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Alt 12.07.2020, 18:14   #256  
Peter L. Opmann
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Die Rächer # 15
Williams, März 1975 ("Avengers" # 16, Mai 1965)



Dieses Heft kenne ich nicht aus meiner Kindheit. Natürlich habe ich die Dinge per Vorschau und Checklist verfolgt und dahinter wichtige Ereignisse vermutet. Tatsächlich habe ich es aber erst nach 2000 nachgekauft. Es wäre sicher interessant, wenn ich nachvollziehen könnte, welchen Eindruck die Ausgabe bei mir damals hinterlassen hätte. Sie ist in mancher Hinsicht recht ungewöhnlich. Zunächst mal: Jack Kirby ist zurück (mit Inker Dick Ayers), man erkennt sein Artwork jedoch auf den ersten Blick kaum wieder, weil die Story ausgesprochen actionarm ist. Kein Superschurke sollte sich da einmischen, die Handlung sollte durch keine unerwarteten Wendungen beschleunigt oder verzögert werden. Das wirkt sich in distanzierten Bildern aus – kaum einmal springt dem Leser ein Held panelsprengend entgegen, häufig sieht man sie bloß beieinanderstehen, oder sie stehen einer staunenden Reportermeute gegenüber. Das Cover sieht allerdings sehr vielversprechend aus – es erinnert mich an das von „Spinne“ # 122, mit dem der Tod von Gwen Stacy angekündigt wird. Stan Lee konzentriert sich ganz auf den Personalwechsel bei den Rächern. Ursache für das Stühlerücken ist lediglich, daß erst die Wespe und dann auch Gigant, Eiserner und Thor Urlaub brauchen.

Das kommt aus völlig heiterem Himmel. Nach nur 14 Ausgaben sind diese gewaltigen Helden total urlaubsreif – im Ernst? Mir kam als erstes in den Sinn: Andere Marvel-Superheldenteams haben sich nie urlaubsbedingt vertreten lassen. Die Fantastischen Vier haben hin und wieder Urlaub gemacht, aber dann mußten sie eben in der Sommerfrische Abenteuer bestehen. Das X-Team war in einer Schule, aber ich kann mich nicht erinnern, daß es da jemals Ferien gab. Bei den Rächern wurde nicht nur Urlaub gemacht – es war ein sehr langer Urlaub: Gigant und Wespe kamen in „Rächer“ # 25 und 27 zurück (also erst nach einem Jahr). Der Eiserne und Thor hatten zwischen „Rächer“ # 50 (nach drei Jahren) und dem Kree-Skrull-War nur gelegentliche Gastauftritte. Meine Vermutung ist, daß sich die Soloabenteuer der Ur-Rächer mit ihren Teamaktivitäten nur schwer koordinieren ließen. Mit den neuen Mitgliedern Falkenauge, Quecksilber und der Scharlachhexe werden die Rächer zudem geschwächt. Indem die Gruppe besiegbarer wird, wird die Serie zugleich spannender. Dafür spricht, daß die mächtigsten Rächer, nämlich Thor und der Eiserne, entschieden aus dem Spiel genommen wurden. Captain America hatte dagegen bei den Rächern möglicherweise eine wichtigere Funktion als in seiner spät gestarteten eigenen Serie, wo ihm bald der Falcon zur Seite gestellt wurde.

Zurück zur vorliegenden Ausgabe. Ganz ohne Action läuft die Story nicht ab. Nachdem Cap sozusagen Baron Zemo (offenbar endgültig) ausgeschaltet hat, verfrachten die übrigen Rächer seine Komplizen in ein Paralleluniversum, wo sie sie in Ruhe besiegen können, ohne daß dabei Menschen gefährdet werden. Cap selbst erlebt eine hindernisreiche Rückreise nach New York, aber das war’s dann. Während die Rächer ihre Urlaubspläne diskutieren, kündigt sich schon der erste Ersatzmann, nämlich Falkenauge, per Rauchpfeil an. Falkenauge war bisher ein Gegner des Eisernen (was die Williams-Leser freilich noch nicht wissen konnten), hatte sich allerdings unter dem Einfluß der fatalen Schwarzen Witwe in diese Rolle verstrickt. Nun möchte er auf die Seite der Guten wechseln. Das trifft sich, sagen die Rächer. Der Eiserne macht sich per U-Boot auf die Suche nach Aquarius, bekommt aber von ihm einen Korb. Doch schon haben Quecksilber und seine Schwester, die Scharlachhexe, durch die Zeitung erfahren, daß die Rächer neue Mitstreiter suchen. Sie waren unter Führung von Magneto Widersacher des X-Teams und wollen nun ebenfalls zu den Guten gehören.

Kurz ist vom Hulk die Rede, der ja immerhin Gründungsmitglied der Rächer war. Aber er ist alles andere als ein Teamplayer, zudem kennt niemand seinen Aufenthalt. Treten wir einmal einen Schritt zurück, dann sehen wir, daß der Hulk ebensowenig in die Serie paßt wie andere Charaktere: Er hat eine turbulente eigene Serie, und er ist so stark, daß eine ernsthafte Gefahr für die Rächer unwahrscheinlich wird. Er wird allerdings im nächsten Heft eine Rolle spielen. Am Ende erleben wir noch einen sentimentalen Abschied der Urlauber, dann werden die neuen Rächer von der Öffentlichkeit gefeiert. Falkenauge denkt schon mal: Sollten er und seine Mitstreiter einen Kampf verlieren, wird der Jubel schnell weg sein. Das wird in den kommenden Ausgaben in der Tat ein wichtiges Thema.

Es gibt eine Menge zu sagen zu diesem Heft. Dennoch finde ich die Ausgabe mißglückt – der Story fehlt es doch erheblich an Raffinesse. Und ich glaube, als Kind hätte sie mir auch nicht besonders gefallen – dafür ist einfach zu wenig los. Und die Williams-Leser hatten auch das Manko, die neuen Rächer, die ohnehin B-Helden waren, nicht zu kennen.

Geändert von Peter L. Opmann (12.07.2020 um 20:28 Uhr)
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