Thema: Filmklassiker
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Alt 12.09.2023, 06:14   #1567  
Peter L. Opmann
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"Buster Keaton: Lachen verboten", Teil 2:

Mit „Der Navigator“ hat Keaton den Höhepunkt seiner Karriere erreicht; der Erfolg sichert ihm seine Unabhängigkeit. Er war überall in der Welt bekannt und beliebt, und er wurde beinahe über Nacht so reich wie der Millionär, den er spielte. Zurückweisung ist ein Thema, das sich durch viele Keaton-Filme zieht. Zu diesem Zeitpunkt war es auch ein Thema in seinem wahren Leben. Er war Vater von zwei Jungen geworden, aber seine Frau Natalie hielt ihn zunehmend auf Distanz. Sie zogen von einem teuren Haus in ein noch teureres Haus. Das Geld dazu liehen sie sich von Joe Schenck. Und als Schenck ein Drehbuch kaufte, das Keaton gar nicht mochte, fühlte er sich dennoch verpflichtet, es zu realisieren: „Seven Chances“ (1925). Buster spielt einen Mann, der bis um sieben Uhr verheiratet sein muß, um ein Vermögen zu erben. Er ist bereit, jede zu heiraten.

In seiner Not gibt er eine Annonce auf, die ein durchschlagendes Echo findet. Keaton drehte mit 500 Frauen in den Straßen Hollywoods. Als beim Preview das Publikum bei dieser Szene kaum lachte, war Keaton entmutigt. Dagegen löste eine andere Stelle beim Publikum Gelächter aus. Keaton versuchte herauszufinden, warum es genau diese Stelle war. Keaton: „Ich rannte, von allen verfolgt, hinaus ins offene Land. Während ich einen Hügel hinunterhechtete, traf ich eher aus Versehen einen Felsen. Ich drehte mich in der Szene um, da kamen drei große Felsen hinter mir her. Ich mußte in Deckung gehen und ihnen ausweichen. Für einen neuen Schluß drapierten wir 1500 Felsstücke, von kleinen in Grapefruitgröße bis zu einem großen, der fast drei Meter Durchmesser hatte. Ich geriet mitten in diesen Steinschlag, und diese Szene rettete den Film.“ Eine Freundin: „Die Frauen waren in seinen Filmen immer nur als Dekorationsstücke wichtig. Er hatte kein Interesse an Liebesgeschichten. Seine schönste Szene hatte er in ,Go West‘ (1925).“ Es war eine Liebeserklärung an eine Kuh.

„Seven Chances“, „Go West“ und „Battling Butler“ waren für Joe Schenck ungeheure finanzielle Erfolge. 1926 gab er Keaton grünes Licht für seinen teuersten und spektakulärsten Film „The General“. Keaton: „Ich glaube, ich bin auf diesen Film stolzer als auf alle anderen Filme, die ich gemacht habe. Grundlage für den Film war eine tatsächliche Geschichte aus dem Bürgerkrieg. Ich habe sie ganz detailliert wiedergegeben. Soldaten der Nordstaaten schleichen sich als Zivilisten verkleidet nach Süden und stehlen die Lokomotive. Auf ihrer Fahrt verbrennen sie alle Brücken hinter sich.“ Die Ausstattung des Films basierte auf Fotos aus dem Bürgerkrieg von Mathew Brady. Keaton sagte zu seinen Leuten: „Macht es so authentisch, daß es wehtut.“ Gedreht wurde in Oregon. Die südlichen Eisenbahnstrecken waren zu überfüllt. „Wir haben dort Lokomotiven gekauft und sie mit wenig Aufwand in Bürgerkriegsloks umgebaut. Dazu bauten wir einen Personenzug und einen Frachtzug mit Viehwagen.“ 17 Güterwagen mit Ausrüstung gingen nach Cottage Grove, um den Ort aussehen zu lassen wie Marietta in Georgia. Aber der Regisseur Keaton hatte alles im Griff. Er ließ für ein modernes Publikum ein Kapitel amerikanischer Geschichte wiedererstehen, den Bürgerkrieg.

