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Alt 29.07.2020, 23:13   #2671  
God_W.
Captain Rezi
 
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Auf zum nächsten Teil des Rezi-Stapels und auch wenn wieder einige Werke dabei sind, die eigentlich eine ausführlichere Besprechung verdienen würden passt das momentan leider gar nicht ins Zeitmanagement. Also in aller Kürze:


Will Eisner Bibliothek: Ein Vertrag mit Gott - Mietshausgeschichten



Ich gebe es gerne zu, mein erster Kontakt mit Will Eisner war ein wenig unglücklich, denn seine Moby-Dick Bearbeitung für junge Leser ist halt nun mal genau das, für junge Leser und deshalb erzählerisch natürlich ein wenig schwach auf der Brust. Dennoch war mir klar, dass ich der „Legende“ noch die ein oder andere Chance einräumen muss und was soll ich sagen? Ein Vertrag mit Gott ist zweifelsohne ein absolutes Meisterwerk und egal wie viele Seiten ich Schreibe, gerecht werden kann man dem sowieso nur schwerlich.

Die Zeit, die er mir in dem Mietshaus, mit seinen Bewohnern und rund um, die Dropsie Avenue in New York beschert hat möchte ich nicht mehr missen und werde ich sicher immer mal wieder zur Hand nehmen! Ich bin grundsätzlich kein Stadtmensch, ich liebe es auf dem Land zu wohnen, eine gewisse Abgeschiedenheit und Ruhe zu haben, wenn ich es wünsche, und unser Krümelchen auf der Straße spielen lassen zu können ohne Angst haben zu müssen, dass sie überfahren wird oder sowas. Dennoch, das vibrierende Leben und Pulsieren einer größeren Stadt hat schon was Faszinierendes und so habe ich es schon als Jugendlicher stets genossen wenn ich im Rahmen meiner sportlichen Aktivitäten mal ein paar Tage in einer solchen verbringen konnte. In Hotels in Berlin habe ich beispielsweise gar des nachts absichtlich das Fenster offen gelassen um dem Straßenlärm, den Autos und ggf. geführten Streitereien lauschen zu können. OK, später mit meiner Frau in Cairo oder New York haben wir das dann nicht mehr gemacht, aber Ihr wisst schon was ich meine.

Die Atmosphäre in einem Mietshaus mit seinen unterschiedlichen Charakteren, den Familien mit ihren ähnlichen und doch so verschiedenen Schwierigkeiten, und den Nachbarn, die wirklich alles in kürzester Zeit mitbekommen ist da nochmal eine ganz andere. Aber nicht nur die bringt uns der New Yorker Will Eisner in seiner Graphic Novel näher, nein, später raus weitet sich das Ganze gar auf einen ganzen Straßenzug, das gesamte Viertel aus und die Entwicklung, die eine solche Gemeinschaft über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten vollzieht. Mehr als einmal musste ich an die letzte Szene von Scorseses „Gangs of New York“ denken, wo man vom anderen Ufer aus beobachten kann wie sich der Big Apple im Laufe der Jahrzehnte entwickelt. Will Eisner macht das noch viel Greifbarer, teilweise in großen Gesten, zumeist aber – und das sind die genialsten Momente – in kleinen Details und äußerst persönlichen und berührenden Einzelschicksalen. Hatte ich es schon erwähnt? Einfach meisterlich und von vorne bis hinten ein Meisterwerk!

10/10



Sandman Deluxe 1: Präludien & Notturni



ENDLICH Zeit und Muße gefunden in Neil Gaimans Opus Magnum einzusteigen! In aller Kürze: Die Meisten feiern das Werk ungemein, viele sagen aber auch, dass der Einstieg durchaus schwer fällt. Ersteres kann ich bislang absolut nachvollziehen, zweiteres gar nicht. Mr. Gaiman liegt gleich von Beginn an exakt auf meiner Wellenlänge. Es geht rätselhaft und wunderschön atmosphärisch gezeichnet los, Gaiman nimmt sich schön Zeit seinen Charakter Dream zu etablieren, das Worldbuilding ist absolut famos mit einigen kleinen, düsteren Winkeln zum Wiedererkennen für den geneigten DC/Vertigo-Leser und beim Dreams letztem Satz bevor er sich auf den Weg zu John Constantine macht um sein Eigentum zurückzuholen musste ich mitten auf dem Campingplatz bei einem Gläschen Scotch mal lauthals loslachen.

