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Alt 30.12.2017, 15:15   #3918  
Peter L. Opmann
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Die Zeit der vierteiligen Epen ist vorbei; soweit ich mich erinnere, für eine ganze Weile. Lee und Kirby versuchen jetzt, ungewöhnliche Geschichten zu erzählen, die auf 20 Seiten passen. Das ist hier nicht so gut gelungen. Es sieht alles ganz vielversprechend aus: Auf dem Cover wird mit dem Dritten Weltkrieg gedroht, den die FV verhüten müssen (ein ziemlich dramatisches Cover). Die Story erinnert von ihrer Grundstruktur her an Hitchcocks „Der Mann, der zuviel wußte“, ein Meisterwerk des Suspense, jedenfalls der neuere Film von 1954. Man weiß, daß ein Attentat unmittelbar bevorsteht, aber man weiß nicht, wer der Attentäter ist und wie genau er vorgehen wird. Aber in der FV-Fassung ist der Plot zu simpel konstruiert (bei einem Rahmen von 20 Seiten nicht überraschend) und wird daher nicht richtig spannend.

Es bleibt einfach zu viel im Vagen. Wir Leser sehen den Attentäter vom ersten Bild an. Er hat eine anscheinend furchtbare Waffe, die als Kamera getarnt ist. Im weiteren Verlauf erfährt man, daß sie „Neutrak-Strahlen“ verschießt (was auch immer das sein mag - garantiert eine Wortschöpfung von Stan Lee). Der Mann nennt sich „Monokel“ (einfach deshalb, weil er eins trägt – er sieht damit wie ein rechtsextremer Landjunker aus Hinterpommern aus).

Monokel hat es – getarnt als Journalist – auf die Vereinten Nationen abgesehen, wo gerade eine super-wichtige Konferenz stattfindet. Worum es eigentlich geht, wird nur leicht angedeutet. Ein Konflikt in Mittel-Ost (da hat der Übersetzer geschlampt; bei uns heißt das Mittlerer Osten) könnte sich zur Weltkatastrophe auswachsen. Hatten wir ja gerade auch wieder mal, als Trump Jerusalem zur Hauptstadt Israels aufwertete und die muslimische Welt gegen sich aufbrachte. Ein Konflikt in Mittel-Ost ist immer für globale Krisen und vielleicht für einen Dritten Weltkrieg gut. Wie zu erfahren ist, ist der Attentäter für irgendwelche dunkeln Hintermänner tätig, die beim Ausbruch des Dritten Weltkriegs in atomsicheren Bunkern verschwinden und hinterher auf die Erdoberfläche zurückkehren und die Erde beherrschen wollen. Ziemlich hirnrissiges Vorhaben, denn nach dem Dritten Weltkrieg wird es nicht mehr viel zu beherrschen geben.

Nun macht aber Monokel meiner Ansicht nach einen schweren Fehler. Bevor er seine Waffe für das Attentat benutzt, will er sie ausprobieren, und zwar an den Fantastischen Vier, die praktischerweise dazu beordert sind, die UNO-Konferenz zu schützen. Er bringt mit seinen Strahlen das Fantasticar zum Absturz, läßt ein Hochhaus umkippen (das offenbar wieder mal unbewohnt ist und nur durch den Sturz auf benachbarte Gebäude Schaden anrichten könnte), was Ding auf den Plan ruft, und Monokel beschäftigt die Fackel durch kleinere Sabotageakte. Dadurch aber werden die FV auf ihn aufmerksam und durchschauen seinen Plan. Dann muß Reed Richards nur noch einen Schritt tun: Er analysiert die Strahlen, die das Fantasticar zerlegt haben, und entwickelt eine Gegenstrahlung. Als Monokel mit seiner Kamera im UN-Hauptquartier Ernst machen will, aktiviert Reed den Gegenstrahl, und die tödliche Waffe explodiert in seinen Händen. Na super!

Ein paar Seiten sind noch übrig für Monokels Flucht. Reed hält er durch „Erschütterungsgeschosse“ auf Distanz; Sue, die ihn unsichtbar angreift, besiegt er mit einem einfachen Judo-Wurf. Die Fackel darf dann seinen Düsenanzug zerschmelzen, und Ding fängt ihn zum guten Schluß auf – immerhin mit einem ganz witzigen Spruch: „Dachtest du, ich halt‘ immer noch dieses komische Haus fest? Da staunst du, was? Ich bin nun mal Profi, du Held!“ Zwischendurch erleben wir, wie Crystal Johnny Storm, die Fackel, verläßt – sie muß auf Befehl von Black Bolt zu den Nichtmenschen zurückkehren. Damit wird ein neuer Handlungsstrang eröffnet. Aber so richtig dramatisch wird diese Trennung nicht; dafür ist einfach nicht genug Platz.

Nebenbei: Daß die Vereinten Nationen so ins Zentrum gerückt werden, wirkt eher peinlich. In der Zeit um 1970 waren Marvel-Helden dort öfters zugange, um den Weltfrieden zu bewahren. Heute wissen wir, daß die UN keineswegs die Weltregierung, sondern ein zahnloser Tiger sind, leicht zu blockieren und viel zu abhängig von amerikanischem Geld.

Im Vergleich zum Rumoren im unheimlichen Haus in der vorangegangenen Ausgabe wirkt diese Story sehr grob gestrickt (obwohl beide denselben Umfang haben). Ich glaube, das habe ich in den 1970er Jahren auch schon so ähnlich gesehen. So schlecht, daß ich nicht mehr hätte weiterlesen wollen, war die Ausgabe natürlich nicht. Doch auch an der Grafik von Jack Kirby und Joe Sinnott hätte ich diesmal etwas zu bemängeln: Kirby verwendet mehrmals große Gesichter (besonders Seite 13). Er wird dabei aber nicht detaillierter als bei den üblichen Kopfgrößen in kleineren Panels. Das sieht meiner Ansicht nach nicht gut aus. Kirby macht sich offenbar auf den Weg zur radikalen Reduktion seines charakteristischen Stils. Später, als die Entwicklung weiter vorangeschritten war, sah dann vieles bei ihm nicht mehr gut aus. Seine Zeichnungen taugten nur noch als Reminiszenz an seine guten Zeiten im Silver Age.
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