Die Nordstaatler stehlen den Zug und entführen sein Mädchen, Annabelle (Marion Mack). Mit voller Kraft macht sich Buster an die Verfolgung. Mit der Draisine kommt er nicht weit, also steigt er auf die Lokomotive um, und dann sieht er die Kanone. „Wir fanden eine Original-Kanone aus dem Bürgerkrieg, das erste Modell, das auf Schienen transportiert werden konnte. Wir ließen sie für unsere Zwecke nachbauen. Es sah aus wie eine Requisite, die wir für den Film erfunden hatten. Das war auch unsere Sorge, daß jemand sagte. Diese Kanone haben die erfunden, weil sie so lustig aussieht.“ Der erste Schuß aus der Kanone sollte so schwach sein, daß die Kugel nur bis zur eigenen Lokomotive flog. Damals hat der Filmcrew eine Pinzette das Leben gerettet: „Als wir die Kanone das erste Mal luden, hatten wir Glück, daß niemand an der Strecke stand, denn die Kugel flog viel zu weit am Wagen vorbei und landete irgendwo im Feld. Beim zweiten Mal nahmen wir weniger Schießpulver, aber die Kugel flog immer noch viel zu weit. Schließlich dosierten wir das Schießpulver, indem wir es Körnchen für Körnchen abzählten.“

Bei den Dreharbeiten ging es damals noch gemütlich zu. Keaton konnte zwischen den Szenen auch einmal entspannen. Wenn sich Gelegenheit zu einem Baseballspiel bot, war er nicht zu halten. Keaton drehte fast immer ohne Drehbuch und ließ gern schon bei der Probe die Kameras mitlaufen. Mack: „Ich hatte mein Kostüm an und war bereit zu drehen. Aber ich wußte nicht, daß ich in dieser Szene einen Wasserstrahl abbekommen sollte, sobald der Zug angehalten hatte. Niemand hatte mir etwas davon gesagt, und so kam alles, was Sie heute in dem Film sehen, völlig überraschend für mich. Ich war ziemlich sauer.“ Für die Schlacht am Rock River holte Keaton die Oregon National Guard: „Wir brauchten Artillerie, Armeesättel und alles mögliche bis hin zu den Uniformen in Grau und Blau. Wir hatten 500 Mann da oben, die wir alle eine Woche lang unterbringen mußten. Wir steckten sie in graue Uniformen und ließen sie von rechts nach links reiten. Dann bekamen sie die blauen Uniformen und liefen von links nach rechts.“ Das Filmteam gab den Statisten keine Stiefel – sie hatten keine. Sie behandelten sie wie echte Soldaten. Sie ließen sie antreten, um die Entfernung zu messen, und dann ließen sie durchzählen und gaben Anweisungen wie Befehle, die sie dann ausführen mußten.

Die zentrale Szene wurde bei Culp Creek gedreht, wo eine Eisenbahnbrücke in Originalgröße gebaut worden war, nur damit sie zerstört werden konnte. Die Crew ließ die Lokomotive drei oder vier Mal darüberfahren, bevor die Brücke angesägt wurde, damit sie in den Fluß stürzen konnte. An dem Tag, an dem die Brücke zusammenbrechen sollte, kamen die Leute der ganzen Gegend, um zuzusehen. Es war die teuerste Einstellung der gesamten Stummfilmzeit. Die Menge erschreckte: War da nicht jemand auf der Lokomotive? Eine Frau fiel in Ohnmacht, als die Puppe nach vorne kippte. Als der Zug abstürzte, ertönte ein schrecklich schrilles Pfeifen. Die Zuschauer hatten den Eindruck, als ob tatsächlich etwas Schreckliches passiert sei. Die Schlacht wurde mit sechs Kameras gedreht. Überall explodierte etwas, Bäume flogen durch die Luft, Pferde scheuten. Dann geschah etwas Unvorhergesehenes. Funken flogen aus der brennenden Lokomotive in den ausgetrockneten Wald.

