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Alt 02.11.2018, 20:27   #398  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 79

Erscheinungstermin: 3/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 78
2) Journey into Mystery # 121

Story-Titel:
1) Die Nacht des Strolchs!
2) ohne Titel (Die Kraft! Der Zorn! Der Stolz!)

Original-Storytitel:
1) The Night oft he Prowler!
2) The Power! The Passion! The Pride!

Zeichnungen:
1) John Buscema / Jim Mooney
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Was mir mit zwölf jedenfalls nicht aufgefallen ist: Die „Spinne“-Ausgaben sind in letzter Zeit sehr unterschiedlich. Es geht mir nicht um Niveauschwankungen, aber es wird immer wieder etwas anderes ausprobiert: erst die doch recht verwickelte, zudem auf sieben Folgen gestreckte Tafel-Story, dann die simpel gestrickte Begegnung mit der Echse, und jetzt kommt ein quasi sozialkritischer Superschurke namens Strolch, sicher nicht zufällig ein Schwarzer. Es hat meines Erachtens nichts damit zu tun, daß an einer endlosen Fortsetzung gearbeitet wird, bei der jede Folge etwas mit der vorhergehenden zu tun hat. Vielmehr gibt es anscheinend nicht das etablierte Rezept für „Spinne“-Storys, was ich aber eigentlich gut finde. Es glückt nicht alles, was Stan Lee und seine Zeichner versuchen, aber die Serie wirkt lebendig (wenn auch der Comics Code noch in Kraft war und sie nicht alles tun durften, was sie vielleicht gern mal ausprobiert hätten).

Zunächst wird unserem Helden nun doch eine kleine Verschnaufpause gegönnt. Es kommt nicht gleich der nächste Spinne-Gegner um die Ecke, sondern sie kommt auf die Idee, Gwen anzurufen, um ein paar Beziehungsfragen zu klären. Schön altmodisch: Die Spinne betritt eine Telefonzelle, angelt sich eine Münze aus dem Abflußschacht und schlägt einen Raufbold in die Flucht, der ebenfalls telefonieren möchte. Gwen ist zwar zu Hause, wimmelt Peter aber ab, weil sie mit Flash Thompson verabredet ist (was sie ihm aber nicht sagt). Die Spinne seilt nach Hause, kann aber nicht ins Apartment, weil Harry dort – endlos lange – telefoniert. Dann will sich Peter an seine Bücher setzen, muß aber dauernd an Gwen denken. Um sich abzulenken, geht er spazieren – und sieht Gwen und Flash in einem Lokal. Könnte er die beiden hören, wüßte er jedoch, daß Gwen nur zu klären versucht, warum Peter bei Gefahr immer verschwindet.

Peter ist dagegen überzeugt, daß sie ihn betrügt. Völlig in Gedanken versunken läuft er schon wieder zwei Schlägern in die Arme, die er aber einfach beiseitefegt. Er erkennt, daß er sich damit womöglich als Spinne enttarnt hat, und läuft weg. Dabei sieht er kurz an einer Hochhausfassade einen Fensterputzer und denkt sich: Na, der hat keine Sorgen! Aber weit gefehlt. Hobie Brown, so heißt der junge Schwarze, fühlt sich eigentlich als Erfinder, schafft aber den Aufstieg nicht. Sein Chef interessiert sich nicht für seine verbesserten Arbeitsgeräte, nur für ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Und dann nimmt Jonah Jameson Hobie auch noch zum Anlaß, sich über die angeblich schlechten Leistungen der Reinigungsfirma zu beschweren. Als sein Chef darauf Hobie feuern will, ergreift Jameson eigenartigerweise für ihn Partei. Aber Hobie hat genug. Er geht nach Hause und arbeitet seine Erfindungen so um, daß er mit ihnen zu einer Art Super-Einbrecher werden kann, zum Strolch. Allerdings hat er vor, später seine Beute zurückzugeben und dafür Ruhm zu ernten.

Die nötige Publicity will sich der Strolch verschaffen, indem er beim Daily Bugle einbricht. Hier wiederholt sich gerade die Ausbeutungs-Szene: Jameson lehnt einen Vorschuß für Peter Parker ab. Als Peter das Büro verläßt, steht er dem Strolch gegenüber, der soeben den Bugle-Safe geplündert und einen Wachmann niedergeschlagen hat. Aber Peter ist nicht im Spinnenkostüm. Er will trotzdem den Kampf aufnehmen, aber da kommt Jameson herein – Peter kann nicht kämpfen, ohne sich zu verraten.

Der Cliffhanger ist nicht übel konstruiert. Am spannendsten ist es immer, wenn die Geheimidentität von Peter Parker aufgedeckt zu werden droht. Reichlich dick aufgetragen und unglaubwürdig wirkt dagegen der soziale Touch der Story. Im Grunde ähnelt sie sehr der letzten Ditko-Ausgabe mit dem gescheiterten Boxer Joe, der eher wider Willen zum Bösewicht wird. Dabei fällt mir auf: Ditko wollte ja mehr Alltagsmenschen, mehr Alltagswirklichkeit in der Serie, zerstritt sich darüber aber mit Lee so heillos, daß er die Arbeit an der „Spinne“ einstellte, möglicherweise sogar gehen mußte. Jetzt kommt sein Konzept zurück. Schon im Tafel-Epos hatte es die Spinne mit Gangstern und keinem Superschurken zu tun. Auch Hobie ist ein nahe an der Wirklichkeit angesiedelter Bösewicht, der keine Superkräfte hat. Ich denke aber nicht, daß Ditko mit seinem Konzept letztlich doch recht behalten hat. Lee bezieht es auf der Suche nach der optimalen „Spinne“-Formel nur mit ein.

Die Figur des Strolchs ist allerdings ziemlich unglücklich und ungeschickt angelegt. Im Kern ist er ein Benachteiligter, der dadurch auf die schiefe Bahn gerät. Es wird recht unverblümt gezeigt, daß Schwarzen Erfolg verwehrt wird, weil sie schwarz sind. Möglicherweise die Realität 1969 in USA. Lee wollte aber nicht schwarze Verbrecherlaufbahnen rechtfertigen. Das hätte man auch so lesen können, daß Schwarze immer als Kriminelle enden. Also will Hobie hier nur einen Schurken spielen. Das ist aber Kokolores. Strolch räumt Tresore aus – Hobie bringt das Geld zurück und wird dafür belobigt: Hätte das klappen können (wenn die Spinne nicht eingegriffen hätte)? Dieses Denken scheint mir ziemlich gestört. Man muß aber wieder sagen: John Buscema setzt die Geschichte so dramatisch in Szene, daß einem jüngeren Leser die Unstimmigkeiten nicht auffallen. Übrigens: Den Strolch hat laut Credits John Romita entwickelt – er ist aber nicht zu einem der großen, unvergeßlichen Marvel-Schurken geworden. Und: Romita-Signaturen an den Coverbildern sieht man jetzt häufiger.

Geändert von Peter L. Opmann (03.11.2018 um 08:03 Uhr)
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