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Alt 05.01.2023, 00:10   #66  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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From The Shade´s Journal


Es begann mit einem Kartenspiel und endete mit einem kopflosen Mann.

Wir schreiben das Jahr 1912. Der Große Krieg war noch weit genug entfernt, dass diejenigen, die sich dazu entschieden hatten, das ganze Große nicht im Blick zu behalten, wie es die Weisen tun, noch in der Lage waren die Möglichkeit eines Krieges, der sich am Horizont abzuzeichnen begann, zu ignorieren. Gewiss, in diesem Fall waren wir die Dummen.

Aber weise Männer messen ihre Weisheit an der Tiefe der Furchen in ihren Gesichtern, die daher rühren, dass sie um die Dinge wissen, die sie bekümmern. Da sind wir Unwissenden, die in Unkenntnis der Dinge fröhlich durchs Leben tanzen, dann doch besser dran. Mal davon ab, dass ich als einer dieser Unwissenden, mehr als genug Kenntnis von menschlichem Leid habe, das sich allerdings aus anderweltlichen Quellen speist. Womit mein Maß mehr als voll wäre.

Die Ereignisse, die nun eintraten, taten dies langsam - langsam für mich, denn sie ereigneten sich in einem Zug. Dieser fuhr mich quer durch Europa aus Preußen kommend, wo ich für ein mickriges Entgelt einen Geist beseitigt hatte, der das Schloß meines Auftraggebers heimzusuchen beschlossen hatte. Ich fühlte mich großartig. Ich dünkte mich reich. Das Abendessen kam aus einer hervorragenden Küche und ich hatte keinerlei Mühe mir das Wildschwein mit Pflaumengelee einzuverleiben.

Im Zug gab es ebenfalls eine erlesene Auswahl an Weinen.

Mein Ziel war Wien, wo ich mich für eine ungewisse Zeit auf liebenswerte Art und Weise von den Dingen ablenken wollte, die hinter mir lagen. Ich hatte mir vorgenommen, dies so lange zu tun, wie es brauchte.

“Sie sehen wie ein Mann aus, der ein Geheimnis hat.”

Es war ein junger Mann, der diese Worte mit einem leichten italienischen Akzent sprach. Ich hatte mein Mahl beendet und vorgehabt, mich in das Raucherabteil zu begeben um dort neben einem schönen Portwein eine Zigarre von unbezwingbar scheinender Länge zu genießen. Der junge Mann hatte das Abteil unmittelbar vor mir betreten, einen Madeira und eine in dunkles Papier gewickelte Zigarre in den Händen. Er sah durchaus stattlich aus, hatte aber etwas gaunerisches an sich. Ich sah in ihm auf Anhieb so etwas wie einen durchaus verwandten Geist.

“Geheimnis”, antwortete ich. “Ich habe derer viele. Aber warum sollte das für irgendwen außer mir von Interesse sein?”

“Entschuldigen Sie, ich wollte Sie damit nicht beleidigen. Ich hatte mehr gehofft, dass meine Bemerkung die Eröffnung für eine nette Konversation sein könnte.”

“Ich fühle mich nicht beleidigt. Doch nach meiner Erfahrung eröffnen die meisten ein solches Gespräch mit Bemerkungen über das Wetter und nicht mit dunklen Andeutungen darüber, was in ihrem Gegenüber lauern mag.”

“Ich heiße Dario Carlei”, stellte er sich vor.
“Ein feiner Name.”
“Grazie.”
“Was ist Ihre Profession, dass man Sie in diesem ordentlichen und pünktlichen Zug antrifft?”
“Ich bin ein Spieler.”
“Im Leben oder am Kartentisch?”
“Man kann Letzteres wohl kaum sein, wenn man nicht auch ansatzweise Ersteres ist.”
Ich lächelte. “Das stimmt wohl”.
“Zuletzt gewann ich mehr als ich verlor,” sagte er, “und so entschloss ich mich, die Annehmlichkeiten dieser Art der Fortbewegung in Anspruch zu nehmen. Was ist mit Ihnen? Ihr elegantes Äußeres verrät einiges darüber, dass Sie einem einträglichen Gewerbe nachgehen.”
“Ich bin ein Reisender”, antwortete ich eine Wolke Zigarrenrauchs ausstoßend. “Ich habe es nicht nötig zu arbeiten. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie man dies gewöhnlich versteht.”
“Spielen Sie Karten?”
“Tue ich. Ich genieße das Spiel.”
“Poker?”
“Nein. Baccara ist mehr etwas für mich, und Pontoon. Und Whist.”
“Rummy?”
“In der Tat, Rummy ist mein Liebingsspiel.”
“Hätten Sie Interesse an einer Partie?”
“Ich habe diese Nacht nichts Besseres vor”, sagte ich. “Nur mit uns beiden wird dies aber kaum großen Spaß bereiten.”

