Thema: Filmklassiker
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Alt 09.05.2024, 06:16   #2068  
Peter L. Opmann
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Nochmal zurück zum Vergleich von Original und Remake. Betrachten wir die Meuterei auf der Bounty, einmal mit Charles Laughton und Clark Gable, einmal mit Marlon Brando und Trevor Howard. Die neuere Verfilmung mit Mel Gibson und Anthony Hopkins habe ich nicht gesehen und auch nicht auf Video. „Meuterei auf der Bounty“ (1935) von Frank Lloyd setzte damals Maßstäbe und gilt als einer der besten Abenteuerfilme seiner Zeit. Ich muß gestehen, daß ich diesen Film nur einmal gesehen habe (also jetzt zum zweiten Mal), die Verfilmung von 1962 dagegen einige Male, und trotz aller Einwände und der katastrophalen Produktionsgeschichte hat sie sich mir tief eingeprägt.

Doch zunächst zum Original. Zu Beginn der 1930er Jahre waren drei Romane zu dem historischen Geschehen erschienen und legten vermutlich eine Verfilmung nahe. Der Film hat in meinen Augen positive und negative Seiten. Die Handlung dürfte weitgehend bekannt sein: Ende des 18. Jahrhundert segelt das englische Schiff, die Bounty, nach Tahiti, hauptsächlich um Brotfruchtbäume nach England zu bringen. Kapitän William Bligh (Laughton) ist pflichtversessen, brutal und dazu noch ungebildet und schikaniert die Besatzung pausenlos. Als Tahiti nach einer extrem entbehrungsreichen Fahrt, bei der auch Seeleute ums Leben kommen, erreicht ist, kann der Erste Offizier Fletcher Christian (Gable), ein Gentleman aus besseren Kreisen, die Quälerei nicht mehr verantworten, meutert gegen seinen Kapitän und setzt ihn und die ihm treu gebliebenen Besatzungsmitglieder auf einem Beiboot aus. Bligh erreicht gegen alle Erwartungen England und erhält ein neues Schiff, um Christian zu fangen, findet ihn aber in der Südsee nicht mehr. Die Meuterer bringen sich auf der Insel Pitcairn in Sicherheit; diejenigen, die auf Tahiti geblieben sind, werden nach England zurückgebracht und hingerichtet, obwohl sie sich von dem Aufstand distanzieren.

Bewegend fand ich die Schlußrede von Seekadett Byam (Franchot Tone), in der er – bereits zum Tod durch den Strang verurteilt – Bligh und seine Führungsmethoden verurteilt, was angeblich zu Reformen in der britischen Marine führte. Der Auftritt erinnert mich ein bißchen an Chaplins Rede am Ende von „Der große Diktator“. Laughton glaubt, daß sich das Prinzip von Befehl und Gehorsam nur durch Druck durchsetzen läßt (und hat wohl auch Freude am Quälen). Clark Gable steht für eine motivierende, humane Art der Schiffsführung – daß die nach der Meuterei flächendeckend eingeführt wurde, halte ich allerdings für ein Märchen. Natürlich ist Laughtons Darstellung eines Bösewichts ganz eigener Prägung unvergleichlich, und ich finde, Gable kann als abenteuerlicher Held neben ihm bestehen, obwohl er sich laut meiner Laughton-Biografie häufig an die Wand gespielt fühlte. Die Geschichte des Tahiti-Unternehmens und der Meuterei ist aber insgesamt – abgesehen davon, daß mit den historischen Fakten sehr frei umgegangen wird – nicht sehr glaubwürdig. Das liegt an der konsequenten Schwarz-weiß-Zeichnung und der Konzentration auf dramatische Szenen, ohne zu berücksichtigen, wie sie zustandegekommen sein mögen.

Ein paar Gedanken, die mir beim Ansehen kamen: Laughton straft praktisch jeden auf dem Schiff aus nichtigen Anlässen, willkürlich und grausam – obwohl er sich selbst nicht an die verordnete Disziplin hält. Wie kann es dann noch Besatzungsmitglieder geben, die bis zum Schluß zu ihm halten? Als Gable sich zur Meuterei durchgerungen hat, geht er einfach unter Deck, holt Musketen aus den Schränken und verteilt sie an seine Leute. Wie werden eigentlich die Machtverhältnisse an Bord aufrechterhalten? Soll man etwa glauben, daß Laughton die Leute vorher allein durch seinen strafenden Blick vom Widerstand abgehalten hat? Vor allem in der ersten Dreiviertelstunde wird sein Sadismus immer wieder durch eingestreute komische Szenen aufgelockert, wofür hauptsächlich der Smutje (Herbert Mundin) zuständig ist. Wie kann es sein, daß dieser Schussel nicht die meisten Strafen von Laughton abbekommt? Nicht überzeugend fand ich auch die Darstellung von Eddie Quillan, der ständig zwischen Aufstand und Unterordnung schwankt und offenbar nie über Konsequenzen seines Handelns nachdenkt. Er steht für den melodramatischen Akzent im Film, denn er wurde schanghait, möchte nur Frau und Kind in England wiedersehen, wird aber am Ende ebenfalls aufgeknüpft.

Regisseur Lloyd, ein Veteran aus der Stummfilmzeit, war von dem Bounty-Stoff offenbar so fasziniert, daß er unbedingt eine Biografie von Kapitän Bligh drehen wollte (vielleicht auch, um der historischen Wahrheit näherzukommen). Ebenso plante die Produktionsfirma MGM eine Fortsetzung mit den weiteren Abenteuern von Fletcher Christian. Beide Pläne wurden aber nie verwirklicht. Wahrscheinlich führte an der Erkenntnis kein Weg vorbei, daß sich aus der wahren Geschichte der Meuterei auf der Bounty, ebenso wie aus dem weiteren Schicksal der Meuterer kein Hollywood-Spielfilm machen ließ, jedenfalls keiner, den das Publikum auch hätte sehen wollen. Dieser Erkenntnis mußte sich 1962 auch das Team um Marlon Brando beugen, aber dazu mehr in den nächsten Tagen.

Geändert von Peter L. Opmann (09.05.2024 um 07:58 Uhr)
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