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Alt 19.08.2017, 11:21   #3774  
Peter L. Opmann
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Ein unentdecktes Land zu erkunden, ist eine klassische Heldenaufgabe. Marvel-Superhelden tun das nicht so oft, weil sie sich bekanntlich meist in New York bewegen. Aber hier benutzt Stan Lee als Kulisse ein unbekanntes Land, das seinesgleichen sucht. Ich habe oben schon die Parallele zum „Incredible Shrinking Man“ gezogen, ursprünglich ein Roman von Richard Matheson. Zitat: „Das Dasein setzte sich in endlosen Zyklen fort. So einfach erschien es jetzt. Er würde nie verschwinden, denn es gab keinen Punkt des Nichtseins im Universum. (…) Plötzlich rannte er auf das Licht zu. Als er es erreicht hatte, blieb er in sprachloser Ehrfurcht stehen und betrachtete diese neue Welt mit ihrer kräftigen Vegetation, ihren schillernden Hügeln, ihren hohen Bäumen und den wechselnden Farbtönen des Himmels, die glauben ließen, das Sonnenlicht würde durch bewegte Schichten pastellfarbigen Glases gefiltert. Es war ein Wunderland.“ Nicht unwahrscheinlich, daß Lee sich hier Inspiration holte. Bei Dr. Seuss in „Horton hört ein Hu“ ist die Mikrowelt sogar im einzelnen ausgearbeitet. Lee tut das hier auch, auf nicht unoriginelle Weise.

Man kann zwar darüber lächeln, daß Lee und Kirby hier Moleküle genau wie im Chemiebuch zeigen. Das sind natürlich Modelle; wie Moleküle tatsächlich aussehen, wissen wir nicht. Also akzeptiere ich diese Optik. Ich finde sie sogar faszinierend. Von der Kulisse möchte ich jedoch die Handlung unterscheiden, die mehr als konventionell ist: Die FV suchen den Silberstürmer, begegnen ihm zwar, aber erkennen, daß sie ihn nicht verfolgen können. Dann geraten sie selbst ins Blickfeld eines Wesens, des Psycho-Manns, der US-Lesern aus FV Annual # 5 bekannt ist (Williams verspricht hier, diese Ausgabe irgendwann noch zu präsentieren – „kommt Zeit, kommt Marvel“). Psycho-Mann sendet ihnen sofort den „Unzerstörbaren“ entgegen, eine ebenso austauschbare Figur wie der Ahnder letztes Mal. Es ist offenbar der Silberstürmer, der den Unzerstörbaren schließlich aus dem Weg räumt. Er hat nämlich inzwischen mitbekommen, daß die FV ihn deshalb verfolgen, um die Erde zu retten. Kurz entschlossen macht er sich auf, um Galactus daran zu hindern, den Planeten zu verspeisen, während die FV beschließen, sich jetzt gründlich mit dem Psycho-Mann zu beschäftigen (etwas unglaubwürdig, wenn die Zukunft der Erde auf dem Spiel steht).

Immerhin: Der Story wird etwas Tragik verliehen, indem ein unauflöslicher Konflikt des Silberstürmers herausgearbeitet wird. In der subatomaren Welt kann er endlich wieder frei sein, aber er muß zu Galactus zurückkehren, damit die Erde nicht vernichtet wird, und sich damit wieder in Gefangenschaft begeben. Positiv sind mit auch ein paar witzige oder gewichtige Dialoge aufgefallen. „Packen wir ihn, und dann heim zu Marvel, solange es noch geht.“ – „Möge der Zeiger des Schicksals sich heben! Wenn er den kritischen Punkt erreicht, wird die Erde in einem Anti-Materie-Strahlen-Schauer gebadet werden, und Galactus muß nicht mehr hungern.“ Ansonsten wäre die Story aber ziemlich langweilig, wenn es „Subatomica“ nicht gäbe, hier zusammengesetzt aus dem Chemiebuch-Modellen und Planetoiden, die eigentlich die „Welten in Welten“ darstellen. Ohne diese Kulisse wäre es nur wieder eine Klopperei nach bewährtem, aber schon ziemlich strapaziertem Konzept.

Ich lese gerade auch Comics, die Jack Kirby nach seiner Rückkehr zu Marvel in den 70ern gezeichnet hat. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Welche Mühe er sich gibt (zusammen mit Joe Sinnott), die verwirrenden Moleküle zu zeichnen, zwischen denen die FV und der Silberstürmer herumschwirren, fällt dadurch erst so richtig ins Auge. Außerdem tauchen auch ein paar überzeugende fremdartige Wesen auf. Wie ich schon sagte: Kirby ist hier auf dem Höhepunkt seines Schaffens – bleibt es aber noch für rund zwei Dutzend FV-Ausgaben.
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