Thema: Filmklassiker
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Alt 09.01.2024, 06:24   #1814  
Peter L. Opmann
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Auf der Cassette, auf die ich „Die Wendeltreppe“ aufgenommen habe, habe ich einen weiteren Film entdeckt: „The Black Cat“ (1934) von Edgar G. Ulmer. Er lief mal sehr spät abends im Hessischen Fernsehen (man kann das an der Nachrichtensendung erkennen, die danach kommt). Ich habe diesen Film vielleicht nur aufgenommen und – bis eben – nie gesehen. Ein klassischer Universal-Horrorfilm, ein sehr seltsames Werk. Bela Lugosi und Boris Karloff spielen gleichberechtigt die Hauptrollen. Das Grundmuster des Films ist das von „The Rocky Horror Picture Show“: Ein frisch vermähltes Paar verirrt sich in ein Haus, in dem bizarre Dinge vor sich gehen. „The Black Cat“ (ich nenne den Originaltitel, weil es keine Synchronisation gibt) ist in mehrfacher Hinsicht ein sehr guter Film, aber, möchte ich hinzufügen, nicht als Ganzes.

Das junge Paar gerät im Gefolge von Lugosi in Ungarn in ein unheimliches Haus. Hier widmet sich Karloff, ein Architekt, okkulten Praktiken. Lugosis Frau und Tochter, nach denen er seit Jahren sucht, hat er hier gefangengehalten. Nun will er die junge Frau in einer Schwarzen Messe töten – also opfern. Lugosi stürzt sich auf Karloff, überwältigt ihn und beginnt, ihm seine Haut abzuziehen. Der Bräutigam, der in einer Zelle saß, erschießt Lugosi, den er für eine Gefahr hält. Das Haus ist, wie sich herausstellt, voller Frauenleichen. Das Paar kann seine Reise fortsetzen. So in aller Kürze die Grundzüge der Handlung.

„The Black Cat“ ist, typisch für Ulmer, ein B-Film, der ein Budget von unter 100 000 Dollar hatte. Er ist aber meisterhaft wie ein Alptraum inszeniert. Das Haus weist den damals hochmodernen Stil der Neuen Sachlichkeit auf. Der ganze Film ist mit meist klassischer Musik (von Bachs „Toccata und Fuge“ bis zu Beethovens fünfter Sinfonie) unterlegt, damals alles andere als üblich. Vieles, was Ulmer hier andeutet (Drogenmißbrauch, eine Schwarze Messe, das Abziehen der Haut) hätte wenig später, als der Production Code in Kraft war, gar nicht mehr vorkommen können, hilft aber, eine zutiefst morbide Atmosphäre zu erzeugen. Trotz einer Länge von nur gut einer Stunde ist der Film sehr langsam inszeniert; das Unheimliche in ihm wird wirkungsvoll ausgekostet.

Die faszinierenden Elemente fügen sich aber in meinen Augen nicht zusammen. Die Story ist über weite Strecken unmotiviert und tatsächlich einem Alptraum vergleichbar. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß Ulmer einfach aus einem schlechten Drehbuch das beste machen wollte. Der Film war ein großer Publikumserfolg, was aber wohl hauptsächlich an den beiden Stars, Karloff und Lugosi, liegt, die bereits als Frankensteins Monster und Graf Dracula weithin bekannt waren, aber noch nie zusammen aufgetreten waren. Nach diesem Erfolg gab es sieben weitere Karloff-Lugosi-Horrorfilme. Der Filmtitel ist ein weiterer Marketing-Schachzug. Es wird auf eine bekannte Edgar-Allen-Poe-Kurzgeschichte angespielt, die aber mit dem Drehbuch nichts zu tun hat. Eine schwarze Katze kommt nur kurz im Film vor.

Es war für Universal der gewinnträchtigste Film des Jahres 1934. Aber erst die Cineasten der Nouvelle Vague haben „The Black Cat“ zum Meisterwerk erklärt. Sie mochten B-Filme, die mit Fantasie das ausgleichen mußten, was ihnen an Budget fehlte. Aber dieser Film wirkt gar nicht wie ein B-Film (abgesehen davon, daß er ziemlich kurz ist). Wie Ulmer es schaffte, ihn in wenigen Drehtagen so opulent aussehen zu lassen, habe ich freilich nirgendwo finden können. Es war jedenfalls sein letzter Film für Universal. Als er ins Kino kam, war er wegen persönlicher Differenzen mit Louis B. Meyer (weiter oben in meinen Notizen zur Dokumentation „Edgar G. Ulmer – the Man off-screen“ nachzulesen) schon bei einem anderen Studio beschäftigt, und sein langsamer Abstieg in Hollywood begann.
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