Thema: Filmklassiker
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Alt 12.11.2022, 07:01   #200  
Peter L. Opmann
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Es gibt noch einen Western, der einen deutlichen Bezug zu „High Noon“ aufweist. Dieser Film ist kein Gegenentwurf wie „Rio Bravo“, sondern er greift das Motiv des Einzelnen auf, der sich gegen eine Gangsterbande stellt, und betont weniger den Umstand, daß sich andere scheuen, ihm beizustehen. Er hat den etwas blöden deutschen Titel „Zähl bis drei und bete“ (1957); im Original heißt er „3:10 to Yuma“, was einen Zug benennt, der in der Story eine wichtige Rolle spielt.

Der Rancher Van Heflin und seine kleinen Söhne werden Zeuge, wie der berüchtigte Bandit Glenn Ford mit seinen Leuten eine Postkutsche überfällt und der Kutscher erschossen wird. Die Jungs wollen, daß Van Heflin eingreift, aber der bleibt untätig, um sie zu schützen und auch, weil er sieht, daß er – unbewaffnet – kaum etwas tun könnte. Ford zerstreut die Rinderherde Heflins. Während der die Tiere wieder zusammentreiben muß, hat er genug Zeit, sich abzusetzen. Dann teilt er die Beute mit seinen Kumpanen. Unvorsichtigerweise reitet die Bande in die nächste Stadt, wo Ford eine Bardame im Hotel besucht. Die anderen machen sich mit ihren Anteilen davon – später wollen sie sich wieder treffen. Ford wird in flagranti erwischt und festgenommen. Der Chef der Postkutschenlinie setzt eine Belohnung für denjenigen aus, der Ford zur Gerichtsverhandlung in die nächste größere Stadt bringt. Heflin, dessen Ranch von einer Dürre bedroht ist, kann das Geld gut brauchen und meldet sich. Zunächst muß er allein auf sich gestellt Ford in dem Hotelzimmer bewachen, bis der oben erwähnte Zug kommt. Ford lacht über Heflin, der mehr von Landwirtschaft als vom Waffengebrauch versteht. Er ist sicher, daß seine Leute ihn bald befreien werden, aber Heflin läßt sich nicht einschüchtern.

Die Zeit bis zum Eintreffen des Zuges dehnt sich. Ford und Heflin lernen sich besser kennen. Der Bandit rät dem Rancher dringend, ihn laufenzulassen, solange dafür noch Zeit ist. Heflin zeigt zwar gehörigen Respekt, bleibt aber bei der übernommenen Aufgabe. Er läßt auch keinen Zweifel daran, daß er sofort schießen würde, sollte Ford ihn angreifen oder zu fliehen versuchen. Das imponiert dem Banditen. Im Hotel sind noch der Chef der Postkutschenlinie und ein Trunkenbold, der nur auf eine solche Chance gewartet hat, sich zu bewähren. Die bekommt er aber nicht (dieses Motiv gibt es auch in „High Noon“). Andere Stadtbewohner scheuen die bevorstehende Schießerei und suchen das Weite.

Der Bruder des ermordeten Kutschers will sich an Ford rächen und dringt in das Hotelzimmer ein. Heflin verhindert einen Lynchmord. Durch einen verirrten Schuß erfährt die Bande, die inzwischen ihren Boß sucht, wo er sich befindet. Aus dem Hotelfenster erklärt Ford ihnen die Lage. Sie versichern, Heflin werde es mit ihm nicht bis zum Bahnhof schaffen. Kurz bevor der Zug eintrifft, verlassen Heflin und Ford das Hotel. Er drückt ihm seinen Gewehrlauf in den Rücken und benutzt Ford so geschickt als lebenden Schutzschild, daß die Bande nicht eingreifen kann. Am Bahndamm spitzt sich die Situation zu, und Heflin verliert die Kontrolle. Die Banditen wollen die letzte Chance nutzen, ihn zu erledigen, aber Ford springt auf den anfahrenden Zug, zieht Heflin mit sich und rettet ihm so das Leben. Damit Heflin seine Belohnung bekommt, ist er bereit, sich vor Gericht stellen zu lassen. Zudem beginnt es zu regnen – die Ranch ist gerettet.

Dramaturgisch kann es „3:10 to Yuma“ in meinen Augen mit „High Noon“ aufnehmen. Der Western gewinnt zudem durch seine ungewöhnlichen Hauptfiguren. Anders als bei Hawks steht hier kein Profi im Mittelpunkt, weshalb der Zuschauer mit Van Heflin mehr bangt. Glenn Ford seinerseits macht eine interessante Entwicklung durch. Vom kaltblütig-zynischen Gangster wandelt er sich zu einer beinahe positiven Figur. Der Film ist makellos inszeniert und fotografiert (schwarzweiß). Delmer Daves ist meines Wissens nie als Meisterregisseur anerkannt worden und war wohl auch eher ein Handwerker, der zuverlässig Filme unterschiedlicher Genres drehte. Aber auch wenn ich sein Gesamtwerk nicht kenne, denke ich, er stand Kollegen wie Hitchcock kaum nach.
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