Thema: Filmklassiker
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Alt 11.05.2024, 06:43   #2070  
Peter L. Opmann
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Ein paar Eckdaten zur „Meuterei auf der Bounty“ (1962) mit Marlon Brando: Sechs Millionen Dollar Produktionskosten waren budgetiert, 26 Millionen sind es tatsächlich geworden. Einspielergebnis: zehn Millionen Dollar. 50 Millionen hätte MGM gebraucht, um den break even zu erreichen. So stellt es jedenfalls Jörg Fauser in seiner Brando-Biografie „Der versilberte Rebell“ dar. In „Marlon Brando und seine Filme“ aus der Citadel-Filmbuch-Reihe liegen die Zahlen um ein paar Millionen dichter beieinander, und es wird hinzugefügt, die Verluste seien auch durch den Verkauf der Fernsehrechte in Grenzen gehalten worden. Dennoch wird der Film in die gescheiterten Großproduktionen zu Beginn der 1960er Jahre eingereiht, die mit Bergen von Geld und Super-Breitwandformat dem neuen Konkurrenten TV Paroli bieten sollten und das Ende des traditionellen Studiosystems in Hollywood besiegelten (Musterbeispiel „Cleopatra“ der 20th Century Fox mit Elisabeth Taylor und Richard Burton). Alle diese Monumentalfilme (dazu gehört etwa auch „Der Untergang des römischen Reiches“ der Paramount von 1964) waren schlecht geplant und organisiert und hatten oft auch noch mit Starallüren und einer Kette von Pannen und Katastrophen während der Dreharbeiten zu kämpfen. All das findet man auch bei der „Meuterei auf der Bounty“. Der Film lief damals anläßlich des 70. Geburtstags von Brando im Fernsehen.

Letztlich schadete das Projekt vor allem Brando, der seine eigene Produktionsfirma verlor und bis zum „Paten“ in keiner Großproduktion mehr mitwirkte. Ich finde jedoch, daß man dem Film die Probleme nicht ansieht. Brandos Konzept, Fletcher Christian differenzierter darzustellen und Kapitän Bligh von einem Monster zu einem Disziplinfanatiker zu reduzieren, funktioniert (damit setzte er sich zuerst gegen Regisseur Carol Reed und dann auch seinen Nachfolger Lewis Milestone durch; am Ende soll dann noch George Seaton auf dem Regiestuhl gesessen haben). Ich habe dieser „Meuterei“ keine groben Produktionsfehler angemerkt, und ich finde das Werk trotz fast dreistündiger Länge nie langweilig. Hier werden keine logischen Fehler in der Handlung mit Grandezza überspielt; es ist eine psychologisch recht überzeugende Studie geworden, auch wenn die historischen Fakten wiederum, wann immer nötig, beiseitegeschoben werden.

Fletcher Christian macht hier eine interessante Entwicklung durch: Zu Beginn ist er ein nicht unbedingt sympathischer adeliger Geck – man ist eher auf Seiten des nüchternen, pragmatischen Bligh (Trevor Howard). Die Strafaktionen des Kapitäns während der Fahrt werden dosierter dargestellt. Brando steht anfangs dahinter, versucht dann, die Mannschaft vor dem Schlimmsten zu bewahren, und wendet sich erst nach und nach gegen die grausamen Methoden Howards. Der hat einen Grund für seine Härte: Er muß Tahiti so schnell wie möglich erreichen, um die Brotpflanzen rechtzeitig an Bord zu bringen, und später entscheidet er, die Wasserration der Mannschaft zu kürzen, damit die Pflanzen auf See genug Wasser bekommen. Erst damit spitzt sich die Lage zu, und Brando meutert zu dem Zeitpunkt, als auch kranken Matrosen nicht mehr Wasser zugestanden wird. Es wird klarer herausgestellt, daß er seine Leute daran hindert, Howard zu lynchen, weil er sich nicht auf eine Stufe mit dem Kapitän stellen will. Einen Prozeß gegen Meuterer gibt es in diesem Film nicht, aber einen gegen Howard, der auch hier mit einem kleinen Boot und wenigen Getreuen Land erreicht, von dem er nach England zurückkehren kann. Der Richter stellt fest, daß sich der Kapitän zwar formal nichts zuschulden kommen lassen, aber sich für das Führen eines Schiffs als ungeeignet erwiesen hat. Der Hinweis, die Meuterei habe zu Reformen in der britischen Marine geführt, fehlt hier.

Es wird ein neuer Filmschluß angehängt, der den Fokus stark auf Brando und die Botschaft richtet, die er vermitteln wollte. Im Gegensatz zu Clark Gable ist er ein Zerrissener. Ihm ist nach der Meuterei klar, daß er – nach geltendem Recht – bis zum Ende seines Lebens ein Gejagter sein wird. Der Aufstand gegen seinen Kapitän war für ihn der letzte Ausweg – fast scheint es, als bereue er seine Tat. Anders als seine Mannschaft freut er sich über die Rückkehr ins Südseeparadies Tahiti überhaupt nicht, nicht einmal über das Wiedersehen mit seinem Mädchen Tarita Teriipaia. Er flieht zwar mit seinen Leuten weiter zur Insel Pitcairn, entscheidet sich dort jedoch, trotz des drohenden Galgens nach England zurückzukehren, um aufzuklären, wie es zu der Meuterei gekommen ist und seine Ehre wiederherzustellen. Seine Mannschaft macht ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung und verbrennt die Bounty. Beim Versuch, wenigstens den Sextanten vom Schiff zu retten, stirbt Brando in den Flammen. Er zeigt: Selbst in einem Paradies wie Tahiti können die Menschen nicht friedlich zusammenleben. Sein Tod ist bewegend, aber wiederum weit von den historischen Fakten entfernt. Der wirkliche Fletcher Christian wurde vermutlich auf Pitcairn ermordet.

Der Film ist nach meinem Eindruck trotz der chaotischen Produktion gelungen. Vielleicht hat Marlon Brando, der sich kurz zuvor mit dem Western „One-eyed Jacks“ als fähiger Regisseur erwiesen hatte, das Projekt zusammengehalten (er drehte auf jeden Fall wichtige Szenen unter eigener Regie). Vor allem ist der Widerspruch, in dem Disziplin und Menschlichkeit stehen können, gut herausgearbeitet. Es wäre sicher interessant zu untersuchen, inwieweit die Veränderungen, die es im Kino der 1950er Jahre gab, hier ihren Niederschlag gefunden haben. Tabus gebrochen, wie es dann in New Hollywood geschah, werden hier dagegen noch nicht. „Meuterei auf der Bounty“ ist jedoch einfach auch ein packender Abenteuerfilm, der den Zuschauer drei Stunden lang nicht losläßt. Kurios fand ich, daß Marlon Brando hier mit der Stimme von Captain Kirk spricht (was aber nicht unpassend ist) und der Off-Sprecher mit der Stimme von Stan Laurel.

Geändert von Peter L. Opmann (11.05.2024 um 07:10 Uhr)
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