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Alt 03.06.2018, 17:41   #116  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Neben Frans Masereel (siehe Post #32) und Lyonel Feininger (siehe Post #53) muß hier ein weiterer Name fallen, der Kunstfreunden und Kunsthistorikern geläufig ist: Gustave Doré (1832 - 1883) verdankt seinen Ruhm in erster Linie den Büchern, die er illustriert hat, wobei die Spanne von der Bibel und Klassikern der Weltliteratur bis hin zu damals zeitgenössischen Werken reicht.
Konrad Farner nennt ihn einen industrialisierten Romantiker, der natürlich auch Gemälde und Skulpturen schuf. Denn Doré bediente sich der neuesten Medien seiner Zeit und leitete ein Studio, in dem ihm Assistenten zuarbeiteten.
In diesem Studio entstanden zwischen 1847 und 1854 vier Comics, die in der Tradition des Schweizer Pionier Rodolphe Töpffer (1799 - 1845) stehen. Doré folgt damit Cham, Pseudonym für Amédée de Noé (1818 - 1879), der Töpffers "littérature en estampes" (deutsch: Literatur in [Kupfer-]Stichen) nach Frankreich importiert hatte.

Gustave Doré (Szenario) / Gustave Doré und Noël Eugène Sotain (Zeichnungen): Histoire pittoresque, dramatique et caricaturale de la sainte Russie : d'après les chroniqueurs et historiens Nestor, Nikan, Sylvestre, Karamsin, Ségur, etc. (J. Bry Aîné 1854, Henri Veyner 1974, Éditions de l'unicorne 1991, Hermann 1996 und zuletzt Éditions 2024 - 2014), deutsche Ausgabe: Die äußerst anschauliche, fesselnde und seltsame Historie vom Heiligen Russland nach den ältesten Quellen und Historikern: Nestor, Nikan, Sylvester, Karamsin, Segur u.a. (F.W. Hendel 1937, Bertelsmann Kunstverlag 1970), 207 Seiten

Unter Dorés Comics finden sich auch eingängigere Werke wie Les Travaux d’Hercule (1847), in denen er sich auf die mythologischen Arbeiten des Herkules bezieht.
Sein Rußland-Comic fiel lange Zeit durch das Raster, im weitesten Sinne fällt er in das Genre Sachcomic. Was einem stehenden Helden am nächsten kommt, ist der namenlose Erzähler, der historische Quellen zitiert und illustriert.
Wer etwas Sachliches erwartet, wird enttäuscht werden. Nationalklischees hängen stark von der Tagespolitik des jeweiligen Landes ab. Deshalb finden sich auch keine Nachdrucke aus den Zeiten, in denen Frankreich mit Rußland verbündet war.
Der Rant über die bösen, brutalen und gemeinen Russen schildert eine wüste Geschichte auf dem Niveau von Tintin au pays des Soviets | Tim im Lande der Sowjets. (1929/1930). Der schwarzweiße Comic schafft sich ein freies Seitenlayout und ist vor allem für ein Panel in einer Schmuckfarbe berühmt: Ein roter Blutfleck prangt auf einer Seite.

Geändert von Servalan (20.05.2020 um 22:08 Uhr)
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