Thema: Filmklassiker
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Alt 15.08.2023, 06:08   #1493  
Peter L. Opmann
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Unversehens habe ich hier einen Film einer Regisseurin: „Zur Sache, Schätzchen“ (1968) von May Spils. Kommt ja nicht so häufig vor – ein ausgesprochen feministischer Film scheint mir das aber nicht zu sein. Vor ein paar Jahren habe ich ihn zum ersten Mal gesehen, jetzt zum zweiten Mal. Damals fand ich ihn trotz vielversprechender Ansätze insgesamt mißglückt; diesmal bin ich, glaube ich, eher dahintergekommen, was das Besondere an diesem Film ist. Man kann ihn wohl als Kultfilm bezeichnen – er war einer der erfolgreichsten des Jahres 1968 und lief sogar bei den Filmfestspielen in Cannes. Einen Eintrag in der französischen wikipedia hat er allerdings nicht. Den Franzosen fällt dazu nur das ein: „En 1968 Uschi Glas se fait connaître par son personnage de Barbara dans la comédie ,Zur Sache, Schätzchen‘ (de), dans lequel elle incarne une stripteaseuse dans un commissariat.“

In „Zur Sache, Schätzchen“ finde ich die 68er Zeit, wie ich sie mir vorstelle, nicht wieder. Es gibt nur ein bißchen Aufbegehren gegen das konservative Bürgertum, und politisches Bewußtsein entdecke ich überhaupt nicht. München-Schwabing war ein anderes Milieu als etwa Berlin. Der Protest drückte sich durch absolute Lässigkeit aus. Werner Enke, eine verkrachte Existenz, lebt das Motto des Feuilletonisten Anton Kuh: „Die Wenigsten wissen, daß auch das Nichtschreiben die Frucht langer und mühseliger Arbeit ist.“ Außerdem nimmt Enke nichts ernst, was ihn am Ende in einen lebensgefährlichen Konflikt mit der Polizei bringt. Wie ich gelesen habe, sollte er ursprünglich aufgrund eins Mißverständnisses von einem Polizisten (Rainer Basedow) erschossen werden; da während der Dreharbeiten aber der Student Benno Ohnesorg in Berlin so starb, machten May und ihr Team einen harmlosen Streifschuß daraus – der freilich besser zum Charakter des Films paßt. Was mich beim ersten Betrachten irritiert hatte, ist die Melancholie, ja Todessehnsucht, die in dem sonst sehr leichten und witzigen Film mehrmals durchkommt und die ich bis dahin nicht mit „1968“ in Zusammenhang gebracht hatte.

Ein wenig erinnert mich das Werk an Helmut Käutners „Unter den Brücken“. Beide Male wird ein authentisches Lebensgefühl vermittelt. „Zur Sache, Schätzchen“ verzichtet jedoch beinahe vollständig auf eine Handlung. Es passiert nicht mehr, als daß Enke von seiner Wohnung aus einen Ladeneinbruch beobachtet, sich aber weigert, der Polizei als Zeuge zur Verfügung zu stehen, was schließlich den Verdacht auf ihn selbst lenkt. Hinzu kommt eine seltsame Romanze mit der erwähnten Uschi Glas, die eigentlich nicht so wirkt, als würde sie auf verpeilte Typen wie ihn stehen, die aber wohl die Gelegenheit nutzt, einmal aus ihrem behüteten Elternhaus auszubrechen. Die Beziehung der beiden wirkt wie ein endloses sexuelles Vorspiel, wobei für mich offen bleibt, ob das der Mir-doch-egal-Mentalität von Enke zuzuschreiben ist oder ob die Zensur damals nicht mehr zuließ. Letztlich ist das (nach wie vor) keine Liebesbeziehung, die mich näher interessiert.

Der Film wurde erst nach und nach zum Erfolg, was wohl daran liegt, daß niemand so etwas erwartet hatte. Uschi Glas hatte schon in größeren Rialto-Filmen mitgespielt, wurde aber erst durch „Zur Sache, Schätzchen“ richtig bekannt. Hauptsächlich Mundpropaganda führte offenbar dazu, daß 6,5 Millionen Kinobesucher ihn sehen wollten. Es muß wohl so sein, daß er eine Reihe von Tabus brach, was heute kaum mehr nachzuvollziehen ist. Und er setzte der Schwabinger Boheme ein Denkmal. Fast alle Szenen wurden an Originalschauplätzen gedreht, und es wurde viel improvisiert, um das damalige Lebensgefühl möglichst genau einzufangen. May Spils, eine Filmverrückte, die zur „Neuen Münchner Gruppe“ gehörte, hatte sich durch ein paar Kurzfilme für diese Produktion empfohlen. Peter Schamoni hatte eine eigene Produktionsgesellschaft, über die er den Film finanzierte. Es war eine Billigproduktion (nur 77 Minuten lang und schwarzweiß, was zu dieser Zeit nicht mehr üblich war). Nach dem Überraschungserfolg hätte Spils wohl eine große Karriere offengestanden. Sie drehte auch ein paar weitere Filme, die nach meinem Eindruck das Erfolgsmuster von „Zur Sache, Schätzchen“ wiederholen sollten, was allerdings nicht klappte. Ihr letzter Film entstand 1983 – da war sie 42 Jahre alt.
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