Thema: Filmklassiker
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Alt 04.10.2023, 06:06   #1622  
Peter L. Opmann
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Nach „Dark Passage“ nun zu „One Way Passage“. Aber ich gehe hier nicht nach Filmtiteln. „Reise ohne Wiederkehr“ (1932) von Tay Garnett ist ein weiterer Film, den ich schon früh bewußt gesehen habe und der mich ziemlich beeindruckt hat. Es ist nicht ganz einfach, ihn einem Genre zuzuordnen. Grundsätzlich ist es ein Melodram, eine Liebesgeschichte zweier dem Tod geweihter Menschen (William Powell und Kay Francis – zu dieser Zeit ein bewährtes Kinopaar). Aber das Gefühlsdrama wird durch zahlreiche komödiantische Elemente aufgelockert, und vielleicht macht das gerade seine Wirkung aus. Bemerkenswert ist auch, daß der Film nicht einmal 70 Minuten lang ist (obwohl er aus der Pre-Code-Zeit stammt, liegt das nicht an Kürzungen). Er ist trotzdem mit vielen Details angereichert, und alles scheint an seinem Platz zu sein.

Powell, ein gesuchter Mörder, wird in Hongkong von Polizeioffizier Warren Hymer geschnappt; er will ihn per Schiff nach San Francisco zu seiner Hinrichtung bringen. Kurz zuvor hat er Francis kennengelernt und sich auf den ersten Blick in sie verliebt; er denkt nun freilich, daß er sie nie wiedersehen wird. Allerdings stellt er fest, daß sie auf dem gleichen Schiff ist wie er. Zunächst will er ihr möglichst verheimlichen, daß er mit Handschellen an Hymer gekettet ist. Sie sagt ihm ihrerseits nichts davon, daß sie todkrank ist und ihr Arzt Zweifel hat, ob sie San Francisco noch lebend erreichen wird. Sie will ihre Liebe auskosten, so gut es eben geht. Zwei weitere Personen mit Bedeutung für die Story sind an Bord: Taschendieb Frank McHugh, der sich freut, daß Hymer keine Handhabe hat, ihn zu verhaften, und die Hochstaplerin Aline MacMahon (unterwegs als russische Gräfin). Diese beiden Gauner wollen Powell bei seiner Flucht helfen, denn sie stellen der Polizei nur zu gern ein Bein. Derweil findet Hymer großen Gefallen an der angeblichen Gräfin (er ist ein typischer Amerikaner, der hier aber als nicht besonders helle porträtiert wird).

In Honolulu hat das Schiff einen Tag Aufenthalt. Francis hat den großen Wunsch, mit Powell über die Insel zu streifen, aber Hymer will ihn sicherheitshalber auf dem Schiff einsperren. McHugh und MacMahon sorgen jedoch dafür, daß Powell freikommt. Er will sich nun absetzen und schreibt Francis einen Brief, in dem er ihr gesteht, ein Verbrecher zu sein, und ihr anbietet, sich später wieder mit ihm zu treffen. Während des Ausflugs auf Hawaii erleidet Francis jedoch einen ernsten Anfall, so daß Powell mit ihr auf das Schiff zurückkehrt, damit sie in ärztliche Behandlung kommt. Seinen Brief an sie vernichtet er, weil er nun keine Möglichkeit mehr sieht, seiner Hinrichtung zu entgehen. Am Ende erfährt Francis durch Zufall, welches Schicksal ihm droht. So können sich aber beide in dem Bewußtsein verabschieden, daß sie sich wohl nie wieder begegnen werden. Powell sagt jedoch: „Nicht Lebwohl – auf Wiedersehen!“ In ihrer kurzen Bekanntschaft haben er und Francis ein Ritual entwickelt: Sie trinken gemeinsam einen Cocktail und zerschlagen dann ihre Gläser am Bartresen. Ein Jahr vergeht, und in San Francisco findet eine große Party statt. Zwei Barmixer wundern sich über ein Geräusch von splitterndem Glas. Es ist niemand mehr da, aber da liegen zwei zerbrochene Cocktailgläser. Dann verschwinden sie auf geisterhafte Weise…

An dieser Liebesgeschichte interessiert nur, wie sie ausgeht. Der Vorteil einer Liebe auf den ersten Blick ist, daß man sie nicht plausibel machen muß. Aber, wie gesagt: William Powell und Kay Francis waren auch bereits ein eingeführtes Kino-Liebespaar, so daß sich das Publikum dafür gar nicht interessiert haben dürfte. McHugh sorgt mit seinen dreisten Taschenspielertricks für einen Gutteil der Komik. Sie entsteht aber auch dadurch, daß nicht nur Powell und Francis wichtige Dinge voneinander nicht wissen, sondern das spiegelbildlich bei Hymer und MacMohan ähnlich abläuft. Sie durchschaut ihn allerdings schnell als Bulle; er dagegen ahnt bis zum Schluß nicht, daß sie keineswegs eine russische Adlige ist. Aus ihnen wird freilich ein richtiges Paar, weil sie ihre halbseidene Existenz beenden will und er sie wirklich liebt. Das alles ist sehr unterhaltsam inszeniert, und ich wundere mich eigentlich, daß schon wenige Jahre nach Einführung des Tonfilms so perfekte Szenen gelingen. Den Namen Tay Garnett habe ich mir deshalb gemerkt. Seine bekanntesten Filme sind „Im Netz der Leidenschaften“, die „Postmann“-Verfilmung mit John Garfield und Lana Turner, „Das Haus der sieben Sünden“ mit Marlene Dietrich und „Abenteuer im Gelben Meer“ mit Clark Gable. Allerdings hat Garnett als Routinier auch viele Filme gedreht, die mittelmäßig oder schlecht gerieten.
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