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Alt 28.01.2024, 20:24   #7914  
God_W.
Captain Rezi
 
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Die Ringe der Macht - Staffel 1 (Prime)

Nach gut einem Jahr jetzt nochmal gesehen, diesmal mit Krümelchen. Das zweite Zeitalter ist der Zeitraum aus Mittelerdes Historie, zu dem es die wenigsten Informationen und mit Abstand die größten Lücken zwischen einzelnen Ereignissen gibt. Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb sich die Macher der Serie „Die Ringe der Macht“ diese Epoche herausgepickt haben, möglichst viele Freiheiten zu haben. Bei der ersten Sichtung der Show war ich ein wenig enttäuscht und sogar leicht angesäuert ob so mancher Entscheidung und Änderung im Vergleich zur Vorlage. Nach der Lektüre von "Der Untergang von Númenor" sehe ich das entspannter und halte mich da an einige Zeilen, die J. R. R. Tolkien selbst in einem Brief an den Lektor Milton Waldman geschrieben hat: „Ich wollte manche der großen Erzählungen ganz ausführen, für viele Andere aber nur ihren Platz im Zusammenhang bestimmen und es bei Skizzen belassen. Die Zyklen sollten zu einem majestätischen Ganzen verbunden sein und doch für andere Geister und Hände Raum lassen, die Farbe, Musik und Bewegung hinzutun könnten.“

In diesen Worten erkenne ich eine Ermutigung des Autors sein Werk zu ergänzen, Geschichten in seiner Welt zu erzählen, Lücken zu füllen und, wie er es selbst sehr häufig getan hat, Dinge anzupassen, behutsam zu ändern oder zu beugen. So oft wie Tolkien seine eigenen Erzählungen abgeändert und angepasst hat, wie er verschiedene Versionen ein und der selben Geschichte erstellte, wie können wir da sagen, was er an seinen Ideen noch alles bearbeitet hätte, würde er bis heute die Möglichkeit dazu haben? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf habe ich die erste Staffel der „Ringe der Macht“ erneut gesehen und ich muss sagen, im Vergleich zur Erstsichtung war ich positiv überrascht.

Nein, die Serie ist nicht perfekt, ja man hätte sie stringenter und packender erzählen können, vielleicht auch müssen, und nicht jeder Charakter versteht es, mich für sein Schicksal zu interessieren. Aber ich erkenne da auch ganz viel Gutes wieder. Mal abgesehen von der großartigen Optik und der unglaublichen Detailverliebtheit was Kostüme, Sets und Requisiten angeht. Wie gesagt, man weiß einfach vieles aus dem zweiten Zeitalter nicht und da haben die Showrunner eben ihre eigene Version draus gestrickt, Dinge, Handlungsstränge und Figuren ergänzt, und einige Änderungen vorgenommen, von denen mich die Meisten jetzt nicht mehr stören.

Galadriel als Kriegerin beispielsweise. Man weiß eben ganz viel von ihrer früheren Zeit nicht, allerdings wird bei Tolkien klar erwähnt, dass sie die Reitkunst besser beherrschte als die meisten Männer. Das Reiten war eher eine kriegerische Disziplin, wohingegen die Frauen eher im Tanz ihre Passion fanden. Das legt nahe, dass Sie auch in anderen Kriegsdisziplinen außergewöhnliche Talente hatte. Dass Sauron gutaussehend war und in Númenor eingekerkert wurde, bevor er die Völker später mit schönen Worten zum Schmieden der Ringe verführte, ist ebenfalls verbrieft. Wie er dort hin kam? Ob Galadriel zu der Zeit bei ihm war? Kein Wort, warum also nicht? Solche Dinge gibt es sehr viele, die einen verbrieften Kern beinhalten, dann aber ausgekleidet, angepasst oder verändert wurden. Das liegt zuweilen auch am zeitlichen Rahmen, der im Buch knapp dreieinhalbtausend Jahre umspannt. Das geht einfach nicht 1:1. Durin und Disa harmonieren einfach prächtig, dass die Zwergenlady keinen Bart hat? Geschenkt! Elendil und Isildur? Prima, da steckt noch reichlich Potential drin! Die angeblich so große Vorhersehbarkeit, wer der Typ aus dem Kometen ist? Ich sah da sehr viele Möglichkeiten, auch wenn man die Hintergründe kennt. Klar ist, dass es nicht Sauron sein kann, aber sowohl Saruman als auch Tom Bombadil, über dessen Alter und Herkunft man gar nichts weiß, sind lange Zeit absolut schlüssige Möglichkeiten. Aus diesen Gründen kann ich mit all den Neuerungen und Änderungen einfach sehr gut leben, kann all die Hater nicht mehr wirklich verstehen, und freue mich mittlerweile einfach, noch mehr Abenteuer aus Tolkiens Welt in filmischer Form erleben zu dürfen, auch wenn es etwas gemächlich gestartet ist. Aber hey, früher gab man Serien oft 1-2 Staffeln die Chance sich zu finden, vielleicht machen wir das hier auch mal wieder? Wie ich kürzlich im Herr der Ringe Buch von Panini gelesen habe, hatten die Showrunner zu Beginn einen klaren Plan für eine Art "50-Stunden-Film" und wussten schon beim Start, was in der letzten Folge passieren wird. Ob sie diesen Plan jetzt weiterhin so durchziehen dürfen, wo die Show nur mittelmäßig aufgenommen wurde, oder stärkere Änderungen vorgenommen werden, wer weiß?

Einziger wirklich großer Kritikpunkt an der Show ist für mich der dunkelhäutige Elb Arondir. Das liegt aber ganz und gar nicht an seiner Hautfarbe, sondern an der Liebesgeschichte mit der Menschenfrau Bronwyn. Das ist einfach eine Erfindung, die für meine Begriffe gar nicht geht. Dabei geht es mir nicht um Rassismus oder irgend solchen Blödsinn, sondern darum, dass die Verbindung zwischen einem Elb und einem Menschen in Tolkiens Werk eine sehr seltene, ganz besondere Stellung einnimmt und es wird absolut klar mehrfach sehr deutlich erwähnt, dass es bis zu Arwen und Aragorn (Herr der Ringe) lediglich zwei Verbindungen zwischen Elben und Menschen gab. Das waren Beren und Lúthien, die Tolkien gerne als Synonyme für sich und seine geliebte Ehefrau sah, weshalb deren Namen auch auf dem Grabstein des Autors und seiner Gattin stehen, sowie Tuor und Idril (Der Fall von Gondolin), beide also im ersten Zeitalter. Diese inflationäre Nutzung von Elben, die sich in Mitglieder anderer Volksstämme verlieben nimmt dem Ganzen so langsam dass Besondere. Peter Jackson tat es schon in den Hobbit-Filmen – da war es ein Zwerg, weshalb wenigstens Tolkiens Historie bzgl. Elb-Mensch-Verbindungen unangetastet blieb – jetzt haben wir schon wieder so einen Fall. Diesen wichtigen und außerordentlich eindeutigen Punkt in Tolkiens Schaffen zu ignorieren halte ich für respektlos oder zumindest maximal unaufmerksam muss ich sagen.

Davon abgesehen bin ich aber doch sehr zufrieden, freue mich auf weitere filmische Abenteuer in Tolkiens Welt und erhöhe meine 6,5-7/10 aus der Erstsichtung gerne nochmal ein wenig.

7,5/10
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