“Entschuldigen Sie, Sir!”
Dario hatte sich von mir abgewendet und einen dritten Gentleman angesprochen, der im Abteil saß, ein Buch lesend. Er war groß gewachsen und wohlbeleibt, bewegte sich aber mit einer Geschwindigkeit, die Letzteres vergessen ließ. Er nahm den Blick aus seinem Buch und schaute uns an.

“Verzeihen Sie”, wiederholte Dario. “Mein Gefährte und ich beabsichtigen, eine Partie Rummy zu spielen. Wir haben uns gefragt, ob Sie Interesse hätten, uns anzuschließen.”

Der mann wirkte einen Augenblick zögerlich, stand aber auf, kam zu uns herüber, dabei vorsichtig das Schaukeln des Zuges ausgleichend. Er sprach mit einem englischen Akzent, den ich sofort Yorkshire zugeordnete, vielleicht, aber definitiv aus den Midlands.

“Ich hätte schon Lust auf eine Partie oder zwei”, sagte er, “solange die Einsätze nicht allzu hoch sind.”

“Aber wo bleibt denn der Spaß, wenn sie dies nicht sind?” Dario fragte dies mit einem Lächeln, das ich als das eines Fuchses im Angesicht einer fetten Henne erkannte.

Der Mann lächelte zurück. “Ich vermute, Sie wissen, wovon Sie reden.” Er reichte uns seine Hand.

“Ich heiße Basil Trent.”
“Ich bin Dario Carlei.”
“Ich bin James Black.”

Und so begannen wir unser Spiel, Dario mischte die Karten mit der souveränen Schnelligkeit eines Bühnenmagiers, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert.

“Was ist Ihr Geschäft, Mr. Trent?” Ich fragte dies, während wir die dritte Hand spielten. Dario hatte die ersten beiden gewonnen.

“Ich habe einige Mühlen.”
“Sie sind so etwas wie ein Landwirt?”
“Sie klingen englisch, um ehrlich zu sein,” sagte er. “Sind Sie das?”
“In London geboren und aufgewachsen.”
“Ich komme aus Yorkshire.”
“Dachte ich mir.”

Der Zug tuckerte durch die Nacht und wir setzten unser Spiel fort. Dario verließ das Glück nach einer Stunde, warum auch immer, und schnell geriet Trent auf die Gewinnerseite. Nach einer weiteren Stunde hatte Trent nahezu alles gewonnen, was ich zuvor mit meiner Geisterunternehmung eingenommen hatte. Plötzlich hatte ich keinerlei Interesse mehr an untätigem Reisen. Wien zumindest mit meinen Kleidern am Leib zu erreichen, wurde ein viel dringlicheres Anliegen. Ich spielte weiter, warum auch immer, lächelte dazu und hoffte irgendwie nur einmal zu gewinnen, um zumindest meine Drinks bezahlen zu können.

“Sind wir uns schon einmal begegnet?” Ich fragte Trent im späteren Verlauf. Die Frage kam mir plötzlich in den Sinn, weil sich das Gefühl einstellte, wir hätten uns schon einmal getroffen.

“Nein. Ich denke, ich könnte mich an einen Gentleman, wie Sie es sind, erinnern,” antwortete er mit einem halben Lächeln. “In der Tat, daran würde ich mich erinnern.”

Trent sah zurück auf seine Karten. Er wirkte ruhig … ruhig wie es ein guter Spieler sein sollte, aber ich sah ein feines Zucken seiner Lider und ein leichtes Heben seiner Augenbraue. Es verriet ein verstecktes Geheimnis, eines von der Sorte, da war ich mir sicher, das die Aufmerksamkeit von Dario auf sich ziehen würde.

