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Alt 29.01.2022, 13:25   #48  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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Aus The Shades Journal

Der verrückte Hutmacher fegte Hughes beiseite und griff uns an. Die Sonne schien durch die Sprossenfenster, ihre Strahlen trafen auf den Flecken Schaum im Mundwinkel des Hutmachers. Seine Augen rollten wild und schienen auf Mild fokussieren zu wollen während sein Blick immer nur für kurze Zeit auf Dan oder mir verharrte.

Mild zog seine Waffe und gab in derselben Bewegung und in schneller Folge drei Schüsse ab. Es schlug in der Brust des Hutmachers und mit jedem Treffer schüttelte es ihn ohne ihn jedoch nennenswert bremsen zu können.

"Shade! Tun sie was!", keuchte Mild als der Angreifer auf ihn zusprang und beide über einen Sessel fielen. Dan hatte seine Waffe ebenfalls gezogen, beschränkte sich aber darauf dem Geschehen fasziniert zuzuschauen.

Der Hutmacher hockte hinter dem Sitzmöbel auf Mild. Der wiederum tat alles in seiner Macht stehende um den Verrückten davon abzuhalten ihm die Kehle aufzureißen. Wie ein Tier versuchte der seine Zähne in seinen Hals zu schlagen und kamen seinem Ziel, die Bemühungen Milds nutzlos wirken lassend, immer näher.

Meine Schatten erschienen wie hässliche Blüten und gingen auf die beiden nieder, Mild wie auch den Hutmacher. Mild war vor ihnen sicher, weil ich es so wollte. Für den Hutmacher hatte ich allerdings andere Pläne. Unglücklicherweise galt das auch für ihn und so entwischte er einen winzigen Augenblick bevor sie ihn erreichten.

"Whoa", flüsterte Dan, noch immer wie erstarrt. "Er ist weg."

"Ist er nicht, du Trottel! Guck doch!"

Hughes bellte die Worte heraus. Dan und ich drehten uns um, sahen wir er ruckartig und schwankend auf die Beine kam und in eine andere Ecke des Raumes wies. Grinsend stand dort der Hutmacher.

"Ein oder zwei", murmelte er um lauthals loszulachen mit einem an eine betrunkene Tuba erinnernden Schmettern.

Mild stürmte vor und gab im Laufen zwei weitere Schüsse aus seiner 45er ab. Gleichwohl hart getroffen wirkte er deutlich wacher als Dan und war sich dessen auch bewusst.

"Dan!", schrie er. "Schieß doch, du Affe! Was ist los? Schieß!"

Mild traf den Hutmacher zweimal. Einmal im Gesicht und in der Wange den Kiefer. An der Seite explodierte der Kopf regelrecht in einem Blutregen, doch selbst das zeigte keine Wirkung. Meine Geister folgten unmittelbar auf Milds Geschosse, einer hakte sich in seinem Mantel ein als sich der Hutmacher mit einem Kichern erneut auflöste.

"Das ist doch verrückt", sagte Dan.

"Wissen wir", fuhr Mild ihn an.

"Sollten wir Mr. Hughes nicht besser nach draußen bringen?", gab ich zu bedenken.

"Ja", sagte Mild, sichtlich angeschlagen. "Kommen sie Mr. Hughes, lassen sie uns gehen bevor die Cops kommen. Meine Schüsse werden nicht unbemerkt..."

Dan schrie auf. Er stand dort, hielt sich den Bauch und schaute geschockt auf den roten Fleck hinunter, der schnell größer wurde. Größer, als er von einer kleinen Wunde herrührend sein durfte. Eine solche war nicht zu sehen. Der Hutmacher stand an seiner Seite, ein blutiges Messer erhoben. Er lächelte uns an, küsste Dan leicht auf die Wange und verschwand erneut, ein letztes Mal an diesem Tag...

... kaum dass Dans Eingeweide den Weg nach draußen fanden und mit einem Schlag auf seinen zweifarbigen Oxfords landeten. Die Wunde war ein gewaltiger Schnitt, der nun, da seine Innereien austraten erst sichtbar wurde und sich vertikal über seinen gesamten Rumpf zog.

Dan öffnete den Mund. "Ich wurde...", begann er. Dann fiel er tot zu Boden.

"Kommen sie", sagte Mild in Richtung Hughes hektisch zur Tür weisend. "Nicht, dass der Hutmacher auf die Idee kommt, die Nummer ein zweites Mal zu versuchen."