Keaton war für alles verantwortlich, was da passierte. Aber er selbst ging jedes Risiko ein. Neun Männer wurden verletzt, die meisten durch Explosionen. Eine Augenzeugin: „Sie hatten den Waldbrand schnell gelöscht. Aber es gab so viel Rauch, daß sie nicht weiterdrehen konnten. Sie mußten warten, bis es regnete. Also haben sie alles eingepackt und sind zurück nach Los Angeles. Als es nicht mehr qualmte, haben sie den Film fertiggedreht. Aber das hat natürlich die Kosten beträchtlich in die Höhe getrieben.“ Keaton hatte sein Budget schon weit überschritten. Aber er war überzeugt, daß das, was er hier drehte, ein Meisterwerk war. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen ist das sicher auch richtig. Aber als der Film damals in New York zum ersten Mal aufgeführt wurde, waren die Reaktionen gemischt. Es gab ein paar positive Kritiken, aber die New York Times schrieb: „Mr. Keaton kann an seine vorigen Erfolge nicht anknüpfen.“ In der Variety stand: „Der Film ist alles andere als komisch.“ Und Life Magazine warf ihm schlechten Geschmack vor. Keatons Lieblingsfilm hat die enormen Kosten nie eingespielt, und Schenck stellte ihm jemanden zur Seite, der die Produktion überwachte. Dieser Mann, Harry Brand, hatte einen wesentlichen Einfluß auf „Steamboat Bill jr.“

Keaton hatte bereits alles für eine Flutkatastrophe am Mississippi vorbereitet, die allerdings am Sacramento in Kalifornien gedreht werden sollte, als der echte Mississippi über die Ufer trat. Harry Brand sah die Wochenschaubilder der Katastrophe und alarmierte Joe Schenck. Keaton: „Ich sagte: Ich kann höchstens alles auf einen Wirbelsturm abstimmen, aber dann müßten wir vieles umbauen. Brand sagte: Das ist besser, mach das so.“ Und sie bauten alles um, um es dann für den Film wieder einzureißen. Flugzeugmotoren lieferten den nötigen Wind. Die Idee des Wirbelsturms faszinierte Keaton, und die Gags wurden immer aufwendiger. Es gibt die Szene, in der die Vorderfront eines Hauses auf Keaton herabfällt. Es ist einer der spektakulärsten Stunts, die je gedreht worden sind, und war äußerst gefährlich. Die ganze Wand war eine Platte, die an Seilen hing. Sie wog etwa 500 Kilo. Hätte Buster nur ein paar Zentimeter neben seiner Markierung gestanden, hätte ihn die Wand wie einen Zeltnagel in den Boden gedrückt. Keaton arbeitete damals zusammen mit seinem Co-Regisseur Charles Reisner. Reisner war sehr religiös und bei den Christian Scientists; alle hatten den ganzen Tag gebetet, bevor die Einstellung gedreht wurde. Er konnte es nicht mit ansehen. Kurz bevor Buster diese Einstellung drehte, hatte er die Nachricht von Schenck erhalten, daß seine Freiheit als Produzent eingeschränkt würde.

Er wechselte dann notgedrungen zu MGM. Auch zuhause hatte er Probleme, und er hatte einen Punkt erreicht, an dem ihm eigentlich alles ziemlich egal war. Als Keaton 1928 zu MGM kam, war es wohl das renommierteste Studio der Welt, das auf riesige Erfolge wie „Ben Hur“ und „The Big Parade“ (beide 1925) zurückblickte. 52 Filme wurden hier jedes Jahr produziert. Dafür verantwortlich waren Irving Thalberg und Louis B. Mayer. Und über allem schwebte ein Präsident, Nicholas Schenck, ein Bruder Joe Schencks, der in einem palastartigen Landsitz an der Ostküste wohnte. Er hatte in der Firma die absolute Kontrolle über jede Produktion. Jeder Regisseur spielte nur die zweite Geige. In dieser Umgebung sollte Keaton nun die Arbeit aufnehmen. Er hatte Edward Sedgwick an seiner Seite, einen alten Freund aus Vaudevilletagen, und er konnte einige Leute aus seiner alten Mannschaft mitbringen.