“Mein Freund und ich sprachen vor unserem Spiel über Geheimnisse,” sagte ich. “Er zeigte Interesse an den geheimen Orten in der Seele eines Mannes.”

“Nun, er kann sich interessieren, wonach auch immer ihn gelüstet,” antwortete Trent, “aber ich werde ihm keine derartigen Einblicke gewähren. Geschäftsmann zu sein, bedeutet mehr als nur ein oder zwei Personen, die den Weg kreuzen, zu verletzen. Falls ich dies getan haben sollte, und ich sage nicht, dass ich das habe, nur hypothetisch gesprochen, wäre das wohl etwas, das ich für mich behalten wollte.”

“Sie sind ein weiser Mann,” sagte Dario, gähnte und holte seine Taschenuhr aus der Weste. “Ich muss gestehen, dass ich müde bin. So sehr ich es auch begrüße um die Bekanntschaft Ihrer beider reicher zu sein, befürchte ich jedoch, dass ich unser Spiel umso ärmer beenden werde,”

“Wenn ich auch nur eine Hand gewonnen hätte, würde ich diese Nacht sicher mit mehr als einem Lächeln beenden,” sagte ich. “Ich kann Ihr Anliegen aber verstehen. Auch ich höre mein Bett rufen.”

Trent stand auf und steckte ein ordentliches Bündel Banknoten ein. “Wie es scheint, war das Vergnügen ganz auf meiner Seite.”

“Nein, nicht allein bei Ihnen,” erwiderte ich. “Gute Gesellschaft ist immer ein Vergnügen, selbst wenn ich der Geschröpfte sein sollte.”

Die beiden Männer erhoben sich.

“Kommen Sie?”
“Ich bleibe noch und genieße die Reste meines Brandys.”

Sie verließen mich, miteinander redend, als sie ihren Weg aus dem Abteil nahmen. Als sie die Tür öffneten, um den nächsten Waggon zu betreten, winkte mir Trent heiter zu. Ich erwiderte die Geste. Dann waren sie fort…

…als ich aufsprang und den beiden folgte. Sie würden nicht erwarten, dass ich ihnen so schnell folge und ich hoffte, ich würde überhören, was die beiden besprachen. Ich bin kein Idiot. Es mag diese Nacht so gewirkt haben, doch das war mein Spiel … ein größeres Spiel als nur das mit Karten. Wie konnte sich ein Spieler so bereitwillig ausnehmen lassen, von einem Mühlenbesitzer? Und wie konnte es sein, dass ich nicht eine Hand gewann? Nein, seit der achten Hand wusste ich, dass die beiden zusammenarbeiteten. Dumm genug von ihnen, mich nicht eine einzige Hand gewinnen zu lassen.

Ich erreichte den nächsten Wagen, als ein entgegenkommender Zug an uns vorbeifuhr. Der Lärm war ohrenbetäubend. Das riesige Ungetüm verbannte zeitweise das Mondlicht, das in unseren hineinschien, dabei einen Flimmereffekt erzeugend, der die Einrichtung des Wagens immer wieder in Dunkelheit hüllte.

Als sich meine Augen und Ohren daran gewöhnt hatten, änderte dies nichts an der Fremdartigkeit der Szene, die sich mir bot. Trent stand vor mir und versuchte, Darios Körper aus dem Fenster zu drücken. Dario war tot, sein Kopf vom vorbeifahrenden Zug zertrümmert. Trent kämpfte nun mit seinem schlaffen Leib. Er sah dabei unfreiwillig komisch aus, wie ein schlechter Bühnenauftritt.

“Sie betrügen Ihren Partner, Sir,” sagte ich. “Wie unhöflich.”

Er warf mir einen Blick zu. “Nicht mein Partner”, erwiderte er. “Ein nützlicher idiot, für diese Nacht.”
“Wieso?”
“Ich will dich, Shade. Ich wollte dich beim Kartenspiel übertrumpfen, bevor ich dir das Leben nehme.”

Er wusste um meine Identität. Die Nacht versprach ein interessantes Ende zu nehmen.

“Mein Leben willst du mir nehmen. So so,” flüsterte ich mit einem Lächeln. “Viele haben das versucht.”

Trent ließ Darios Körper im Fenster hängen wie eine kaputte Puppe. Er drehte sich zu mir um und holte eine kleine Pistole aus seiner Westentasche.

