Thema: Filmklassiker
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Alt 25.10.2022, 06:57   #95  
Peter L. Opmann
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@ Marvel Boy: Aber der Luxus ist, sich all diese Streamingdienste zu leisten...

Noch eine Komödie, allerdings eine, die ziemlich anders gelagert ist als die bisher besprochenen oder erwähnten: „Willkommen, Mr. Chance“ (1979) von Hal Ashby. Diesen Film habe ich ziemlich früh, jedenfalls in den frühen 1980er Jahren, im Fernsehen gesehen. Ich hatte damals keine Möglichkeit, ihn einzuordnen. Ich kannte Peter Sellers, den Darsteller der Titelrolle, noch nicht – weder die „Pink Panther“-Filme noch irgendetwas anderes mit ihm; ich wußte nicht, daß Ashby unter anderem „Harold und Maude“ gedreht hatte, und mir wurde auch – glaube ich – erstmals vermittelt, daß Fernsehen etwas Schädliches sein kann. „Willkommen, Mr. Chance“ ist ein skurriler Film, der niemals zum lauten Lachen reizt. Ich merkte schon, daß es sich um eine Satire handelt, aber eine mit einer ganz seltsamen, ein wenig melancholischen Atmosphäre.

Die Handlung läßt sich diesmal recht knapp wiedergeben. Mr. Chance (ich glaube, man erfährt niemals seinen Vornamen) ist bei einem Privatmann in Washington als Gärtner angestellt. Sein ganzes Leben, mal abgesehen von Grundbedürfnissen wie Essen und Schlafen, besteht aus seiner Gartenarbeit und aus Fernsehen. Das Grundstück, auf dem er beschäftigt ist, verläßt er niemals, und alles, was er über das Leben außerhalb weiß, hat er durchs Fernsehen erfahren. Man kann sagen, das Dauerglotzen hat ihn völlig verblödet. Aber er schadet ja niemandem. Chance ist ein sehr stiller, zurückhaltender Mensch. So hätte das mit ihm ewig weitergehen können, aber eines Tages stirbt sein Arbeitgeber, und dadurch ist er gezwungen, dessen Anwesen zu verlassen. Nur seine Fernbedienung nimmt er mit.

Chance irrt orientierungslos durch die Straßen und wird schließlich von Shirley MacLaine angefahren, als er durch eine Reihe von Fernsehgeräten in einem Schaufenster abgelenkt ist. Es passiert ihm nicht viel, aber MacLaine ist sehr erschrocken und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Sie ist die Gattin eines einflußreichen Geschäftsmanns und bemüht sich, ihn völlig wiederherzustellen. Chance trägt jetzt aufgrund eines Mißverständnisses den Namen „Chancy Gärtner“; er lebt von da an bei ihr und ihrem Mann. Meist redet Chance überhaupt nicht, und wenn, dann wirres Zeug, Dinge, die von seiner Gartenarbeit und seinen Fernseherfahrungen herrühren. Für seine Gastgeber sind das freilich tiefe Weisheiten, die er von sich gibt. Sie halten ihn für einen Guru. Erst stellen sie ihn stolz in ihrem Bekanntenkreis vor, vermitteln ihm dann Auftritte in Fernsehtalkshows und stellen ihn bei passender Gelegenheit sogar dem US-Präsidenten vor, der ebenfalls von ihm schwer beeindruckt ist.

Niemand scheint zu durchschauen, daß er in Wahrheit ein Trottel ist. Zwar befaßt sich der Geheimdienst mit ihm, aber es gibt keinerlei Informationen über ihn, was die Behörde zu der Überzeugung bringt, er sei eine so wichtige Persönlichkeit, daß alle Daten über sein Leben ausgelöscht worden seien. Schließlich einigt sich die politische Kaste in Washington darauf, daß Chance der ideale Kandidat für die nächste Präsidentenwahl wäre. Der weiß gar nichts von seinem Glück. Der Film endet nicht mit einem wuchtigen Schlußgag, sondern Chance verläßt einfach die Gesellschaft, die so hingerissen von ihm ist, und geht somnambul weg.

Dieser Film handelt von einer offensichtlich vergangenen Zeit. Im Prinzip geht es um einen Hochstapler, aber einen unfreiwilligen. Heute gibt es zwar eine Menge Trottel im Fernsehen, aber die sind offenbar so ausgewählt, daß jeder sieht, daß sie vulgär und dumm sind. Und auch wer in der Politik Erfolg haben will, muß manchmal seine Minderbemitteltheit plakativ ausstellen (siehe der aktuelle Ex-Präsident). Ich fürchte, „Willkommen, Mr. Chance“ spricht heute weniger Menschen an als damals, als der Film erschien. Die stille Art der Inszenierung paßt nicht mehr in die heutige Medienlandschaft. Ich habe „Willkommen, Mr. Chance“ selbst auch schon länger nicht mehr gesehen, habe aber Lust bekommen, das mal wieder zu tun.
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