Seinen ersten Film bei MGM widmete er einem Gegenstand, der ihm sehr ans Herz gewachsen war, der Filmkamera. Die meisten seiner Filme wurden von Larry Weingarten produziert, der wohl eher einen Sinn für intellektuelle Komödien hatte. „The Cameraman“ (1928) wurde einer von Keatons Lieblingsfilmen. Er spielte einen Straßenfotografen, der in eine Parade gerät und dabei einen Wochenschau-Kameramann sieht. Er tauscht seinen Fotoapparat gegen eine gebrauchte Filmkamera ein. Natürlich war es ein uraltes Modell, und als frisch gebackener Wochenschau-Kameramann hatte er damit ziemliche Probleme. Völlig ungewohnt war für Keaton die Arbeit mit einem Drehbuch, und dieses war besonders kompliziert, auch wenn es ihm noch viel Raum für Improvisationen ließ. Noch dazu stellte sich heraus, daß es völlig unmöglich war, in New York auf der Straße zu drehen. Wo immer sie eine Kamera aufstellten, hatte sich in Sekundenschnelle eine riesige Menschenmenge angesammelt. Also strich er die Szenen in New York auf ein Minimum zusammen. An einem Sonntagmorgen um fünf Uhr drehten sie die paar Straßenszenen, die möglich waren. Dann kamen sie nach Hollywood zurück und drehten den Film hier weiter. Auf dem Gelände der MGM inszenierte Keaton den Bandenkrieg in Chinatown. Keaton nutzte alles, was es auf dem MGM-Gelände gab. Das Studio stellte ihm für eine seiner schönsten Einstellungen sogar einen Aufzug zur Verfügung.

Der enorme Erfolg des Films war für das Studio nicht der Beweis, daß Keaton recht gehabt hatte, sondern daß sie recht gehabt hatten. Sie bestanden darauf, daß sein nächster Film noch genauer geschrieben und kalkuliert würde. Zu allem Überfluß war auch noch seine Ehe in Gefahr. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes hatten sich Buster und Natalie mehr und mehr entfremdet. Buster hatte sich in eine andere Frau verliebt, in Dorothy Sebastian, den Star seines neuen Films „Spite Marriage“ (1929). Keaton spielt Elmer, der eine Schauspielerin anhimmelt, aber zu schüchtern ist, sich zu erklären. Seinem Traum ein Stück näher kommt Elmer, als er eine kleine Rolle in dem Stück erhält, in dem sie die Hauptrolle spielt. Keaton hatte den Film ursprünglich als Tonfilm drehen wollen, aber MGM brachte ihn als Stummfilm mit Musikuntermalung und gelegentlichen Toneffekten heraus. Auch wenn es kein großer Kassenerfolg wurde, ist „Spite Marriage“ doch der letzte typische Keaton-Film.

Eine Hausregel von MGM verbot dem Star, sich körperlichen Gefahren auszusetzen. Regieassistent Andy Nealis: „Er stieg auf einen Tisch und fiel voll aufs Gesicht. Ich erschrak, aber er sagte: Das ist alles Probe. Ich übe nur.“ Bei Dreharbeiten an Bord seiner Yacht für „Spite Marriage“ riskierte Keaton einige gefährliche Stunts. Aber in seinem Vertrag stand, daß er das tun durfte. Seine Akrobatennummern durfte er machen, weil MGM wußte, daß er sie beherrscht. Aber sonst gestatteten sie ihm gar nichts. Sobald Pferde oder Autos ins Spiel kamen, war ihnen das Risiko zu groß.

