Thema: Filmklassiker
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Alt 23.10.2022, 07:18   #62  
Peter L. Opmann
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Nochmal ein Film, der bei manchen Stirnrunzeln hervorrufen könnte: „Futureworld – das Land von Übermorgen“ von 1976 (Regie: Richard T. Heffron). Ich habe selbst überlegt, ob ich diesen Film unter „Klassiker“ einsortieren soll, aber jedenfalls kann ich ihn mir immer wieder ansehen. Vielleicht gefällt er mir deshalb, weil er in gewissem Sinn „Blade Runner“ vorwegnimmt. Es geht um Androiden, die von Menschen kaum mehr zu unterscheiden sind. Außerdem geht es um zwei Journalisten, die so lange hartnäckig recherchieren, bis sie einem Riesenskandal auf die Spur gekommen sind – das spricht mich als Vertreter dieser Zunft natürlich an.

Manches an dem Film ist zugegeben etwas peinlich. Es ist nämlich die Billig-Fortsetzung von „Westworld“, einem Film über einen außer Kontrolle geratenen Freizeitpark von Michael Crichton. Dessen Star war Yul Brynner als schwarzgekleideter „Gunslinger“. Nicht verwendete Szenen von Brynner wurden in „Futureworld“ als Traumsequenz verwurstet. So wirkte also der Star des Films an den Dreharbeiten überhaupt nicht mit (und kostete auch keine Gage). Gedreht werden durfte im NASA Space Center in Huston – so sparte man sich teuren Kulissenbau, stellte das aber als großen Vorzug des Films hin. Tatsächlicher Star bei „Futureworld“ ist Peter Fonda, der seine Sache trotz vermutlich bescheidener Bezahlung gut macht. Er spielt einen der beiden erwähnten Journalisten. Und der Film ist überraschend gut inszeniert mit einer gekonnten Mischung aus Spannung und satirischen Elementen.

Also von Anfang an: Fonda (Motto: „Ich mach‘ aus jeder Geschichte was.“) soll von einem Informanten einen Tip erhalten, aber der wird umgebracht, bevor er reden kann. Er kann nur noch hervorröcheln, daß es mit Futureworld zu tun hat. In Westworld waren gleich bei der Eröffnung mehrere Besucher getötet worden, weil die Roboter in dieser Westernkulisse nicht mehr steuerbar waren und scharf schossen, was dem Geschäft verständlicherweise schadete – Westworld wurde geschlossen. Die Freizeitpark-Firma hat nun den Park völlig überarbeitet, vergrößert und verbessert und lädt eine Horde Journalisten ein, damit die sich selbst überzeugen, daß „Futureworld“ nun völlig sicher ist (genauso wie der „Jurassic Park“). Fonda geht natürlich hin.

Allerdings zieht er damit den Zorn von Blythe Danner (im wahren Leben die Mutter von Gwyneth Paltrow) auf sich. Sie ist Fernsehjournalistin (während er für eine Zeitung arbeitet) und hat Sorge, daß er ihr eine schöne Story wegschnappen oder vermasseln wird. Aber der Zeitungsherausgeber, dem auch der TV-Sender gehört, ordnet an, daß Fonda und Danner beide die Geschichte machen. Der Futureworld-Centerleiter (Arthur Hill) hat eine klare Strategie: völlige Offenheit. Die Journalisten dürfen sich überall umsehen und sich überzeugen, daß alles einwandfrei funktioniert.

Fonda weiß zuerst nicht, wonach er suchen soll, und Danner ist genervt, weil sie eigentlich einen schönen Werbefilm drehen will. Dann stößt Fonda aber auf einen Roboterkonstrukteur (Stuart Margolin), der auspackt. Genaues weiß er zwar auch nicht, aber er führt Fonda zu einem Bereich des Parks, wo geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. Zusammen mit Danner dringen sie da ein und sehen mit Entsetzen, daß dort Androiden gebaut werden, die exakt so aussehen wie die Besucher dieses PR-Termins (darunter auch eine Auswahl der Reichen und Schönen) und sie aus dem Weg räumen und dann ersetzen sollen. So geht die Firma sicher, daß über „Futureworld“ anschließend nur Positives berichtet wird.

Fonda und Danner wollen so schnell wie möglich abhauen, wobei sie entdecken, daß auch Hill ein Android ist. Auf ihrer Flucht durch „Futureworld“ begegnen sie dann auch ihren bereits fertigen Doppelgängern, die den Auftrag haben, sie zu beseitigen. – Ich erzähle wieder den Schluß, okay? Ein Haken bei dem Doppelgänger-Duell ist, daß die Androiden ihren Vorbildern wirklich in jeder Hinsicht gleichen. Peter Fonda ist ein schlechter Pistolenschütze, also ist es sein Android auch. Dagegen ist Danner als gute Amerikanerin eine exzellente Schützin. Sie bekommt mit der Androiden-Blythe (die ebenso todsicher trifft) daher nur ein kurzes Shoot-out. Fonda turnt dagegen in der gesamten Kulisse herum, weil er seinen Androiden nicht erschießen kann und der ihn ebensowenig. Einer stößt den anderen schließlich in die Tiefe.

Es scheint, als hätten sich die Androiden durchgesetzt. Beim Abschied bauen sich Fonda und Danner unschuldig lächelnd vor dem Chef-Androidenbauer auf und versichern, sie hätten über Futureworld nur Gutes zu sagen. Dann gehen sie weiter zum Zug, der sie aus dem Freizeitpark wegbringen wird, und im letzten Moment dreht sich Fonda um und zeigt den Stinkefinger.

„Futureworld“ ist ein AIP-Produkt (American International Pictures mit seinem Haupt-Regisseur Roger Corman war etwa 30 Jahre lang das wichtigste Independent-Studio in Hollywood). Man merkt dem Film hier und da schon die Sparauflagen an. Aber es sind frühe Computertricks enthalten, und dem Film liegt ein ordentliches Drehbuch zugrunde, mit dem der Plot von „Westworld“ nicht nur einfach wiederholt wird und das so viele originelle Einfälle aufweist, daß man von der Billigproduktion meist abgelenkt wird.

Zwar werden Journalisten wie oft im Film mit Detektiven verwechselt, aber man sieht sie auch in ihrer Funktion als unkritische Werbeknechte. Zudem werden hier schon Fragen aufgeworfen, die knapp zehn Jahre später in „Blade Runner“ noch erheblich vertieft werden. Wobei auch „Blade Runner“ einem Denkfehler unterliegt, auf den Stanislaw Lem hingewiesen hat: Wie können Androiden für die Menschheit gefährlich sein, wenn sie selbst durch künstlich eingepflanzte Erinnerungen gar nicht wissen, daß sie Androiden sind? Bei „Futureworld“ haben sie keinen eigenen Willen; der Widerspruch setzt schon früher ein: Wie kann es sein, daß der Fonda-Android so rebellisch wie sein Vorbild ist (eben eine genaue Kopie), aber gleichzeitig genau das tut, wofür ihn seine Erbauer programmiert haben? Trotzdem für mich gute Unterhaltung.
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