“Mein Name ist Ludlow. Ich bin ein ausgezeichneter Schütze.”

“So wie ich,” erwiderte ich und schoss einen Schattenspeer ab, der Trent/Ludlow aufspießte bevor er irgendetwas tun konnte.

"Ein weiterer Ludlow. Wie drollig.”

Ich sprach die Worte laut in Richtung von Ludlows Körper, als ich ihm den Gewinn dieser Nacht entwendete. Mit dem zurück, was mein war und dem was die beiden Männer bei sich hatten, ein einträglicher Gewinn für einen Abend.

Ich ließ meine Schatten Ludlows Körper beseitigen. Darios ließ ich für den Nachtschaffner oder Frühaufsteher zurück. Der Gedanke an eine solche Überraschung vor dem Frühstück war zu verlockend, als dass ich ihr widerstehen konnte. Und als der Zug aus einem Tunnel fuhr, um die ersten Fragmente des Lichtes der aufgehenden Sonne zu offenbaren, zog ich mich in mein Abteil zurück.

- - -

Der Schnee Islands war knisternd und leuchtete wie eine Billiarde Sterne, die gesammelt und zu Boden geschmettert wurden. Die Luft war, abgesehen vom Schnee, warm. Ich hätte es genossen, wenn es nicht die Suche nach einem Ludlow gewesen wäre, die mich in diesen entlegenen Teil der Insel verschlagen hätte. Womöglich hätte ich es genossen, wenn besagter Ludlow in Reichweite gewesen wäre. Leider war dies nicht der Fall.

Einige Tage zuvor war ich angekommen, ein Kollege und Freund hatte hier ein Stück Land erworben. Bill Lofthouse, ein Engländer wie er im Buche steht, hatte von jeher ein Faible für die Länder nördlich von und kälter als England. England, kälter als es ohnehin schon ist, durch die Winde, die gelegentlich von Skandinavien über die Nordsee herunterkommen und das Land wie eine Peitsche treffen. Für mich ist das kalt genug, besten Dank. Möge der Herr des Lesers Fingern und Zehen beistehen, wenn der Schnee hinzukommt.

Jedenfalls hatte mein Freund Lofthouse eines Tages die verrückte Eingebung nach Island zu ziehen. Er fand die Menschen freundlich… speziell die Frauen, die eine etwas freiere Sexualität lebten, als es im Edwardianischen London praktiziert wurde. Er kaufte zwanzig Morgen und verbrachte das darauffolgende Jahr mit dem Bau einer palastartigen Villa im Zentrum seines Landes. In einem Brief schrieb er mir, wie er hier Freude gefunden hatte. Er hatte ein Mädchen gefunden, das er zu heiraten beabsichtigte. Er hatte ein Heim. Er war zufrieden. Er fragte mich ob ich sein Trauzeuge sein wollte und ich nahm an.

Natürlich meinte ein Ludlow ausgerechnet bei dieser Gelegenheit zuschlagen zu müssen.

Ich hatte die Reise nach Island mit einem Minimum an Unannehmlichkeiten hinter mich gebracht. Mir liegt die Seefahrt nicht besonders. Mein Magen ist nicht für wütend rollende Wellen gemacht. Ich hielt mich die ganze Zeit in meiner Kabine auf, aß lediglich Brot und andere trockene Nahrung und schaffte es so, dass Teile dessen was ich aufnahm an ihrem Bestimmungsort blieben.

Es war wunderbar, Bill wiederzusehen. Wir lachten und erfreuen uns gemeinsamer Zeiten sowie der Hoffnungen für das neue Jahrhundert.

Die Hochzeitszeremonie fand zwei Tage später statt. Ich war dort, wie auch Bill und seine Braut. Die Brautmutter. Einige wenige andere Personen. Und ein Ludlow. Ich habe nie seinen Vornamen erfahren, nur dass er zu diesem Abschaum gehörte und mich tot sehen wollte.

Der Ludlow brach mit einer Winchester wild feuernd über die Hochzeitsgesellschaft herein. Die Brautmutter wurde in die Brust getroffen. Sie atmete noch, als sie fiel, doch ich fürchte, als sie auf den Boden schlug, hatten ihre Lungen bereits aufgehört zu arbeiten. Der zweite Schuss traf Bill im Gesicht. Ein hässlicher Tod für einen solchen Tag.

