Thema: Filmklassiker
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Alt 25.08.2023, 06:19   #1520  
Peter L. Opmann
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Jetzt werden zwei ähnliche Filme direkt nacheinander besprochen – sollte ich vielleicht lieber nicht machen, damit es nicht langweilig wird. Aber nach „Perlen zum Glück“ mit Marlene Dietrich kommt nun „Engel“ (1937) mit Marlene Dietrich. Beide Male hatte Ernst Lubitsch seine Finger im Spiel; bei letzterem führte er Regie. Der Grund liegt darin, daß ich beide Filme auf der gleichen Videocassette habe. Es gab damals 195-Minuten-Cassetten, damit man problemlos zwei Standard-Filme drauf bekam, und wer ganz sicher gehen wollte, kaufte sich 240-er Cassetten. „Perlen zum Glück“ lief anläßlich des 90. Geburtstags der Dietrich, „Engel“ ein paar Tage später zum 100. Geburtstag von Lubitsch, der da allerdings schon lange tot war. Es ist vielleicht nicht uninteressant, beide Filme zu vergleichen. „Perlen zum Glück“ ist wesentlich konventioneller als „Engel“; aber an „Engel“ stört mich, daß Lubitsch hier etwas zu erzählen versucht, was er angesichts der damaligen Gesellschaftsregeln nicht erzählen kann.

Dietrich, die Ehefrau eines hochgestellten britischen Diplomaten (Herbert Marshall), taucht in Paris im „Club de la Russe“ einer „Großfürstin“ auf, und sie will sich „amüsieren“. Mit derselben Absicht sucht auch Melvyn Douglas die Großfürstin auf. Er und Dietrich lernen sich zufällig kennen und beschließen, den Abend zusammen zu verbringen. Dietrich scheint von ihrem Mann schwer vernachlässigt zu sein, ist aber in jedem Augenblick eine gute Ehefrau, die ihn nie betrügen, geschweige denn verlassen würde. Trotzdem ist Douglas eine große Versuchung für sie. Sie verrät ihm jedoch nicht ihren Namen, daher „Engel“. Hier muß ich gleich mal einhaken: Was man sich nur zusammenreimen kann, wenn man sowas erwartet: Der Club ist ein Edelbordell, und Dietrich braucht endlich mal wieder Sex. Das muß aber 1937 unmerkbar bleiben. Lubitsch soll Dietrich während des Drehs immer wieder ermahnt haben, daß sie zwar verführerisch, aber nicht aufreizend spielen solle – sie hatte die Rolle des Vamps wohl völlig verinnerlicht. Aber als ehrbare Frau mußte sie ganz anders agieren.

Zurück zur Story: Sie läßt offen, ob sie sich noch einmal mit Douglas im „Club de la Russe“ treffen wird. Vorerst kehrt sie zu ihrem Mann zurück. Wir erleben, daß sie mit Marshall eine absolut harmonische Ehe führt – sie sind nicht imstande, sich über irgendetwas zu streiten. Allerdings bleibt sie immer allein zurück, wenn er in irgendeiner diplomatischen Krise gefordert ist. Kurz darauf begegnen sich Marshall und Douglas (sie sind alte Kriegskameraden), ohne zu wissen, daß sie durch Marlene Dietrich sozusagen eine Verbindung haben. Marshall lädt Douglas in sein Haus ein, und Dietrich kommt dazu. Wie das Gespräch verläuft, wird durch die Beobachtungen der Dienerschaft gespiegelt: Dietrich und Douglas sind sehr nervös, der Gatte ist arglos. Marshall wird wieder zu dringenden Staatsgeschäften gerufen; Dietrich bleibt mit Douglas allein, tut aber so, als würde sie ihn nicht kennen. Sie weist ihn ab, weil sie nach eigenen Worten Angst vor Veränderung hat. Douglas besteht jedoch darauf, Dietrich noch einmal in dem Pariser Club zu treffen. Marshall schöpft inzwischen Verdacht, als er erfährt, daß seine Frau kürzlich in seiner Abwesenheit in Paris war (Douglas hatte ihm von einer Frau erzählt, in die er sich da verliebt hatte). Schließlich treffen alle drei dort aufeinander. Marshall zeigt, daß er verstanden hat, daß er seine Frau viel zu wenig beachtet hat. Darauf kehrt sie endgültig zu ihm zurück.

Es ist nicht leicht, diesen Film einem Genre zuzuordnen. Er hat Elemente eines Melodrams, aber teils auch den „Lubitsch-Touch“. Es ist aber wohl der Lubitsch-Film – abgesehen von seinen Frühwerken in Deutschland -, der am wenigsten als Komödie funktioniert. Er ist perfekt gemacht und in jeder Minute unterhaltsam, aber man hat doch das Gefühl, daß die Hauptdarsteller alle Heuchler oder bloße Schaufensterpuppen sind, weil das Dreiecks-Liebesdrama immer nur behauptet oder in geistreichen Gesprächen abgehandelt, aber nie in die Tat umgesetzt wird. Ein Kritiker fühlte sich an Chabrols „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ erinnert, einen Film, in dem das passiert, was Lubitsch nur ganz zart andeuten kann. Was ich noch interessant finde: Drehbuchautor Samson Raphaelson hat mehrmals erfolgreich mit Lubitsch zusammengearbeitet. Von ihm stammen auch die Drehbücher für „Ärger im Paradies“, „Die lustige Witwe“ (die Lubitsch-Version), „Rendezvous nach Ladenschluß“ oder „Die Frau im Hermelin“. Außerdem schrieb er das Drehbuch zu Hitchcocks „Verdacht“. „Engel“ war aber ein Mißerfolg. Die Leute hatten sich offensichtlich an Marlene Dietrich sattgesehen. Sie hatte ihr Comeback zwei Jahre später mit dem schon erwähnten Western „Der große Bluff“.

„Angel“ gibt’s in voller Länge auf youtube, aber nicht auf deutsch und anscheinend auch keine Ausschnitte aus dem Film.
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