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Alt 27.09.2018, 17:00   #344  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 66

Erscheinungstermin: 9/1976

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 65
2) Submariner # 9

Story-Titel:
1) Flucht unmöglich!
2) ohne Titel (Der Zauber der Schlange!)

Original-Storytitel:
1) The impossible Escape!
2) The Spell of the Serpent!

Zeichnungen:
1) John Romita / Jim Mooney
2) Marie Severin / Dan Adkins

Text:
1) Stan Lee
2) Roy Thomas



Aus diesem Grund habe ich die Serie nochmal chronologisch lesen wollen. Nur so bekommt man die Veränderungen, die sie erlebte, richtig mit und gewinnt auf manche Sachen einen neuen Blick. In dieser Ausgabe debütiert Inker Jim Mooney. Ich wußte, daß John Romita und Jim Mooney als maßgebliches Zeichnergespann bei der „Spinne“ gelten, aber ich hatte bisher nicht so beachtet, woran das eigentlich liegt. Außerdem hätte ich vermutet, daß Mooney schon ab etwa # 50 dabei war, was definitiv nicht stimmt. Ab diesem Heft wird Romita nicht mehr von Don Heck assistiert, aber ich muß sagen, so schlecht hat Heck seine Sache gar nicht gemacht. Aber der Wechsel von Mike Esposito zu Mooney macht sich deutlich bemerkbar. Esposito hat in den letzten Ausgaben ziemlich mittelmäßige Arbeit abgeliefert – Mooney holt nun aus Romitas Vorzeichnungen eine Menge heraus.

Wer war Jim Mooney? Er war etwa zehn Jahre älter als die meisten Silver-Age-Zeichner (geboren 1919), begann mit Illustrationen für Science-Fiction-Magazine wie „Weird Tales“ und mischte ab 1940 in New York im Golden Age of Comics mit. Von 1946 bis 1968 zeichnete er für DC, unter anderem Batman, und wechselte dann zu Marvel, wo wir ihm soeben begegnen. Stan Lee hatte ihm bereits Anfang der 40er Jahre ein paar Aufträge gegeben und setzte ihn nun sofort bei Amazing Spider-Man ein, weil er wohl auch das Gefühl hatte, daß die Grafik zu wünschen übrig ließ. Ich habe im Internet nur ein paar Seiten aus Mooneys 40er, 50er und 60er Comics gesehen, aber ihn zeichnet eine Vorliebe für gekonnte Schraffuren und überhaupt für starke Hell-Dunkel-Kontraste aus. Spider-Man wird eindeutig düsterer durch ihn, und durch die Lichteffekte werden die Körper auch plastischer und die Panels insgesamt realistischer. Laut Wikipedia hat er ASM nur bis # 88 geinkt – also als Gil Kane kam, mußte er wohl gehen. Ich hätte angenommen, daß Mooney an mindestens 50, wenn nicht 100 Heften beteiligt war, was dann doch hinkommen kann, denn er kehrte später zu verschiedenen Spider-Man-Titeln zurück. Mit fast 90 Jahren ist er in Florida gestorben.

Bei Mooneys Einstieg ist auch die Story ungewöhnlich und ansprechend. Wir erinnern uns, daß die Spinne nach dem Kampf mit dem Geier bewußtlos auf der Straße liegt. Die schaulustige Menge will ihr die Maske herunterreißen, aber Captain Stacy mischt sich ein und warnt, das könnte Grundrechte der Spinne verletzen. Jonah Jameson ist außer sich und beschimpft ihn: „Sie müssen ein religiöser Fanatiker sein.“ Ich vermute, im Original steht eher, Stacy sei ein verdammter Liberaler, aber am Ende wird die Spinne maskiert ins Lazarett eines Gefängnisses gebracht. Auch Stacy begibt sich dorthin, quasi als ihr Rechtsbeistand. Da wird er plötzlich von ein paar Häftlingen, die ausbrechen wollen, gekidnappt. Mit ihm wollen sie ihren Weg ins Freie erzwingen.