Dann war der Ludlow verschwunden, bevor sich die Verwirrung und das Entsetzen legen konnten, was mir eine Verfolgung des heimtückischen Bastards ermöglicht hätte.

Meine Nachforschungen führten mich in ein Hotel, wo er ein Zimmer genommen hatte. Dort fanden sich Aufzeichnungen und Briefe, die mir Hinweise auf seine Identität lieferten. Letztere waren sowohl an einen Jeremy als auch einen Colin Ludlow adressiert, so dass ich seine Identität nicht mit Sicherheit feststellen konnte. Ich erfuhr jedoch, dass der Attentäter eine Zeit im amerikanischen Westen zugebracht hatte, was, wie ich annahm, die Wahl einer Waffe erklärte. Dort fand sich ebenfalls ein Eintrag zu einer verlassenen Hütte in einer nahezu unbewohnbaren Gegend Islands, wo er hoffte, die Früchte seiner Tat in Ruhe genießen zu können. Die Gegend war viele Meilen von Reykjavik entfernt, wo Bills Hochzeit hätte stattfinden sollen. Im Wissen darum, dass die Zeit nicht mein Freund war, brach ich umgehend auf.

Ich sollte erwähnen, dass ich mit Pferden nicht besser umgehen kann als mit Booten, und so kam es, dass mich mein Reittier nach einem Tag abwarf und sich davon machte. Ich sollte ebenfalls erwähnen, dass es bald einhundert Jahre dauerte, ehe ich das Ausmaß und die Möglichkeiten meiner Kräfte erkannte, ganz zu schweigen davon, sie zu beherrschen. Zu der Zeit, da ich diese Zeilen schreibe, weiß ich, dass ich meinen eigenen Schatten als eine Art Portal nutzen kann, um einen anderen Ort zu erreichen. Hätte ich das damals gewusst, ich hätte den Ludlow schon längst zur Strecke gebracht gehabt.

Zu Fuß setzte ich meinen Weg fort. Intelligentere Menschen mögen einwenden, dass es besser gewesen wäre, in die Stadt zurückzukehren und meine Bemühungen am Morgen fortzusetzen. Aber die Ruhe, mit der ich über diese Ereignisse schreibe, ist der Zeit geschuldet, die seither vergangen ist. Zu der Zeit, da sich dies alles zutrug, brannte ich vor Hass auf den Mann, der meinen Freund getötet hatte. So stapfte ich weiter durch den Schnee, entschlossen, ihn zu finden und zu töten.

Ich erinnere mich, dass ich am Morgen erwachte, hinter einem provisorischen Schutz, der den Schnee in Schach hielt. Ich vermute, dass ich in Erwartung der Nacht hier zusammengebrochen war, kann mich jedoch nicht an dergleichen erinnern. Mein Kopf schwamm. Die Augen waren feucht und zerkratzt, als ob sie staubtrocken wären. Meine Lippen waren rissig. Dies war das letzte Mal, dass ich mich von meinem Zorn zu etwas würde hinreißen lassen. Ich würde lernen, wie töricht überhastetes Handeln ist. Unglücklicherweise.

“Ich kann dich wärmen.”
Eine Stimme in meinem Kopf. Nein, hinter mir. Ich drehte mich um. Es war der Teufel. Er trug einen Pelzmantel.
“Ich kann dich wärmen”, wiederholte er. “Ich kann dich heilen. Ich kann dich stark und satt machen.”
“Warum solltest du?” fragte ich.
“Du bist mir ähnlich, nicht? Bist du nicht ein übernatürlicher Dämon? Sicher, du bist in den Wegen der Hölle nicht so versiert, aber mit deiner Kunst bist du so viel düsterer als viele, die sich fröhlich in ihren Pfuhlen suhlen.”
“Ich ein übernatürlicher Dämon?” fragte ich. “Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Begriff oder gar seine Bedeutung kenne.”
“Jemand. der von meinem Gift verdorben ist.” Er lächelte. “Jemand, der Zutritt zur Hölle erlangen kann. Jemand, der in den Rängen meiner Legionen aufsteigen kann.”
“Ich verstehe.”
“Tust du? Tust du es wirklich?. Hast du eine Vorstellung davon, wie dein Leben auf so viele Arten süßer und voller sein könnte?” Er machte eine dramatische Pause. Er lächelte erneut. “Sei mein Repräsentant auf Erden. Sag ja und ich befreie dich aus deiner kalten Zwangslage. Ich werde dir den Mann ausliefern, den du suchst. Ich will dir warme Gefilde und erlesene Getränke geben.”

