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Alt 01.07.2018, 12:21   #178  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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  • J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings | Der Herr der Ringe (Houghton Mifflin 1954 - 1955, deutsche Ausgabe Klett Cotta 1969 -1970)
  • The Lord of the Rings | Der Herr der Ringe (USA 1978, Saul Zaentz für United Artists), Drehbuch: Peter S. Beagle und Chris Conkling, Regie: Ralph Bakshi, 132 min, FSK: 12
Während meiner Schulzeit habe ich mit Tolkiens Meisterwerk gefremdelt. Ich habe mir zu Weihnachten, die Trilogie gewünscht und dann auch den grünen Schuber mit den drei Taschenbüchern bekommen.
Das lag vermutlich an zwei Faktoren: Von Hobbits hatte ich vorher nie gehört. Insofern gehörte ich zu Tolkiens Zielgruppe für seinen umständlichen Prolog, in dem er ein Panorama seines Universum gibt. Ich habe sehnlichst darauf gewartet, daß die Geschichte endlich Fahrt aufnimmt - und das erste, was mir gefallen hat, war das Geburtstagsfest.
Letzten Endes bin ich bis zur Schlacht um Helms Klamm gekommen, bis Merry und Pippin sich auf ihrer Flucht vor den Orks im Wald der Ents verlaufen habern. Meine Mutter hatte die leidige Eigenschaft, mich immer wieder in meiner Lektüre zu unterbrechen. Irgendwann bin ich dabei aus dem Takt gekommen und habe den Draht zur Story verloren.
Vor einigen Jahren fiel mir einem Antiquariat eine englische, gebundene Omnibusausgabe in die Hände. Und obwohl ich tagsüber beschäftigt war, habe ich jeden Tag 200 Seiten gelesen und jedes Wort von Tolkien genossen.

Wie Lynchs Version von Herberts Wüstenplanet Dune habe ich Ralph Bakshis Verfilmung im gleichen Schachtelkino gesehen. Der war damals Teil eines besonderen Sommerprogramms, in dem Klassiker aus Fantasy und Science Fiction jeweils eine Woche lang neu aufgeführt wurden. Star Wars, Rocky Horror Picture Show, Little Shop of Horrors | Der kleine Horrorladen und Kubricks 2001 - Odyssee im Weltall zum Beispiel.
Die Verfilmung bleibt vergleichsweise dicht an der Vorlage, bricht jedoch mitten in der Erzählung ab. Bakshi war durch seine Zeichentrickfilme für Erwachsene bekannt: in erster Linie Fritz the Cat nach Robert Crumb. Erotik kommt im Mittelerde weniger vor.
Damals war ich zufrieden, weil Bakshi elliptisch erzählt und eine Menge passiert. Die Tricktechnik hat mir gefallen, obwohl Gandalf und die Hobbits sich problemlos in einen Disney-Film aus derselben Zeit (Bernhard und Bianca) eingefügt hätten. Der erste Auftritt der Nazgûl hat mir Gänsehaut eingejagt: Ich habe mit Frodo, Sam, Merry und Pippin mitgefiebert, daß sie der Reiter sie im Dickicht nicht entdeckt.

Der Film hat sicherlich seine Schwächen und kann seine Entstehungszeit nicht leugnen. Aber heute gefällt er mir besser als damals. Die rotoskopierten Orks wirken immer noch modern: Stilistisch erinnern sie mich an Moebius'/Jodorowskys Bösewichte in der Incal-Saga. In Corbens DEN-Universum passen sie ebenso gut wie in Mike Mignolas Hellboy-Universum.
Das Storytelling hat jedenfalls keinen Staub angesetzt. Chapeau, Mister Bakshi!

Geändert von Servalan (26.12.2019 um 20:29 Uhr)
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