), und will das nun wieder entschlossen tun. Die nächste Ausgabe wird aber nur in wolkigen Worten angekündigt.

Eine Spinne-Episode ohne großen Kampf (wenn auch nicht ohne Action). Der Sandmann tritt eher alibihaft auf und hat auch nur eine Nebenrolle. Woher er kommt und was er vorhat, spielt hier keine Rolle. Ansonsten nichts als Querelen wegen Tante Mays Krankheit, mit Betty, mit Flash, mit Jameson – hier sind das keine bloßen Versatzstücke, sondern man spürt das Bemühen, das äußerste an Tragik aus der Story herauszuholen, wenn auch nicht alles wirklich logisch aufgebaut und gut erzählt ist. Es war für die damalige Zeit sicher ein Wagnis, eine solche Geschichte zu präsentieren, die so manche Erwartungen unterläuft und düpiert.

Noch ein Blick auf die Leserbriefseite dieses Monats. Bemerkenswert fand ich schon als Kind den Brief eines 14jährigen, der sich an der sensationsheischenden Sprache der Marvels stört, was er für eine reine Marketingmasche hält. Ansonsten fünfmal Lob und einmal Kritik (wieder ein Leser, der die Hefte mit den alten HIT-Comics vergleicht).
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