Hughes richtete seine Krawatte als er ins Licht trat. Ich sah zurück in den Raum als wir gingen. Ein stilles Lebewohl an Dan gerichtet, der in einem Haus wie diesem leben wollte und nun in einem solchen starb. Dann sah ich zu den anderen Männern, die starben als sie versuchten Hughes zu beschützen. Männer, deren Namen ich nie erfuhr.

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"Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass wir nichts mit Gewissheit sagen können. Außer, dass es nirgends sicher ist."

Während er sprach ging Hughes leicht gestikulierend herum um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, dabei sorgsam jeden Blick in meine Richtung vermeidend. In der Tat wirkte er auf mich ein wenig scheu wie er darauf achtete keinerlei Blickkontakt zu mir herzustellen.

"Das ist alles verrückt. Ich bin ein Mann der Logik, ein Geschäftsmann, der Wissenschaft. Ich weiß nicht wie ich mit diesen Dingen umgehen soll. Deshalb habe ich sie hinzugezogen."

"Mr. Hughes, sie haben mich nicht hinzugezogen, sie haben mich engagiert. Was immer ich für sie tun kann und werde, es wird sie Geld kosten. Eine Menge Geld angesichts der Gefahr."

"Wie gut, dass ich mehr als genug davon habe, nicht?"

"Sam", sagte Hughes und drehte sich zu Mild hin um. "Wie wäre es wenn du Mr. Shade und mir einen Drink holst."

Mild sah Hughes und mich mit einem für einen kurzen Augenblick feindseligen Blick an. Er war ein Mann fürs Grobe, kräftig, mutig und schnell. Er war niemandes Bediensteter oder gar Kellner. Wir beide waren uns dessen bewusst. Hughes schien das anders zu sehen oder es interessierte ihn schlicht nicht wie Mild darüber dachte. Er wandte sich von seinem Handlanger ab und schaute aus dem Fenster.

"Ach, und hol dir auch einen. Wenn wir uns gleich zusammensetzen und die Sache besprechen - ich denke, nach allem was passiert ist kannst auch du einen gebrauchen."

Milds Gesichtszüge entspannten sich.

"Sicher Mr. Hughes. Das werde ich dann mal tun. Shade, was bevorzugen sie?"

"In der Annahme, dass ich so weit westlich von Mason-Dixon keinen Absinth bekomme, wird es auch ein kleiner Sherry tun."

"Mr. Hughes?"

"Eine Limonade."

Mild verließ das Zimmer. Hughes schaute weiter aus dem Fenster auf die Abenddämmerung. Wir befanden uns in einer Suite des Beverly Hills Hotels. Die Möbel waren vom Feinsten und wirkten einladend. Hughes schien dafür jedoch kein Auge zu haben. Er stand am Fenster und vermied weiter jeden Blickkontakt.

"Es sind also immer Figuren aus Alice im Wunderland?", eröffnete ich das Gespräch.

"Wenn ich das richtig zusammenbekomme, ist das so, ja." antwortete Hughes. "Die Angriffe erfolgen unregelmäßig. Vor einigen Tagen fing es an. Ich nehme an wir haben nun ein wenig Zeit der Sache auf den Grund zu gehen bevor der nächste Angriff erfolgt."

"Haben sie eine Idee wer dahinter stecken könnte?"

"Nein."

"Eine Idee welches Motiv dahinter stehen könnte?"

“Nun, ich habe viele Feinde. Ob nun im Filmgeschäft oder der Flugbranche. Meinen verschiedenen Investments. In jedem dieser Betätigungsfelder habe ich eigene Gegner, Konkurrenten und Menschen, deren Wege sich mit den meinen kreuzten. Mild hat diesbezüglich Nachforschungen angestellt. Niemand von denen verfügt über die Möglichkeiten Derartiges zu tun … unbesiegbare Kreaturen aus Kinderbüchern zu beschwören.”

“Das ist eine gefährliche Angelegenheit”, sagte ich. “Ich frage mich ob ich mich der Sache wirklich annehmen soll.”

“Oh, das werden sie.”

“Drohen sie mir?”

“Nein, nicht einmal ansatzweise. Es ist nur so, ich kenne sie.”

“Tun sie das?” Ich sagte das mit einem amüsierten Lächeln. “Ich erinnere nicht, dass sich unsere Wege bereits einmal kreuzten.”