Das war jetzt ja mehr oder weniger so etwas wie ein kleines Vorgeplänkel, aber was hier schon an überbordender Fantasie rüberschwappt hat mich schon echt mitgerissen. Die Charaktere sind äußerst interessant und vielschichtig, ich habe das Gefühl erst einen winzigen Teil dieser faszinierenden und offenbar riesigen Welt gesehen zu haben, die große Abwechslung zwischen sprühender Fantasy, finsterem Gothic Grusel, brutalem Horror, eingestreutem Humor und herrlich kreativem Artwork mit an manchen Stellen leicht Gigerschem Einschlag trifft bei mir voll ins Schwarze. Und bevor ich’s vergesse Dream und – vor allem – seine kleine Gothic-Schwester sind einfach voll cool!

9/10



Sweet Tooth – Band 1: Aus dem tiefen Wald



Oh Mann, ich seh’s schon kommen, bald darf ich mir wieder anhören, dass ich nur ultrahohe Bewertungen vergebe, aber hey, was soll ich denn machen, wenn Eisner, Gaiman und Lemire so grandiose Stories schreiben?

Die Geschichte um Sweet Tooth, unserem kleinen Leckermäulchen mit dem Hirschgeweih auf dem Kopf beginnst sehr beschaulich, denn der Mutierte Junge an der Schwelle zum Teenageralter wurde von seinem Dad sehr behütet in einer abgelegenen Waldhütte inmitten eines Nationalparks in Nebraska großgezogen während der Großteil der restlichen Welt von einem äußerst aggressiven Virus dahingerafft wurde.

Wie das in so einer postapokalyptischen Welt nun mal so ist versuchen die Überlebenden nahezu alles um genau das weiterhin zu erreichen – überleben. Viele gehen dabei nicht besonders freundlich vor, auch diejenigen die noch übrig sind werden nach und nach noch krank und sterben, die Neugeborenen sind zumeist entstellt. Mutierte Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier, auf die der Großteil der „normalen“ Menschen nicht gut zu sprechen ist. So wird die Lage ganz schön brenzlig, als die alte Blockhütte kurz nach dem Tod von Sweet Tooth‘ Paps von Eindringlingen entdeckt wird…

Grundsätzlich erstmal eine ziemlich stereotype „Die-Menschheit-geht-an-tödlichem-Virus-drauf“-Geschichte, der Autor Jeff Lemire aber ein paar ganz besondere Kniffe als „Würze“ hinzufügt und seinen typisch einfühlsamen Erzählstil-Stempel aufdrückt. Das macht das Ganze gleich noch ein bis zwei Stufen besser, aber da darf ruhig noch ein wenig mehr kommen.

7,5-8/10



DC: Neue Horizonte – Teil 1 (DC Comics Graphic Novel Collection Band 47)



Als ich mir vor einigen Monaten den ein oder anderen Batman-Band aus der DCGNC war es glaub ich Wild_Bill_Kelso, der mir „Neue Horizonte“ empfahl. Grundsätzlich habe ich mich erstmal ein wenig gesträubt, weil ich mich eigentlich auf die Fledermaus konzentrieren wollte, wenn ich schon in DC Superheldensachen einsteige. Allerdings Gehört zur Fledermaus bei mir auch die Katze und nachdem ich „Selinas grosser Coup“ gelesen hatte wurde ich – schwupps – zu einem kleinen Darwyn Cooke Fanboy. Ich mag seinen Erzählstil, der speziellen, „klassischen Drive“ seiner Zeichnungen und das Pacing, das er an den Tag legt. Grandioser Erzählrhythmus trifft wahnsinns Geschichte.

