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Alt 08.10.2014, 23:03   #45  
Phantom
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Hallo Leute, ich bin seit Jahren immer wieder anonymer Mitleser hier im Forum, aber jetzt mische ich mich endlich auch ein. Interessante „so war es damals mit den Marvels“-Geschichten hier. Daher jetzt auch meine: ich bin in den siebziger Jahren aufgewachsen, als es überall Comics gab und Comics noch sehr billig waren. Teuer und daher selten erreichbar war z.B. ein Zack Album für 3,80 DM. (Ich wiederhole: 3 Mark 80 für ein Album empfand ich damals als teuer )

Gelesen habe ich eigentlich alles. Angefangen habe ich mit 5, 6 Jahren mit Marvel-Sammelbänden, ein paar Jahre später hatte ich von allen Verlagen irgendwas zu Hause. Favoriten waren Disney, Marvels, Zeitungscomics (Flash Gordon, Phantom, Secret Agent Corrigan etc.). Was hat mich da besonders angesprochen? Bei den Marvels war das, glaube ich, dieser “freche” Stil, das raue Papier, die langen Geschichten, die ein Gedächtnis hatten (z.B. immer wieder Querverweise auf andere Serien oder frühere Ausgaben; das gab es bei DC nie) und sicher auch die vollmundigen Ankündigungen von „einzigartigen Meisterwerken“ und „Geschichten, die man nicht verpassen darf“. Mit 7 glaubt man eben, dass etwas besonders ist, nur weil das jemand schreibt

Flohmärkte kannte ich nicht. Ich bin in einem kleinen Dorf am Stadtrand aufgewachsen, da gab es so etwas nicht. Keiner meiner Freunde sammelte Comics, tauschen ging also auch nicht. Konsequenz des Geldmangels war, dass ich viele meiner Comics vom Ramsch-Tisch des Kaufhauses habe (viele Williams-Sachen, auch Marvels, Kauka und später Bastei gab es da für 40 Pfennige das Stück). Und natürlich in Sammelbänden (viel Lesestoff für wenig Geld). Ich hatte z.B. ziemlich schnell rausgefunden, dass in den Marvel-Sammelbänden unterschiedliche Hefte waren, und so habe ich meinem Zeitschriftenhändler (ja, so etwas gab es damals) oft alle 4 Sammelbände, die er bekommen hatte, auf einen Schlag abgekauft.

Ich war nie der klassische Sammler, sondern vor allem immer Leser. Ich wollte alle Geschichten meiner Lieblinge haben, egal in welcher Form, egal in welchem Zustand. Ziemlich schnell hatte ich dann alle meine Sachen in Listen gegossen (nerdiges Einzelkind, das ich war), z.B. habe ich Wochen damit verbracht, die Geschichten aus den Lustigen Taschenbüchern in Gruppen zu sortieren, die wohl vom gleichen Zeichner stammten (wobei ich zunächst so gut wie keinen Namen kannte). Ach, was waren das glückliche Kindheitsstunden, wenn ich mal wieder eine Bastei-Phantom-Sunday-Story einem Jahr zuordnen konnte, weil ich aus einer Datumsangabe wie „7/15“, die nicht retuschiert wurde, über einen ewigen Kalender die Jahre rausgefunden hatte, an denen der 15. Juli ein Sonntag war und dann durch Ausschlussverfahren (Zeichenstil!) das Originaljahr festlegen konnte. Wird die heutige Generation vielleicht als bescheuert empfinden, aber so habe ich damals meine Wochenenden verbracht

Nach dem Abitur kamen Zivildienst und Studium, und in dieser Zeit habe ich die Comics etwas aus den Augen verloren. Ich habe zwar nichts verkauft, aber auch nichts mehr gesammelt, nur Magazine wie die Reddition habe ich weiterhin gelesen. Über die Zeit war mir aber nicht entgangen, dass es jede Menge Leute gab (natürlich auch im Internet), die ihre Comics auch in Listen (Zeichner, Originalveröffentlichung etc.) verwandelt hatten, aber fast immer waren deren Listen viel vollständiger als meine. Das war etwas ernüchternd. (Kennt Ihr „Es gibt keinen Neuschnee“ von Tucholsky? Da wird von einem Jungen erzählt, der selbstständig eine mathematische Theorie entwickelt. Als er dann aus seinem Dorf in die große Stadt kommt, stellt er erschrocken fest, dass es das alles schon lange gibt und sich Differentialrechnung nennt und natürlich viel größer ist als das, was er sich bis jetzt ausgedacht hat. So habe ich mich damals auch immer wieder gefühlt.)

Während meiner Assistentenzeit an der Uni habe ich dann die Marvel Essentials entdeckt – endlich konnte ich für wenig Geld die Lücken meiner Kindheit füllen. Das war dann der Beginn eines Interessenrevivals. Mein Schwerpunkt liegt aber jetzt auf Büchern *über* Comics; da ist – gerade in den USA – in den letzten Jahren ganz viel erschienen. Neue Sachen interessieren mich nicht die Bohne, und selbst Gesamtausgaben, die ich früher herbeigesehnt hatte, kaufe ich kaum, weil mir einfach die Zeit fehlt, die Sachen zu lesen. Und ich habe gemerkt, dass es mir absolut nichts gibt, tolle Bücher zu besitzen, in die ich dann nie reinschaue.

Noch eine Anekdote zu Williams und Kirsten Isele:

Bin ich der einzige, der das damals genau wissen wollte mit dem Namenswechsel von Isele zu Vogel, und den Williams-Verlag angeschrieben hatte? Ich habe den Brief noch, denn ich bekam meinen eigenen handgeschriebenen Brief (ich war 12) mit dem Stempel „Kurzantwort“ zurück; darin hatte Kirsten Vogel ebenfalls handschriftlich direkt auf meine Fragen geantwortet: ja, sie hätte geheiratet, deshalb der Namenswechsel. So, nun wusste ich es ganz sicher.

Jahre später während meiner Assistentenzeit (muss so vor 13 Jahren gewesen sein) hatte ich dann Frau Vogel über den Bauer Verlag angeschrieben und um ein Interview gebeten. Ich hatte den Briefkopf der Uni verwendet in der Hoffnung, dass das so seriös daherkommt, dass sie sich einfach melden muss. Kam aber keine Antwort. Ich denke, wir Comic-Leute haben einfach einen Hang zur Sentimentalität (Comics = Kindheit) und leben daher immer auch ein bisschen in der Vergangenheit. Anderen Leuten geht das völlig ab; die wollen sich mit der Vergangenheit nie mehr befassen. Vielleicht ist das ja bei ihr so. Wir haben damals einfach das Märchen vom eingeschworenen „Mighty Marvel Team“ so gern geglaubt; dabei war das für die auch nur ein Job mit vielleicht schlechten Erfahrungen und/oder Enttäuschungen, mit denen man sich nicht mehr beschäftigen will, wer weiß.
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