MGM wandte sich nun dem Tonfilm zu. Aber es dauerte mehr als ein Jahr, bis sie einen geeigneten Stoff für Keaton gefunden hatten: „Free and easy“ (1930). Er hatte vor dem Übergang zum Tonfilm keine Angst, denn er hatte eine schöne Baritonstimme. Kein Stottern, kein Lispeln, keine Probleme. Sprechen oder singen, das hatte er sein ganzes Leben lang getan. Das Problem war nicht die Stimme, sondern die Figur. MGM versuchte, sie zu verändern. Sie machte den traurigen Clown aus ihm, der um Mitleid kämpft – was er nie getan hatte. Keaton begann, über die Hoffnungslosigkeit seiner Situation nachzudenken. Keaton: „Alle New Yorker Bühnenregisseure, Autoren und Musiker waren inzwischen nach Hollywood gekommen. Kaum begannen sie, an einem Skript zu arbeiten, spickten sie es mit kleinen Scherzen und komischen Sätzen. Ich hatte das Gefühl, die ganze MGM war damit beschäftigt, meine Gags auszuarbeiten. Alle lachten sich kaputt über die Dialoge, die ihre neuen Autoren geschrieben hatten. Sie achteten kaum noch auf die Handlung.“

Louis B. Mayer stand dafür, daß in allen Fragen der Produzent das letzte Wort hat. Irving Thalberg bewunderte Keaton zwar sehr, aber er erwartete von ihm, daß er sich exakt an das Drehbuch hielt. Irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem er überhaupt nicht mehr tun konnte, was er für gut hielt, weil viel zu viele Leute mitmischten. Eine Szene in „Free and easy“ illustriert die Situation, in der sich Keaton befand. Ein Regisseur glaubt, Elmer erklären zu müssen, wie er sich in einer großen Szene zu verhalten hat: „Schauen Sie nicht in die Kamera und warten Sie auf die Reaktion ihres Partners. Es kostet viel Geld, wenn Sie eine Panne bauen. Und vor allem lachen Sie! Schließlich ist es ein komischer Film.“ Sie suchten Storys und Stoffe aus, ohne mit Keaton darüber zu reden. Er versuchte immer nur bis zu einem gewissen Punkt, sich dagegen zu wehren. Ein Freund: „Er hat nie Krach geschlagen. Er verließ immer nur den Drehort. Er sagte: Wir sehen uns dann morgen, und ging weg und kehrte einige Tage nicht zurück.“

Die Produktionsfirma schickte verärgert Telegramme. Denn diese Unterbrechungen waren ziemlich kostspielig. Nachdem man ihm die kreative Kontrolle entzogen hatte, waren diese Tricks seine einzige Waffe. Auch hatte er angefangen zu trinken. Thalberg überredete ihn, mit Natalie einen Urlaub in Europa zu verbringen. Aber auch diese Reise brachte keinen frischen Wind in ihre Beziehung. Das nächste Drehbuch, „Sidewalks of New York“ (1931), gefiel Keaton überhaupt nicht. Aber er beugte sich dem Produzenten. Einer der zwei Regisseure war Jules White, der bisher nur Komödien mit Hunden gedreht hatte. Aber der Film spielte mehr Geld ein als alle Filme, die er vorher gedreht hatte, keineswegs zu seiner Freude, denn wie stand er jetzt vor MGM da?

Das Jahr 1932 brachte eine seltsame Entwicklung. MGM spannte ihn mit einem New Yorker Nachtclubkomiker zusammen, Jimmy Durante. Keaton zog sich sofort in den Hintergrund zurück. Sein Kampf gegen die beherrschenden Dialoge war verloren, als Durante die Szene betrat. Und MGM warf ihm vor, den Anschluß verpaßt zu haben. Es war ein Versuch, ein Komikerduo zusammenzubringen, von dem man sich ungeheuren Erfolg versprach. Sam Marx, Dramaturg: „So sehr ich Jimmy Durante schätze, er war eine völlig andere Art von Komiker. Vornehme Zurückhaltung war nicht seine Art. Es hat mir manchmal richtig wehgetan, wenn ich ihre Filme bei den Voraufführungen gesehen habe.“ Schon von der ersten Zusammenarbeit an hat sich Keaton nicht wohlgefühlt: „Und dann gaben sie mir jemanden wie Jimmy Durante, der nie den Mund halten kann. Er redet immer, egal, was passiert.“

