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Alt 04.07.2015, 11:38   #26  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Zitat von eck@rt Beitrag anzeigen
Wenn der Verlag das behauptet, so wird es jetzt "Wahrheit", indem es nämlich in allen Anpreisungen des Buches übernommen und vermutlich auch später weitergetragen werden wird. Ein schönes Beispiel dafür, wie (falsche) Legenden entstehen.
Wenn jetzt mehr Leute mit Comics (und deren Erforschung) Karriere machen wollen, wird natürlich die Konkurrenz größer. Mir kommt das Verfahren allzu bekannt vor: Zu allen Zeiten wurden von Leuten Dokumente gefälscht, um sich Ansprüche zu sichern. Bei der sogenannten "Konstantinischen Schenkung" hat das ja prima geklappt. Weil ich niemandem Bösartigkeit unterstelle möchte, sehe ich darin ein Verlangen nach einem historischen Klassiker, der schon etliche Jahrzehnte auf dem Buckel hat und vom Bildungsbürgertum akzeptiert werden kann, und der Hillmann/Hammett-Band eignet sich vorzüglich dazu.
Einerseits kann da in Prüfungstexten hemmungslos fabuliert werden, weil kein lebender Künstler mehr widersprechen kann. Solange sich die prüfenden Akademiker einig sind, wie der Mythos aussehen soll, müssen der akademische Mittelbau und die Studierenden gehorchen und die Story brav lernen.
Andererseits eignet sich der Mythos gut zum Small-talk, kann also von Leuten wiedergekäut werden, die keine Ahnung von Comics haben, die niemal Comics gelesen haben oder wollen und sich dennoch einbilden, sie hätten immer recht.

Comichistorisch sehe das wie in den Anfängen der Comicforschung in der Nachkriegszeit (50er bis 70er Jahre), als jeder Kontinent Gründervater gesucht hat: Europa mit Töpffer, Amerika mit Yellow Kid und Japan mit Osamu Tezuka. Da werden Claims abgesteckt, um sich Ansprüche zu sichern.

Die "Eliten" in den "Qualitätsmedien" und in der Politik mögen solches Vorgekautes und Vorverdautes. Wenn das erst einmal in der "Forschungsliteratur" voneinander abgeschrieben wird, dann IST das leider die Wahrheit. Wer dann dagegen Einspruch erhebt, wird als Spinner oder Verschwörungstheoretiker diffamiert und disqualifizert.

Der Nobelpreisträger und Physiker Richard Feynmann prägte 1974 für diese Schludrigkeit den Begriff Cargo-Kult-Wissenschaft (Cargo Cult Science):
Zitat:
Als Metapher steht „Cargo-Kult-Wissenschaft“ vor allem für (formal bzw. syntaktisch richtige) Abläufe und Prozesse im Wissenschaftsbetrieb und im Umgang mit Technologie, bei denen der Status und Symbolgehalt dieser Vorgänge den tatsächlichen Nutzwert übersteigt. Es wird also versucht, durch die eher symbolischen Handlungen wirtschaftlichen Erfolg und öffentliche Anerkennung zu erreichen. (...)
Ebenfalls angewendet werden kann der Begriff auf von wissenschaftlichen Hypes und Moden vorangetriebene Arbeiten mit hohem Symbolgehalt und geringem realem Nutzwert im Zusammenspiel von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik.
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