Die Spinne erwacht und erkennt die gefährliche Situation. Sie fühlt sich noch nicht fit genug, die Verbrecher zu überwältigen, ohne Leben und Gesundheit von Stacy zu gefährden. Daher versucht sie, die Häftlinge glauben zu machen, sie wolle sich ihnen anschließen und ebenfalls aus dem Gefängnis abhauen. Das nehmen die ihr zunächst nicht ab, aber die Spinne kann sie dann doch bluffen, indem sie ihnen vorspielt, ihr sei völlig egal, was aus Stacy wird. Die Gauner drängen sie daraufhin dazu, beim Ausbruch voranzugehen. Die Spinne bahnt sich durch ein hohes Fenster ihren Weg ins Freie und gibt vor, einen Weg über die Gefängnismauer zu suchen. Die Häftlinge sollen derweil ihre Geisel einsetzen, um aus dem Gefängnisgebäude herauszukommen.

Die Spinne dringt in einen Wachraum ein, überwältigt das Personal und nutzt die Gelegenheit, Tante May anzurufen. Da sie ihr aber nicht sagen kann, wo sie steckt, gelingt es ihr nicht, sie zu beruhigen. Sie konzentriert sich also wieder auf den Ausbruch. Dazu reißt sie den Sicherungskasten aus der Wand. Überall in dem Knast wird es stockfinster (und Mooney kann mit seinen dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten glänzen). In der Dunkelheit überwältigt die Spinne einen Ausbrecher nach dem anderen. Aber als die Notaggregate anspringen und es wieder hell wird, merkt der Anführer, was los ist, und will sich die Spinne vom Hals halten, indem er Stacy umzubringen droht. Die Spinne überwältigt ihn jedoch, indem sie ihm Netzflüssigkeit in die Augen sprüht. Stacy fordert die Spinne auf, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen, aber die macht sich davon. Die Polizei findet den befreiten Polizeioffizier. Jameson kommt hinzu und beschuldigt die Spinne wieder mal aller möglichen Schurkereien. Deren größtes Problem ist: Wie soll sie Tante May erklären, wo Peter Parker gesteckt hat? Und als nächstes kommt Mysterio, ein aus Ditko-Zeiten bekannter Finsterling.

Die Story ist durchweg packend. Die kleinen Ungereimtheiten fallen nicht sehr auf. Trotzdem will ich sie mal nennen: Welche Grundrechte erlauben eigentlich jemandem, eine Maske zu tragen? Ich mußte ein wenig an das heute aktuelle Verschleierungsverbot denken. Ist es üblich, daß das Gefängnishospital nicht geschlossen ist? Die Spinne braucht jedenfalls nur aus ihrem Bett aufzustehen, um sich frei im Gefängnis bewegen zu können. Außerdem: So sehr JJJ bei der Spinne alles zu ihren Ungunsten auslegt, ist Captain Stacy umgekehrt ziemlich vertrauensselig, wenn er ihr sofort abnimmt, daß sie den Ausbrechern nur etwas vorgespielt hat und in Wirklichkeit ihn immer retten wollte. Beinahe überflüssig zu erwähnen, daß Norman Osborn auch in dieser Ausgabe wieder darüber nachgrübelt, was es mit dem Grünen Kobold auf sich hat – ich würde sagen: Hoffentlich erscheint „Spectacular Spider-Man“ nun bald mal…

In diesem Heft bringt die Williams-Redaktion die Diskussion über den „Fall Roter Wächter“ ins Rollen. Es handelt sich um einen kommunistischen Bösewicht, und es geht darum, ob Mitte der 1970er Jahre noch Geschichten aus der Hochphase des Kalten Krieges unbearbeitet erscheinen sollen. Im letzten MMT-Porträt wird Marie Severin vorgestellt, die gerade „Aquarius“ zeichnet. Diese Serie hätte ich gern weiterverfolgt; es wären ja noch unzählige Marvel-Künstler abzuhandeln gewesen, vielleicht auch mal Jim Mooney. Die Monatsvorschau auf der Rückseite zeigt schon das arg zusammengeschrumpfte Programm des kommenden Monats; der Leser erfährt im redaktionellen Teil nichts Weiteres. Auf Seite 2 gibt es statt Checkliste wieder, wie schon gehabt, die Sea-Monkeys- und Marken-Paul-Anzeigen.
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