Das, was Keaton wollte, konnte ihm das Studio nicht geben – Unabhängigkeit. Er wurde immer unglücklicher, bis er sich endlich entschloß, mit seiner Ehe Schluß zu machen. Was ihn am meisten traf, war der Verlust seiner Kinder. Natalie nahm ihren Mädchennamen wieder an, die Kinder wuchsen von da an unter dem Namen Talmadge auf. Keaton war zum Alkoholiker geworden. Er hatte alles verloren außer seinem Gehalt, und das verlor er am Spieltisch. Marion Mack: „Buster machte nach seiner Scheidung einen ziemlich unglücklichen Eindruck. Sie hatten sich sicher einmal sehr geliebt. Aber ich glaube, Buster hat zuviel getrunken. Natalie konnte das nicht mehr ertragen.“ Keaton: „Ich trank zuviel. Und als ich merkte, daß die anderen bessere Geschichten schreiben konnten als ich, fing ich an, mit ihnen zu streiten. Man braucht nicht mehr als zwei Mißerfolge nacheinander, um in Ungnade zu fallen.“ Buster war ein Alkoholiker, der nichts vertragen konnte. Nach zwei Drinks wußte er nicht mehr, was er tat. Aber er trank immer weiter. Dann wies man ihn in eine Anstalt ein. 1933 heiratete er die Krankenschwester Mae Scribbens. Er litt an starken Störungen, der Alkohol trübte sein Wahrnehmungsvermögen. Man sieht es in den letzten Filmen auch auf der Leinwand.

1933 schien das Team Durante/Keaton festgeschrieben zu sein. Keaton lebte jetzt in einem großen Bus. Vielleicht fühlte er sich an seine Yacht erinnert, die Natalie verkauft hatte. Wenn er arbeitete, wohnte er auf dem Parkplatz von MGM. Dort fanden regelmäßig Partys statt. Das kam schließlich auch Louis B. Mayer zu Ohren. Er wollte keinen Skandal auf dem Studiogelände – schließlich waren bei dem Bus eine Menge Mädchen aufgetaucht. Es wurde unwahrscheinlich viel getrunken, und wahrscheinlich wurde auch ziemlich hoch gespielt. Mayer schickte den Studiomanager hin, um für Ruhe zu sorgen. Er wußte nicht, daß der oft selbst an den Partys teilgenommen hatte. Als er erkannte, daß er nichts erreichte, ging er persönlich hin. Und es gab einen Riesenkrach mit Buster. Mayer haßte Keaton, und Keaton hat ihn als den schlimmsten Feind bezeichnet, den er in einem Studio hatte. Erst wies Keaton Mayer aus dem Wagen, und dann erteilte Mayer Keaton Studioverbot. Das war der endgültige Abgang von Buster Keaton. Und er verabschiedete sich mit einem wunderbaren Satz: „Ihr Studioleute habt meinen Charakter verdorben.“ Keaton war zu dieser Zeit 37 Jahre alt.

Am Ende von „The Cameraman“ wird Buster von MGM News gefeuert, und er stellt sich wieder hinter seinen alten Fotoapparat. Da erzählt ihm sein Mädchen, daß sie gerade seine Filme gesehen habe, und sie seien fantastisch. Es dauerte 30 Jahre, bis Buster Keaton in seinem Leben dasselbe erfuhr. Als eine neue Generation seine Stummfilme sah, feierte sie ihn als ein Genie der Leinwand. Und er lebte lange genug, um diese Anerkennung genießen zu können.
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