Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 15.03.2024, 06:26   #1945  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.597
Kehren wir zum gewohnten Hollywood-Stil zurück. „Schmetterlinge sind frei“ (1972) von Milton Katselas ist eine Mischung aus Komödie und Melodram, die ich schon ziemlich früh gesehen und schließlich auch aufgenommen habe. Ein Grund dafür war Goldie Hawn, die die weibliche Hauptrolle spielt. Ihre meist etwas übertriebene Naivität, bei der man nicht weiß, ob das nur gut dargestellt ist oder auch ein bißchen ihrem Wesen entspricht, mag ich noch heute. In meiner Jugend habe ich manches an dem Film noch nicht verstanden, nämlich daß da die Hippiekultur von San Francisco den Hintergrund bildet, und auch nicht, daß Hollywood mit Behindertendramen schon immer gut gefahren ist. Aber auch wenn ich den Film heute aus größerer Distanz sehen kann, finde ich ihn noch immer gut gemacht. Allerdings weist er zum Ende hin einen Bruch auf, und den Schluß finde ich inzwischen ziemlich verlogen.

Ein blinder Junge (Edward Albert) und ein Hippiemädchen (Hawn) leben in billigen Wohnungen direkt nebeneinander. Weil die Wand sehr hellhörig ist, kommen sie in Kontakt. Er ist sein Leben lang von seiner Mutter (Eileen Heckart) betüdelt worden und möchte nun als Liedermacher auf eigenen Füßen stehen. Sie will Schauspielerin werden, hat aber vorerst nur einen Vorsprechtermin bei einem Off-Theater. Hawn merkt erst spät, daß er blind ist, weil er alles so organisiert hat, daß er sich ohne sehen zu können in seiner Wohnung zurechtfindet. Dann muß er ihr beibringen, daß sie ihn nicht zu bemitleiden braucht. Er will kein Mitleid, sondern als normaler Mensch akzeptiert werden. Sie ist lebhaft und einfach liebenswert, und so kommen sie sich immer näher. Schön finde ich die Szene, in der er ihren Kopf abtasten darf, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sie aussieht. Dabei hält er zu seinem Erschrecken erst ihr künstliches Haarteil und dann ihre falschen Wimpern in den Händen. Worauf sie sagt: „Ab meinen Wangen ist alles echt. Meine Brüste auch.“ Sie verbringen die Nacht zusammen (was in diesem Film natürlich übersprungen wird).

Albert hat mit seiner Mutter vereinbart, daß sie nach zwei Monaten kommen darf, um nachzusehen, ob er doch ihre Hilfe braucht. Sie kommt aber schon am nächsten Morgen, einen Monat zu früh, und trifft Goldie Hawn bei ihm an. Ihre Hippienatur und ihre Vorliebe für freie Liebe stoßen sie ab. Albert hat aber mit Hawn einen Grund mehr, nicht zu seiner Mutter zurückzukehren. Heckart hat die Befürchtung, daß sie ihn verletzen wird, weil sie sich sehr schnell verliebt und die Männer ebenso schnell sitzenläßt. Am Ende fährt sie Hawn zu ihrem Vorsprechen. Anschließend haben sich Hawn und Albert zum Abendessen verabredet – ohne Mutter. Heckart bleibt jedoch bei ihrem Sohn, bis sie kommt, und sie verspätet sich um drei Stunden. Hier wechselt der Film abrupt die Stimmung. Hawn kommt gar nicht zum Abendessen, sondern sie packt in ihrer Wohnung ihre Sachen zusammen. Sie wird zum Regisseur ihres Stücks (Paul Michael Glaser) ziehen, der ihr dafür eine größere Rolle angeboten hat – ein fairer Deal, oder nicht? Hawn tut so, als hätte sie vergessen, daß sie Albert davon noch gar nichts erzählt hat. Das heißt, sie verletzt ihn maximal. Er wirft ihr vor, statt sexuell frei einfach bindungsunfähig zu sein, aber das nützt nichts mehr. Albert ist zutiefst enttäuscht und nun bereit, zu seiner Mutter zurückzuziehen. Dann kehrt Hawn aber doch zurück, weil ihr klar geworden ist, daß sie doch nur Albert liebt. (Großer Seufzer!)

Komischerweise wird der Schluß in keiner der Kritiken, die ich gelesen habe, moniert. Aber ich würde am liebsten empfehlen, den Film nach 75 bis 80 Minuten abzustellen. Der Großteil ist aber wirklich nett und auch witzig. „Schmetterlinge sind frei“ war zunächst ein großer Erfolg am Broadway. Katselas war Theater- und Filmregisseur und Leiter einer Schauspielschule, orientiert am Method Acting. Das Stück ist wirklich gut, die Dialoge sind alltagsnah und tiefsinnig zugleich. Und ich finde einiges wieder, was ich erst nach und nach über Menschen mit Handicap gelernt habe. Vior allem, daß man mehr beachten sollte, was sie können, als was sie nicht können, und daß sie nichts davon haben, wenn ich sie wegen ihrer Defizite bedaure. Die Columbia-Produktion heimste tatsächlich einen Oscar ein, und zwar für Eileen Heckart für die beste weibliche Nebenrolle. Zudem gab es einige weitere Filmpreise.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten