Thema: Filmklassiker
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Alt 16.11.2023, 06:09   #1684  
Peter L. Opmann
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Der letzte Leisen-Film in meiner Videosammlung ist „Liebling, zum Diktat!“ (1942). Wieder spielt Fred MacMurray die männliche Hauptrolle, obwohl er insgesamt mehr als Darsteller in Disney-Realfilmen bekannt ist (abgesehen von dem Film-noir-Klassiker „Double Indemnity“). Das Thema wird allerdings von der Hauptdarstellerin Rosalind Russell , der „boss lady“ ihrer Zeit, bestimmt. Für mich ist das erneut eine überdurchschnittliche Komödie. Ein bißchen könnte man „Liebling, zum Diktat!“ auch als frühen Vorläufer von „American Gigolo“ betrachten.

MacMurray läßt sich von Russell, der sehr erfolgreichen Chefin einer New Yorker Werbeagentur, als Privatsekretär engagieren. Er ist Individualist, braucht aber Geld, um sein späteres Leben als Kunstmaler in Mexiko finanzieren zu können. Sie braucht einfach eine männliche Begleitung: "Ich verkaufe Werbung. Daß ich eine Frau bin, hilft. Aber das bringt auch Komplikationen.“ Daß er seine Rolle nach anfänglichen Problemen kühl und realistisch einschätzt, imponiert ihr, und schließlich verliebt sie sich in ihn. Nun ruft aber der nächste große Werbeauftrag, den sie an Land ziehen will, Komplikationen anderer Art hervor. Sie verhandelt mit einem Tabak-König (Macdonald Carey), der vier katastrophal gescheiterte Ehen hinter sich hat und daher mit einer Frau gar nichts mehr zu tun haben will. Außerdem stellt sich heraus, daß für die Werbung des Konzerns seine Schwester Constance Moore zuständig ist. Russel instruiert also MacMurray, damit er für sie den Vertrag perfekt macht.

Moore entpuppt sich als sehr attraktive Frau, die MacMurray durchaus zugetan ist. Russell wird sofort eifersüchtig, und sie glaubt ihrem Sekretär nicht, daß er nur, wie befohlen, den Werbeauftrag zu gewinnen versucht. Er möchte natürlich etwas unabhängiger von ihr werden. Nach einiger Zeit erfährt der Zuschauer jedoch, daß alles ein raffinierter Plan von Carey ist, der sich entschlossen hat, trotz seiner schlechten Ehe-Erfahrungen Russell um ihre Hand zu bitten. Da Carey steinreich und sie von ihrem Sekretär schwer enttäuscht ist, will sie tatsächlich einwilligen. Als MacMurray aber erfährt, daß er nur eine Schachfigur in diesem Spiel war, versucht er, vorerst vergeblich, Russell zurückzugewinnen. Wieder wird vorexerziert: Liebe ist wichtiger als Geld. Die Schlußszene wirkt diesmal aber auf mich wie eine Verlegenheitslösung. MacMurray ist auf dem Weg nach Mexiko, als er an Russell vorbeifährt, die Carey einen Korb gegeben hat und zu Fuß unterwegs ist. Sie beginnen zu streiten. Dann fällt ihm auf, daß sein Auto mitten auf einem Bahnübergang steht, und im letzten Moment schafft er es, sie in den Wagen zu ziehen und vor einem herannahenden Zug davonzufahren.

Interessantes Detail: In allen meinen drei Leisen-Filmen gibt es Dienerrollen für Schwarze (hier ist es der als Jazzmusiker recht bekannte Dooley Wilson). Diese Diener haben jeweils nur kurze Auftritte und sind nicht mehr als Stichwortgeber, aber bis in die 1950er Jahre hinein tauchen in den meisten Hollywoodfilmen überhaupt keine Schwarzen auf. Frauen in dominierenden Rollen gibt es im Hollywoodkino nach meinem Eindruck erst nach dem Zweiten Weltkrieg häufiger. Rosalind Russell wird auch als die große Ausnahme präsentiert, die durch ihre Dominanz über Männer gesellschaftliche Turbulenzen hervorruft. Dieser Film läßt zwar offen, ob Russell auch in ihrer Ehe mit MacMurray die Hosen anbehalten wird, es liegt aber die Vermutung nahe, daß sie sich in die übliche Frauenrolle fügen wird und damit alles wieder ins Lot kommt. Auf jeden Fall sind viele Szenen wieder klug und witzig inszeniert, und es gibt auch manche nachdenklichen Stellen, die jedoch verhindern, daß dies eine typische Screwball-Komödie geworden ist. Ich möchte noch anmerken, daß Russell zwar mehrmals ihre schönen Beine zeigen darf, aber nicht wirklich hübsch aussieht – sie hat – freilich für den Boß angemessen – häufig ein hartes Gesicht und erinnerte mich ein paar Mal an ihre Freundin Joan Crawford.

„Liebling, zum Diktat!“ scheint im Moment überhaupt nicht als DVD erhältlich zu sein und ist auch auf youtube nicht zu finden. Wenn ich jetzt alles resümiere, was ich von Mitchell Leisen kenne, gefällt mir allerdings „Die unvergeßliche Nacht“ (mit Barbara Stanwyck und Fred MacMurray) alles in allem doch immer noch am besten.
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