Wie Cooke hier die Schnüre verlegt um die Origins verschiedenster DC-Helden in eine breit angelegte, epische Story zu verknüpfen und mit Boxkämpfen, Dinosauriern und dem Pazifikkrieg auch noch massig Themen mit einbaut, die ich allesamt faszinierend finde, und es DANN auch noch schafft nicht allzu trashig daherzukommen ist schon ein besonderes Kunststück. Wenn der gute Cooke dazu ein wenig bei den Watchmen klauen muss soll mir das recht sein. Was bin ich froh, dass sein „Batman: Ego“ von Panini jetzt im Oktober auch endlich gebracht wird, auch wenn ich dafür „Selinas großer Coup“ nochmal kaufen muss.

Als Nachschlag gibt es diesmal Adventure Comics #466, in der ich eine äußerst illustre Heldentruppe bei meinem, wie ich meine, ersten Abenteuer auf Erde 2 begleiten darf. Charmant, aber nix was lange hängen bleiben wird, wenn ich ehrlich bin.

8,5/10



Sweet Tooth – Band 2: Gefangen



Ha! Eishockey! Eins von Lemires Lieblingsthemen. War ja klar. Bestimmt ist es auch kein Zufall, dass der alte, kernige Jepperd, der Typ der eine Zeitlang mit Gus, unserem kleinen Süßzahn unterwegs war einem Charakter aus Lemires „Essex County“ doch ein wenig ähnlich sieht. Wie dem auch sei, die Allianz zwischen Jepperd und Gus lief nicht ganz so wie der Junge mit dem Geweih es erwartet hatte und jetzt sitzt er in einem Käfig zusammen mit anderen Tier-Mensch-Kindern und wartet darauf von einem irren Wissenschaftler, der natürlich nur die Menschheit retten will, seziert zu werden. Währenddessen ist Jepperd draußen unterwegs und grübelt über seine Vergangenheit nach. Nach einem kleinen, hypnotischen Zwischenspiel wird es erst richtig interessant…

Und wieder schafft es Jeff Lemire der im Grunde äußerst stereotypen und schon zigmal gesehenen Geschichte diesen besonderen Drive zu verleihen, dass es mich einfach fesselt, mitnimmt und vor allem berührt. Ich hoffe in der geplanten TV-Serie kommen tolle Schauspieler zum Einsatz, denn wenn das nicht transportiert wird geht die Sache trotz aktuellen Bezügen sicher zwischen der Konkurrenz unter.

8/10



DC: Neue Horizonte – Teil 2 (DC Comics Graphic Novel Collection Band 48)



Grandios spinnt Darwyn Cooke die Story weiter, setzt vor allem die Welt der 50er in klassischem Style famos in Szene und treibt die Geschichte auf eine epischen, „Crisis“-mäßiges Finale zu, welches mit dem ein oder anderen „Armageddon“-Moment aufzuwarten weiß. Viel cooler sind aber eigentlich die ganzen Charakterbezogenen Einzelgeschichten von denen Green Lantern sicherlich am spaßigsten zu unterhalten weiß, mein persönliches Highlight aber alles rund um den Martian Manhunter darstellt. Wer hätte gedacht, dass der außerirdische Grünling derart viel zu bieten hat? Ich zumindest nicht. Ich bin schwer begeistert und auch das fette Finale weiß zu überzeugen, auch wenn da vielleicht hinten raus ein wenig Innovation gefehlt hat. Aber hey, zumindest die teilweise Einbindung einer Rede von J.F.K. ist mal ein einfallsreiches und cooles Gimmick.

In Showcase #17 – Das Weltraum-Rennen gibt es abschließend noch eine schön trashig-nostalgische Sci-Fi-Story von 1958 zu bewundern in der wir mit Adam Strange ein wahnwitziges Abenteuer auf dem Planeten Rann erleben dürfen, wo er sich – mit einer schönen Frau an seiner Seite (was sonst?) – den mächtigen Eternals entgegenstellt. Wirklich richtig cool!

9/10


Hach, jetzt habe ich für diesen Sechserzug doch wieder länger gebraucht als gedacht. Muss mich echt mal ranhalten, wenn ich meinen Rezi-Stapel mal signifikant verkleinern möchte. Dauert also hoffentlich nicht allzu lange, bis wir uns wieder lesen.

VG, God_W.

Geändert von God_W. (30.07.2020 um 09:35 Uhr)
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