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Alt 18.12.2020, 20:01   #88  
Peter L. Opmann
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Hier nun die erste meiner beiden Besprechungen:

The Incredible Hulk # 5 (Januar 1963)
Marvel Klassik, Marvel Deutschland (Panini) 1999
Titel: Die Schöne und das Biest / Die Horden des General Fang!
US: Beauty and the Beast! /The Hordes of General Fang!
Autor: Stan Lee
Zeichner: Jack Kirby
Tusche: Dick Ayers

Ziemlich gewöhnungsbedürftig, dieser intelligente Hulk. Das entspricht dem Vorbild von Dr. Jekyll und Mr. Hyde – Hyde hat nur einen anderen Charakter als sein Alter Ego, aber er ist nicht naiv und dumm.
Beginnen wir mit der ersten Story: General Ross verlangt von Bruce Banner, den Hulk dingfest zu machen. Aber er hält nicht viel von dem Zivilisten. Betty, die Bruce liebt, ist im Zwiespalt: Nicht nur fürchtet sie, daß ihr Vater diesen Heiratskandidaten nicht akzeptieren wird, sie ist sich auch nicht sicher, ob ihre Liebe erwidert wird. Nachdem dieser Konflikt angedeutet ist, kommt unvermittelt Tyrannus in den Blick, ein Herrscher über die unterirdische Welt (wie der Maulwurf, nur erscheint Tyrannus eher wie ein römischer Feldherr). Der blonde Schönling verfügt über eine Quelle ewiger Jugend, aber er ist damit nicht zufrieden. Er will Banner benutzen, um die Weltherrschaft zu erringen, und dazu muß er Betty kidnappen (klingt nachvollziehbar, aber wieder mal konzentriert sich die Weltgeschichte auf ganz wenige Figuren, die zufällig auch die Helden unserer Comicserie sind). Als angeblicher Archäologe führt Tyrannus Betty in eine tiefe Höhle, doch Banner schöpft Verdacht. In seinem Labor verwandelt er sich in den Hulk und nimmt Rick mit, als er in die Höhle eindringt. Er wird allerdings durch ein Betäubungsgas überwältigt. Tyrannus macht ihn auf römische Art zu einem Gladiator und läßt ihn in einer Arena gegen einen großen Roboter antreten („Jetzt kommt der Unterhaltungsteil.“). Hulk schlägt die Maschine in Stücke, aber Tyrannus hat noch die Geisel und betäubt ihn erneut mit einer nicht näher bezeichneten Pistole. Nun muß der Hulk im unterirdischen Reich Sklavendienste leisten. Aber Rick hat sich unbemerkt davongemacht und befreit Betty. Nun kann der Hulk unbehelligt zuschlagen. Es kommt zur letzten Konfrontation mit Tyrannus, bei der sich Lee und Kirby ein Motiv aus der Bibel ausborgen. Wie der Richter Simson bringt der Hulk zwei tragende Säulen zum Einsturz. Die Trümmer seines Palasts begraben Tyrannus unter sich. Das Happy End hat nur einen Schönheitsfehler: Betty hat einen Schock erlitten, und der Hulk fürchtet, daß sie nun Bruce Banner nicht mehr lieben kann.
Nun zur zweiten Story: Sie ist von der ersten weitestgehend unabhängig. Thunderbolt Ross will nun den Hulk selbst zur Strecke bringen, mit einer Eisbombe… äh, also er wird von einem Projektil getroffen und vereist, aber das kann den grünen Goliath nur kurzzeitig aufhalten. Hulk und Rick treffen sich in der Höhle, und der Leser wird diesmal Augenzeuge, wie sich der Hulk in Banner zurückverwandelt. Problem: Der Hulk leistet dagegen zunehmend Widerstand – Banner fürchtet, er werde es vielleicht bald nicht mehr schaffen, „normal“ zu werden. Wie zuvor Tyrannus werden auch Hulks neue Gegner übergangslos eingeführt. In Tibet macht ein Diktator von sich reden: General Fang. Banner hört von ihm im Radio, fürchtet um den Weltfrieden und macht sich als Hulk auf den Weg, als guter Amerikaner Recht und Ordnung wiederherzustellen. Dazu reist er – wie schon erwähnt – im Flugzeug und erschreckt eine Stewardess. Zuerst läuft er in Taiwan einer US-Einheit über den Weg, die sich dort bereit hält. Die GIs sehen in Hulk einen Feind, können ihn aber nicht aufhalten. Mit einem Sprung erreicht er China und verkleidet sich als Yeti (die Entfernungen zwischen Taiwan, der chinesischen Küste und Tibet werden hier – nun, sagen wir: vernachlässigt). Fang faßt jedoch das Auftauchen des Yeti ganz richtig als versuchten Angriff auf und mobilisiert seine Truppen, die der Hulk aber mühelos aufmischt. Auch Rick darf helfen. Hulk greift sich Fang und springt mit ihm zurück nach Taiwan, wo sich die US-Truppen weiter mit ihm befassen sollen. Im Schlußpanel zeigt sich der Hulk als unberechenbar und stößt düstere Drohungen gegen die Menschheit aus.

Lee und Kirby probieren hier Verschiedenes aus. Im ersten Teil wird eine melodramatische Liebesgeschichte von Bruce und Betty aufgetischt, denen der Hulk im Weg steht. Das ist das gleiche Muster wie bei Spider-Man und anderen Marvel-Helden. Im zweiten Teil geht es eher um das Ringen von Banner und dem Hulk um die geistige Führung. Wenn ich mich recht erinnere, spielen beide Themen im Folgenden weiter eine Rolle. Nur der Hulk, der über eine ansehnliche Bibliothek verfügt und nahezu so klug wie Banner ist, wird dann bald ad acta gelegt. General Ross nimmt hier mit seinem fanatischen Haß auf den Hulk J. Jonah Jameson voraus. Die Plots der beiden kurzen Episoden selbst sind einfach gestrickt und bieten wenig Interessantes. Trotz seiner geistigen Fähigkeiten löst der Hulk Probleme weitgehend durch Zuschlagen. Und dabei ist es ja auch geblieben. Auffällig ist, daß beide Storys einem Muster folgen: In der Einleitung geht es um Ross und seine vergeblichen Versuche, den Hulk zu schnappen. Dann kommt der eigentliche Gegner ins Blickfeld. Hulk springt hin und räumt gründlich auf. So simpel konnte es eigentlich auf Dauer nicht weitergehen. Gut hat mir die Grafik gefallen. Praktisch ansatzlos und innerhalb weniger Ausgaben hat Jack Kirby eine Hulk-Ikonografie entwickelt, die lange das Maß der Dinge bleiben wird. Dick Ayers inkt ihn sorgfältig – die beiden hatten bei Marvel durch zahlreiche Monster-, Western- und Kriegscomics schon viel Routine entwickelt.

Geändert von Peter L. Opmann (20.12.2020 um 17:29 Uhr)
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