Ich fühlte, wie Schnee auf mein Gesicht fiel. “Du hast bereits viele Vertreter auf Erden, anderes sollte mich wundern.”
“Einige wenige.”
“Manche würden sagen, einige zu viel.”
“Und andere würden sagen, zu wenige. Ganz danach, auf welcher Seite des Zaunes man steht.”
Ich hustete und wankte leicht. “Ich habe es immer genossen, abseits dieses Zaunes zu sitzen. Wer sich für eine Seite entscheidet, sollte stets erwarten, Probleme mit denen auf der anderen zu bekommen. Und wer Probleme bekommt, eher öfter denn selten, ist gezwungen, zur Waffe zu greifen. Und was dann? Du bist tot oder der andere.” Nun war ich es, der eine dramatische Pause einlegte. “Ich wähle keine Seite.”
Der Teufel runzelte die Stirn. “Aber du bist kein guter Mensch. Viele würden deine Bösartigkeiten als meiner würdig bezeichnen.”
“Ich fühle mich geschmeichelt.”
“Dann schließe dich mir an.”

Der Wind blies über die Ebene, die ich überquert hatte. Mit nichts, um diesen zu brechen oder nur einzudämmen, nahm ich die Wucht seines kalten Bisses hin. Ich dachte an den warmen Ort, den mir der Teufel angeboten hatte. Ich dachte über mein Leben nach und die erbärmlichen Taten, auf die ich nicht wenig stolz war, sie begangen zu haben. Ich dachte darüber nach, dass der Teufel richtig liegen könnte mit seiner Aussage, dass ich ganz nach ihm käme.

Ein Vogel flog über mich hinweg. Er wirbelte in trägen Kreisen herum. Ich schloss die Augen, um einen Moment länger über das Angebot nachzudenken, ehe ich antwortete.

“Ich denke, ich werde allein weitergehen”, sagte ich. “Trotzdem vielen Dank.”
“Du weist mich ab?”
“Ich fürchte, dass ich längst verdammt bin und früh genug zur Hölle fahren werde. Ich denke, es reicht, wenn ich dir dann meine Treue schwöre.”
“Dann mag es sein, dass ich dir weniger gewogen bin als heute.”

Ich atmete tief ein und sah dem Teufel in die Augen. “Dereinst mag ich die Kraft haben dich zu töten und deinen Thron einzunehmen. Also drohe mir nicht. Ich werde dich häuten und aus deiner Haut Pantoffeln für meine Füße fertigen. Gehe jetzt, still und demütig, wie an dem Tag als dich Gott aus dem Himmel jagte, und wenn wir uns wiedertreffen werde ich nicht ganz so ungnädig mit dir verfahren.”

Eine Pause. Ich lächelte.

Der Teufel schaute mich an. Er hatte einen Gesichtsausdruck, als hätte ihn etwas in seinen Gefühlen verletzt. Ich musste beinahe lachen. Stattdessen blinzelte ich und in diesem Moment war er verschwunden.

Ich würde auf diesen Tag zurückblicken. Ich würde mich daran erinnern, wie ich dem Teufel drohte. Ich würde darüber schmunzeln, wie es nur jemand vermochte, der dem Teufel in die Augen geblickt hatte und weiterlebte. Vielleicht kann ich dies auch jetzt erst so sehen. Falls ich eines Tages diese Ebene der Existenz verlasse … falls ich dies jemals tue … vielleicht packe ich Satan dann an seinem dreckigen roten Nacken, schüttele ihn so hart, dass es ihm nass an den Innenschenkeln herunterläuft und werfe ihn dann die Treppe herunter um ihm den ihm gebührenden Platz zuzuweisen.

Gerade jetzt muss ich schmunzeln. Denn ich denke, dass ich noch eine Weile warten kann bevor ich es herausfinde.

Ach so, ich fand den Ludlow am nächsten Tag. Ich ließ mir viel Zeit damit, ihn vom Leben zum Tod zu befördern.
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