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Alt 30.09.2021, 10:14   #43  
Uhrviech
Digedags-Spezialist
 
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Zitat von pteroman Beitrag anzeigen
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Auffällig für mich als Laien ist, dass es keine Werke seiner Gegner gibt, in denen die ihm seine Argumente eines nach dem anderen zerpflückt hätten (wie es eben mit Phantasten wie Däniken, Berlitz etc. geschehen ist). Er ist wohl in Marginalien widerlegt worden, aber seine Hypothese scheint immer noch auf stabilem Fuße zu stehen....

Möchte auch gar keine Illig-Diskussion vom Zaune brechen und wenn jemand ein Werk weiß, das ihn und seine Thesen kenntnisreich abschießt - bitte her damit! Falls nicht, muss ich ihn fairerweise erst mal als unwiderlegt gelten lassen, so kurios die Sache auch klingen mag.
Ich habe diese Themen früher sehr gemocht und war 1973 sehr beeindruckt von Dänikens Film "Erinnerungen an die Zukunft", der allerdings im Potsdamer Thalia nach wenigen Tagen Spielzeit abgesetzt wurde.
Mit wachsendem Geschichtsinteresse und -Bewusstsein konnte ich aber bald nur noch darüber schmunzeln und die Flut der pseudowissenschaftlichen Bücher und TV-Dokumentationen in der Nachwendezeit führten dazu, dass ich bald komplett für diese "Erkenntnisse" dicht machte und eher an populärwissenschaftlichen Büchern von Hawkins & Co. interessiert war. Also von der irdischen Geschichte weg - hin zur kosmologischen ...

So sind die beiden erwähnten Arbeiten von Illig für mich bislang nicht mehr als Buchtitel gewesen. Na mal sehen, vielleicht raffe ich mich ja doch noch mal auf mir ein eigenes Urteil zu bilden - vor allem nach dem ich bei amazon.de diese Rezi von M. Thomaschuetz gelesen habe:

Illig ist längst widerlegt
Rezension aus Deutschland vom 5. August 2007
Heribert Illig stellt sich mit diesem neuen Machwerk wieder einmal in eine lange Reihe von Pseudo- und Parawissenschaftlern und wird vom wohlwollenden Amazon-Rezensenten Detsch nicht umsonst an anderer Stelle als der "neue Däniken" bezeichnet. Warum bleibt die Wissenschaft dann die Antworten schuldig (Zitat Rezensent Sarge weiter unten), ist etwa die "Widerlegung schwierig"? (Zitat Rezensent O. Weber)

Dass sich Historiker nicht mit Illigs Thesen beschäftigen wollen, liegt nicht daran, dass sie ihnen unangenehm und besonders schwierig wären oder dass das Standesdünkel sie davon abhielte, sich mit "Außenseitertheorien" zu beschäftigen, sondern daran, dass Illig eben wissenschaftlich nicht exakt arbeitet und sich damit selbst außerhalb der wissenschaftlich fundierten Diskussion stellt. Das Pro-Illig-Argument "Wenn Illig so leicht zu widerlegen ist, dann soll man es doch machen" schlägt nicht, denn selbst eine wissenschaftlich "einfache", aber doch exakte und somit von Illig nicht sofort wieder angreifbare Argumentation erfordert viel Arbeit und Zeitaufwand, die sich verständlicherweise kaum ein Historiker antut, da damit ja für die Wissenschaft und somit die akademische Reputation nichts zu gewinnen ist. Wenn man jede unwissenschaftliche (und Illig arbeitet eben methodisch unsauber und somit unwissenschaftlich) Meinung widerlegen möchte, kann man die eigene historische Forschung ad acta legen.

Dankenswerterweise haben sich doch einige Historiker die Mühe gemacht, Illig innerhalb der eigenen Wissenschaft zu widerlegen (hierzu gibt's im Internet einiges zu finden, weiters weisen andere Rezensenten darauf hin). Diese Argumente zählen aber natürlich für Vertreter Illigscher Thesen nichts, da Widerlegungen aus der historischen Wissenschaftsgemeinschaft mit den üblichen Verschwörungstheorien der Parawissenschaftler abgetan werden, was Illig immun gegen historische Kritik macht.

Daher ist es schön, dass man Illig auch naturwissenschaftlich widerlegen kann:

1. Die Dendrochronologie (Altersbestimmung durch Zählung der Jahresringe von Bäumen) belegt die klassische Geschichtsschreibung

2. Ebenso die C14-Methode der Altersbestimmung (die allerdings von der Genauigkeit ihrer Kalibrierung durch zweifelsfrei einordenbare historische Fundstücke abhängig ist, was ja für Illigs Anhänger auf Grund der weltumspannenden "Verschwörung" der Mediävisten nicht möglich ist...)

3. die Astronomie: Eines von Illigs Hauptargumenten ist ja die scheinbar widersprüchliche Gregorianische Kalenderreform. Dieses bricht bei näherer astronomischer Betrachtung in sich zusammen. Überhaupt bilden die genaue Zuordnungen astronomischer Ereignisse (und zwar weltweit, nicht nur in Europa) zu historischen Fakten eine exakt eichbare "Astronomische Uhr", die eben keinen Platz lässt für Illigs fehlende 300 Jahre (ausführlich in F. Krojer: "Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht." Leider ist dieses Buch bei Amazon nicht erhältlich - da Krojer, interessanterweise ebenfalls ein Amateurwissenschaftler, wissenschaftlich exakt vorgeht, ist sein Buch eben nicht so eingängig lesbar wie Illig und verkauft sich daher wohl nicht so gut...)

4. "Ockham's Razor": Dieses in den Naturwissenschaften angewandte Denkprinzip fordert die Akzeptanz der Theorie zur Erklärung von Fakten, die die geringsten Voraussetzungen erfordert. Hier scheitert Illig kläglich: Damit er Recht hat, braucht es eine ganz Europa umspannende Fälschungsaktion, die, ausgehend von einem oströmischen Kaiser, tausende Eingeweihte erfordert, die lückenlos zusammenarbeiten, ohne dass jemals etwas davon ans Licht kommt (bis Illig natürlich). Nicht schlecht fürs "finstere" Mittelalter. Da wird's doch wohl eine einfachere Erklärung für ein paar architekturgeschichtliche Besonderheiten und geringe Fundzahlen aus der fraglichen Epoche geben, der man dann gemäß Ockhams Rasiermesser den Vorrang geben sollte.

Trotzdem werden sich Illigs Bücher weiterhin gut verkaufen, steht er doch in einer Reihe mit den in unserer wissenschaftskritischen Zeit von vielen herbeigesehnten Verkündern eines Paradigemwechsels in der Medizin, Physik, Biologie, Psychologie und nun also auch der Geschichtswissenschaft...
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