Thema: Filmklassiker
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Alt 09.03.2024, 06:38   #1923  
Peter L. Opmann
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Mein zweiter Cassavetes-Film sieht beinahe wie ein Gangsterfilm aus: „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ (1976). Der eigenwillige Stil des Regisseurs kommt gut zur Geltung. Die Entstehungsgeschichte des Films irritiert mich jedoch. Nachdem der Film sich an der Kasse als Reinfall erwiesen hatte – was nicht wundert, da Cassavetes keinerlei Genreregeln befolgt -, schnitt er ihn neu. Im Gegensatz zum üblichen Director’s Cut hat er keine weggefallenen Szenen eingefügt, sondern sein Werk um etwa 25 Minuten gekürzt. Ich habe damals die ursprüngliche 135 Minuten lange Fassung im Fernsehen gesehen und weiß nicht, ob die Kürzungen etwas gebracht haben. Wäre sicher reizvoll, beide Filmversionen zu vergleichen. Ich denke aber, daß auch der Director’s Cut die Fans von Gangster- und Actionfilmen nicht zufriedengestellt haben dürfte.

Das Grundgerüst der Handlung: Ben Gazzara ist ein New Yorker Nachtclubbesitzer, der wegen Spielschulden von 23 000 Dollar gezwungen wird, einen chinesischen Gangsterboß, der seinen Gläubigern im Weg ist, zu liquidieren. Er schafft es, bekommt dabei aber eine Schußwunde in der Hüfte ab. Seine Auftraggeber wollen nun ihn als lästigen Mitwisser abservieren. Er kann ihnen aber entkommen. Er kehrt in seinen Club zurück, wird aber wohl nicht mehr lange am Leben bleiben, weil er sich scheut, zum Arzt zu gehen.

Das ist in den entscheidenden Szenen durchaus spannend inszeniert. Man merkt aber, daß Cassavetes sich alle Mühe gibt, die Gangsterstory eher nebenbei abzuhandeln. Der tödliche Anschlag auf den Chinesen ist so unspektakulär wie nur möglich gemacht. Die Begegnung Gazzaras mit seinem Möchtegern-Killer in einem Parkhaus wird mittendrin abgebrochen; man kann nur vermuten, daß der Killer sein Opfer nicht stellen kann.

Die Krimihandlung wirkt nicht sehr glaubwürdig. Nachdem Gazzara am Spieltisch verloren hat, kann er seine Schulden nicht per Scheck bezahlen. Seine Kreditkarte akzeptieren seine Gegner dagegen zunächst. Später machen sie ihm aber klar, daß er die Schulden mit dem Mordauftrag begleichen muß. Die Mädchen seines Clubas machen sich Sorgen, daß Gazzara sie nach dem Verlust feuern muß, aber alles läuft wie zuvor weiter. Der Killer, der schließlich auf Gazzara angesetzt wird, wirkt hochprofessionell. Da frage ich mich, warum man nicht ihn den Chinesen umlegen ließ, sondern einen Amateur. Einen Profi, wie ihn etwa Lee Marvin dargestellt hat, gibt es allerdings bei Cassavetes nicht. Bei ihm haben die Menschen Glück oder kein Glück.

Ähnlich wie in „Schatten“ beginnt die Haupthandlung erst nach rund einer halben Stunde. Vorher und auch zwischendurch erleben wir, wie Gazzara seinen Club führt. Er hat ein beinahe familiäres Verhältnis zu seinen Angestellten (vielleicht für einen Italiener nicht untypisch). Er geht mit einem seiner Animiermädchen aus und schickt sich an, ein anderes Mädchen, das bisher als Kellnerin gearbeitet hat, als Tänzerin einzustellen. Viel Aufmerksamkeit schenkt Cassavetes der Gemütsverfassung seines Helden. Anfangs wirkt er sehr sympathisch. Mit der Zeit erscheint seine freundliche Art zunehmend aufgesetzt. Doch seltsam, daß er als Nachtclubbesitzer vor seiner fatalen Pokerrunde offenbar nie mit Mafiaaktivitäten zu tun hatte.

Ein ungewöhnlicher und für mich auch ziemlich interessanter Film, wiederum mit geringen Mitteln realisiert, oft mit der Handkamera gedreht. Er läßt jedoch einige Fragen offen. Ich muß sagen, daß sich Cassavetes nicht als Gangsterfilm-Regisseur eignete.
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