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Alt 03.02.2023, 20:36   #72  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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From The Shade’s Journal

“Also, was tun wir nun?” fragte ich.
“Wir nehmen eine Mütze voll Schlaf.” sagte Mild. “Wir haben einen Namen. Das ist schon ganz gut für eine Nacht. Ich werde Mr. Hughes informieren und er kann seine Kontakte spielen lassen, um Browning ausfindig zu machen. Wir bringen ihn dann an ein stilles Plätzchen, wo ich ihn mit meinem Totschläger und einem Gummischlauch bekannt mache. Es wird nicht lange dauern, bis er redet und uns erzählt, was los ist und warum. Dann haben wir das vollständige Bild. Anschließend bringen wir ihn in die Wüste. Verpassen ihm einen Kopfschuss. Dann können sie zurück nach Opal City, um die Bekanntschaft mit mir und Mr. Hughes reicher, ohne selbst groß zur Lösung des Rätsels beigetragen zu haben.”

Mein Gesicht war ausdruckslos.

“Obwohl ich zugeben muss, dass ich ihre Gesellschaft überraschend angenehm finde, in dieser eher unangenehmen Nacht der Schmerzen … für andere.” sagte Mild mit einem Lächeln.
Ich lächete ebenfalls.
“Der Teil mit den Schmerzen bereitet Ihnen keine Freude?” fragte ich.
“Heuern Sie nie jemanden an, der an so etwas Freude hat. Diese Sorte dreht frei, wenn sie zielgerichtet vorgehen soll. Die Schläge sind nur Teil des Jobs. Nicht mehr als das.” Mild stellte sein Glas ab. “Kommen Sie”, sagte er. “Ich bin müde und wette, Ihnen geht es nicht anders.”
Wir gingen mit einem Wink in Richtung Larry, der aussah, als wäre er gerade im Begriff seinen Laden zu schließen.

Draußen war es noch immer Nacht, als wir Larrys Bar verließen und die Gasse entlang gingen. Die Gasse war dunkel. Sehr dunkel. Dunkler als die Nacht und die Straßen ringsum vermuten ließen, dass sie sein sollte.
“Kommen Sie,” sagte Mild. “Der Wagen…”
Dann blieb er stehen. Wie ich, hörte er das Geräusch. Leise erst, dann immer lauter werdend. Ein Schnurren. Schnurren. Schnurren. Und dann war da ein Grinsen. Ein riesiges, zahnbewehrtes, katzenartiges Grinsen, das uns wie ein Leuchtfeuer aus dem unnatürlichen Schwarz der Gasse entgegen schien.
Mild pfiff durch seine Zähne. “Sehen Sie das?”
“Wie könnte ich nicht?”

Mild zog seine Pistole und feuerte zwei Schüsse in die Gasse. Beide passierten das grinsende Maul, doch das Splittern von Glas bedeutete uns, dass Mild die Windschutzscheibe seines weiter hinten im Dunkeln stehenden Wagens getroffen hatte. Er drehte sich zu mir um. “Ob uns Ihre Schatten hierbei von Nutzen sind?”
“Ich bezweifle das. Nicht, wenn ihre Kugeln es nicht sind.” Trotzdem schickte ich Schattenscherben in Richtung des Grinsens. Ohne Effekt.

Das Grinsen machte Anstalten, aus dem Dunklen heraus in unsere Richtung vorzurücken, dabei immer größer werdend. Dann schälte sich aus der Finsternis ein riesiger Katzenkopf hervor. Wenn dessen Größe irgendwelche Rückschlüsse zuließe, musste der Körper der Bestie gewaltig sein.
“Ich denke, wir sollten uns aufteilen,” sagte Mild.
“Ich stimme zu,” erwiderte ich, und wir beide begannen in Richtung Hollywood Boulevard zu laufen.

Es muss so gegen vier Uhr in der Frühe gewesen sein und niemand sonst war zu sehen. Mit einem Blick über die Schulter sah ich die Grinsekatze (von keiner anderen Kreatur schreibe ich hier) aus der Gasse kommen und ihre Jagd beginnen. Ihr Körper glich mehr dem eines Panthers, geschmeidig und muskulös, und tatsächlich war sie mit zehn Fuß Schulterhöhe größer als jedes normale Tier.

Mit jedem Satz überbrückte sie mehrere Meter und wir waren nur noch Sekunden davon entfernt, niedergeworfen zu werden, als die Rettung in Form eines gelben Taxis auftauchte. Dass es nicht frei war, hinderte Mild nicht daran, sich dem Wagen in den Weg zu stellen und dem Fahrer mit seiner Pistole zu bedeuten, dass er halten solle. Dem fügte sich der Fahrer und wir beide warfen uns in den Wagen, als die Grinsekatze mit ihrem letzten Satz an der Stelle landete, wo wir gerade noch gestanden hatten. Dem Fahrer entlockte dies einen entgeisterten Blick.

“Was ist los mit dir!” schrie Mild. “Fahr los!”
Und das tat der Fahrer. Als die Katze ihre Jagd fortsetzte, beschleunigte er. Schneller und schneller beschleunigte das Taxi den 4 Uhr morgens Hollywood Boulevard herunter. Und die ganze Zeit erhielt die Grinsekatze die Verfolgung aufrecht. Tatsächlich schien es, als ob sie immer schneller wurde, während sie uns nachjagte.

“Sie holt auf!” schrie Mild. “Du willst ein Fahrer sein?”
Der Fahrer starrte über die Schulter zu Mild und warf all sein Gewicht auf das Gaspedal. Der Wagen beschleunigte weiter und ließ die Grinsekatze endlich hinter sich. Mit einem letzten gehässigen Grinsen aus der Distanz verschwand die Katze, als das erste Licht der Dämmerung fern im Osten aufkam.

“Was war das?” fragte der Fahrer. “Was für ein Ding war das?”
“Ein außer Kontrolle geratener Special Effect.” erwiderte Mild. “Von zugedröhnten Filmfuzzies, du verstehst?”
“Nein, ich verstehe nicht. Das sah mir verdammt echt aus.”
“Willst du Kohle verdienen? ich meine eine Menge Kohle?”
“Ich denke schon.”
Mild zog eine Karte hervor und schrieb eine Adresse auf die Rückseite.
“Hier. Geh morgen zu dieser Adresse. Sag denen dort, dass ich dich schicke. Du wirst gut bezahlt werden. Du weißt wofür?”
“Nein.”
“Dafür, dass du all das hier vergisst. Falls nicht, werde ich dich umbringen. Verstanden?”
Der Fahrer wirkte nervös. “Wie das Evangelium, Kumpel. Ich denke, ich erleide gerade eine Amnesie.”
“Kluges Kerlchen.” sagte Mild. “Und nun bring uns in unser Hotel, wo das Bett schon auf uns wartet. Hast du´s?”
Mild lehnte sich zurück und starrte in meine Richtung. Ich konnte den Zorn in seinen Augen sehen, der brannte wie die Dämmerung, die wir hinter uns ließen.
“Mann,” sagte er. “Wenn ich diesen Browning in die Finger kriege, werde ich ihm dermaßen die Fresse polieren…”


--- Fortsetzung folgt ---
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