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Alt 22.11.2018, 23:51   #408  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 87

Erscheinungstermin: 6/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 86
2) Journey into Mystery # 125

Story-Titel:
1) Hütet euch vor der Schwarzen Witwe!
2) ohne titel (Das Treffen der Unsterblichen!)

Original-Storytitel:
1) Beware the Black Widow!
2) When meet the Immortals!

Zeichnungen:
1) John Romita / Jim Mooney
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Diese Ausgabe hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Es war wohl eine meiner ersten Konfrontationen mit Erotik. Die Spinne hatte es generell nur selten mit weiblichen Gegnern zu tun. Mir fällt da lediglich die Schlangenfrau Prinzessin Python im Zirkus des Schreckens ein und Madame Medusa in „Spinne“ # 63 – bemerkenswert, da sich in Peter Parkers Privatleben einige Frauen tummeln: Liz Allen, Betty Brant, die Freundin der Fackel, natürlich Gwen und Mary-Jane. Aber es war in den 60er Jahren vermutlich recht heikel, die Spinne gegen Frauen kämpfen zu lassen. Peter ist mit seinen Freundinnen auch immer nur eine Limo trinken gegangen.

Diese Story schöpft die Möglichkeiten der erotischen Begegnung – im Rahmen eines Comics für jüngere Leser – ziemlich aus. Madame Medusa war quasi aus dem Nichts aufgetaucht; Prinzessin Python hatte erst nach der Niederlage ihrer Combo versucht, die Spinne mit weiblichen Waffen zu bezwingen. Hier tritt die Schwarze Witwe auf (bekannt aus „Der Eiserne“ und „Die Rächer“), und das wird überlegter inszeniert. Sie hat, wie in einem Rückblick verdeutlicht wird, im Marvel-Universum noch nicht viel ausgerichtet und hatte Pech mit ihren Liebhabern Falkenauge und dem Roten Wächter. Um all das zu vergessen, will sie wieder als Superheldin aktiv werden. Und da scheint Stan Lee ein Gedanke gekommen zu sein: Die Schwarze Witwe sollte ursprünglich vermutlich eine gefährliche, womöglich männermordende Frau sein. Aber die Schwarze Witwe gehört zu den Spinnentieren; daher fügte er es so, daß sie der Spinne über den Weg läuft und sie sich zum Vorbild nimmt.

Vorher wird sehr ausführlich gezeigt, wie die Schwarze Witwe ihr Kostüm wechselt. Anstelle dem violetten Dress mit Netzstrümpfen und kleinem Cape schneidert sie sich nun eine Art Taucheranzug mit Waffen im Hüftgürtel und an den Handgelenken. Peter Parker taucht inzwischen wieder bei den Stacys auf. Gwen entdeckt oberflächliche Wunden in seinem Gesicht, die er sich im Kampf mit Kingpin zugezogen hat. Das wirft wieder unangenehme Fragen nach seinem Verhältnis zur Spinne auf. Weil ihm keine Ausrede einfällt, verabschiedet er sich schnell.

Zu allem Überfluß scheint Peter krank zu werden. Er verwandelt sich in die Spinne, weil er in Sorge ist, er könnte seine Superkräfte verlieren. Jedenfalls kann er nur recht wackelig durch die Gegend schwingen. Da trifft ihn ein Lähmstrahl der Schwarzen Witwe. Das ist der einzige Punkt, an dem in meinen Augen die Logik versagt: Die Witwe greift die Spinne an, weil sie herausfinden möchte, was es mit ihren Fähigkeiten auf sich hat. Aber diese Variante ist immer noch besser als das gern verwendete Mißverständnis zwischen zwei Helden. Die Spinne ist nicht in Topform. Sie läßt den Angriff über sich ergehen, bis sie weiß, wer da attackiert und aus welchem Grund. Als die Witwe meint, sie habe die Spinne gefesselt und besiegt, zerreißt sie die Fesseln und macht ihre Handgelenk-Waffen unschädlich. Die Witwe erkennt, daß sie gegen die Spinne nicht ankommt, und flieht. In ihrem Loft wirft sie sich im Morgenmantel in Pose und sinniert: „Ich habe meine eigenen ungewöhnlichen Kräfte… meinen eigenen Kampfstil… und meine eigene Bestimmung zu erfüllen. Und welche Gefahren auch vor mir liegen… ich werde ihnen als die Schwarze Witwe begegnen!“ Ein Bösewicht würde einen solch stilvollen Abgang nicht bekommen.

Der Spinne geht es mittlerweile immer schlechter. Sie schleppt sich nach Hause und beschließt, ihr Blut zu untersuchen. Zu einem Arzt kann sie nicht gehen, ohne ihre Geheimidentität zu gefährden. Aber Peter kann sich nicht dazu durchringen, einen Blick durchs Mikroskop zu werfen. Er hätte die Chance zu erkennen, daß er wieder ein normaler Mensch ist, aber davor hat er zugleich Angst. Nächste Ausgabe: „Endlich demaskiert!“

Das Besondere an diesem Heft ist der ausführliche Blick auf die äußerst attraktive Schwarze Witwe. Der Leser ist sogar dabei, wenn sie sich in ihrem Schlafzimmer umzieht, wobei man freilich nur ihre Silhouette sieht. Von ihrem neuen Kostüm kann ein junger Leser auch etwas lernen: Frauen definieren sich durch ihre Kleidung und ihren Look. In der Auseinandersetzung mit der Spinne schlägt sich die Schwarze Witwe, jedenfalls im Dialog-Duell, ganz achtbar. Kostprobe: „Glaub ja nicht, ich sei hilflos, nur weil ich so anschmiegsam bin!“ – „Anschmiegsam? Der Schlag fühlte sich an, als hätte ein Nashorn ihn ausgeführt!“

Ich gestehe, die Story spricht mich noch heute an, auch wenn sich die erotischen Effekte sicher abgenutzt haben. Bezaubernd anzusehen ist die Schwarze Witwe aber immer noch, John Romita gibt ihr nur sehr übertrieben lange Beine. Daß überwiegend aus ihrer Perspektive erzählt wird, ist ungewöhnlich und macht die Story ansprechender. Nicht nur, daß die Spinne gegen eine Frau kämpft, ist relativ neu, auch, daß die Lebensgeschichte und Motivation dieser Frau aufgerollt wird. Ein Gegner der Spinne, in den man sich hineindenken und einfühlen kann. Das macht die große Wirkung aus. Für den Umfang von 19 Seiten ist die Story auch recht anspruchsvoll und geschickt konstruiert. Der Actionteil fällt natürlich mit etwa fünf Seiten recht kurz aus. Apropos 19 Seiten: Da liegt wohl doch keine Kürzung vor, sondern die Spider-Man-Storys sind offenbar eine Seite kürzer geworden.
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