Hughes lächelte. “Ich kenne sie, weil sie genauso sind wie ich. Ein Teil von uns … von uns beiden, gleicht dem jeweils anderen. In unserem Inneren, unseren Herzen oder unseren Köpfen. Und von einer Angelegenheit wie dieser - etwas Unerklärlichen und Tödlichen - sind wir fasziniert, der Furcht davor, die uns unwiderstehlich anzieht, wie die Motten das Licht. Wir müssen dem nachgehen, es finden und das Geheimnis hinter der Angst ergründen.”

“Sie glauben mich gut zu kennen.”

Hughes nickte während er weiter nach draußen auf die feurig roten Wolken schaute.

“Auf ihnen lastet ein Gewicht. Manchmal wiegt es so schwer, dass sie fürchten sich nicht mehr rühren zu können. Ein Gewicht so dunkel und voller Kummer. Manchmal ergreift es ihre Lungen und sie können nicht atmen. Und manchmal wirkt ein grauer Nachmittag auf tragische Weise schön weil sie wissen, dass kein anderer Nachmittag, und sei er noch so schön, sein wird wie dieser. Sie verstehen nicht zu lieben. Sie streben nach dem Glück, doch sie wissen nicht wie. Sie, Shade, sind unsterblich und wissen nicht wie sie damit glücklich sein können. Ich hingegen schwimme im Geld und bin bei dieser Suche ebenso wenig erfolgreich. Manchmal zittern ihre Hände. Keine körperliche Reaktion. Es ist die Furcht vor etwas Unbekanntem. Etwas dort draußen. Und mit jedem Schrecken, der ihnen begegnet, fragen sie sich “War es das? Das Ding, das ich fürchte.” Doch das ist es nie.”

Hughes machte eine Pause.

“Und diese Last wird von mal zu mal schwerer.”

Ich senkte den Kopf. “Sie kennen mich in der Tat gut.”

Hughes wendete sich mir zu. Für einen Augenblick von seinem guten Urteilsvermögen und meinen Eingeständnis ermutigt sah er mir in die Augen, kurz lächelnd bevor er sich wieder abwendete.

“Ich weiß das von mir”, sagte er. “Ich kenne mich nur zu gut.”

Mild kam zurück, drei Getränke auf einen Silbertablett. Hughes nickte in seine Richtung.

“Sam hier hat seine ganz eigenen Sorgen und Nöte. Er ist ein Spieler und hat an jeder Ecke Schulden. Er hat eine Freundin deren Ex nichts unversucht lässt sie beide umzubringen. In seinem Kopf steckt eine Zinnplatte, Folge eines Unglücks in 1933. Und dennoch weiß er wie Zeiten des Glücks finden kann.”

Hughes wandte sich Mild zu.

“Ist es nicht so, Sam? Keine düstere Last auf deinem Herzen?”

“Nicht die Spur, Mr. Hughes.”

“Wie sind sie zu dem Metall im Kopf gekommen”, fragte ich. “Eine Bandengeschichte?”

“Spanien. Der Bürgerkrieg. Ich war jung, dumm und glaubte noch an etwas.”

Mild zündete sich eine Camel an, die letzten Worte mit ein wenig Rauch aus dem Mundwinkel ausatmend. Dann entfernte er ein wenig Tabak von seiner Zunge bevor er fortfuhr.

“Heute bin ich schlauer.”

“Nun, Mr. Shade”, warf Hughes ein. “Wie gedenken sie in dieser Sache weiter vorzugehen?”

“Ich denke, Mild und ich sollten uns noch einmal in der Stadt umschauen. Diesmal mit meinen Augen, Sam. Einer neuen Sicht auf die Dinge. Und vielleicht sollten wir uns erneut mit dem befassen, was sie bereit ermittelt haben.”

“Nun gut. Die Nummer ist wirklich zu groß und verrückt als dass ich behaupten könnte alles Wichtige in Erfahrung gebracht zu haben. Ein zweiter Blick darauf wird sicher nicht schaden.”

“Doch das Wichtigste zuerst”, sagte ich.

“Das wäre?”

“Unsere Drinks, Mr. Hughes.” sagte ich, mein Sherryglas zum Mund führend. “Unsere Drinks.”

Wir saßen dann schweigend beisammen, genossen die Stille und die Kühle der Dämmerung wie sie in den Abend überging. Die Nacht würde gefährlich werden, war aber noch Stunden entfernt.



Geändert von LaLe (30.03.2022 um 16:44 Uhr)
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