Thema: Filmklassiker
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Alt 13.08.2023, 06:19   #1487  
Peter L. Opmann
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Ich weiß, manche von Euch mögen keine Biopics. Jetzt kommt aber nochmal eins, weil es indirekt mit meiner Musiksozialisation zu tun hat: „Die Glenn Miller Story“ (1954) von Anthony Mann. Aus der nicht sehr großen Plattensammlung meiner Eltern stach eine Glenn-Miller-Platte heraus – der Rest war Klassik- und Schlagerkram. Ich vermute, die Platte gehörte meiner Mutter, weil mein Vater von Jazz eindeutig nichts hielt. Und ich kann mir gut vorstellen, daß sie sie wegen dieses Films gekauft hat, der in USA, aber auch bei uns das Publikum begeisterte (er erntete einen Oscar für den besten Ton). Miller war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre tot, aber seine Musik lebt ja in gewisser Weise bis heute weiter.

Ich konnte als Kind weder mit Beethovens Fünfter noch mit „Marina“ von Rocco Granata viel anfangen, aber die Glenn-Miller-Platte habe ich gern gehört. Ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß es bessere Jazzstile als Swing und daß es auch bessere Swingbands als das Glenn Miller Orchestra gibt (etwa das von Lionel Hampton). Vielleicht war das aber ein erster Schritt hin zum Rock, den ich ein paar Jahre später entdeckt habe. Einer der ersten Rockmusiker, die mir die Dimensionen dieser Musik erschlossen, war Udo Lindenberg, und, siehe da, der kam eines Tages auch mit einem Glenn-Miller-Stück um die Ecke: „Sonderzug nach Pankow“ (beruht auf Millers „Chatanooga Choo Choo“).

Dieser Film über sein Leben ist ein problematischer Fall. Die Biografie ist völlig glattgebügelt, und doch bringt sie etwas Wichtiges zum Ausdruck: Die Wirkung von Glenn Millers Musik beruht hauptsächlich auf seinen Arrangements, die den Swing für ein weißes Publikum akzeptabel machten. Allerdings wird suggeriert, er habe überhaupt den Big-Band-Sound erfunden; den gab es aber schon lange vor ihm. Weil dieser Film eine lupenreine Aufsteigerstory – fast ohne jegliche Konflikte – ist, läßt er sich sehr gut ansehen – jedenfalls kann ich seine Hits („Moonlight Serenade“, „Pennsylvania 65000“, „Tuxedo Junction“, „In the Mood“) immer noch gut anhören. Miller wird als zielstrebiger Musiker dargestellt, der aber nie Geld hat und am Ende von seiner Frau und einem Bostoner Clubbesitzer zum Weitermachen animiert werden muß. Durch Zufall (sein Leit-Trompeter fällt längere Zeit aus) findet er doch noch seinen charakteristischen weichen Sound, der nicht auf den Blechbläsern, sondern auf einer Klarinette, unterstützt von der Saxophonabteilung, aufbaut.

Die Hauptrolle spielt James Stewart, und er spielt den üblichen grundanständigen großen Jungen, der freilich mit dem echten Glenn Miller – nach dem, was ich gelesen habe – nicht sehr viel zu tun hat. Stewarts Zusammenarbeit mit Anthony Mann ist trotzdem interessant, denn eigentlich hatte Mann mit einer Reihe von Western Stewart ein Stückweit von seinem Saubermann-Image weggebracht („Winchester 73“, „Meuterei am Schlangenfluß“, „Nackte Gewalt“). Dieser Imagewechsel wurde dann von Alfred Hitchcock weitergeführt (siehe „Vertigo“). In der „Glenn Miller Story“ freilich nichts davon. Die patente Ehefrau an Millers Seite ist June Allyson, die auf diese Rolle abonniert war. Der Film ist allerdings so gut gemacht, daß man sich an den Klischees kaum stört.

Interessant ist, daß ein paar echte Jazzstars mitspielen, allen voran Louis Armstrong. Ich kenne daneben Gene Krupa und Ray Conniff (andere echte Jazzmusiker im Cast sind mir kein Begriff). Heute mutet es mich seltsam an, daß diese Musiker, die viel kreativer und besser waren als Miller, in dem Film jeweils nur Auftritte von wenigen Sekunden haben. Unschlüssig bin ich, was von der Darstellung von Schwarzen allgemein zu halten ist. Vielleicht muß man es positiv werten, daß in einer Zeit, als die Rassentrennung in USA gerade auf dem Prüfstand war, hier immer wieder Schwarze zu sehen sind (und nicht bloß in den üblichen Dienerrollen), aber der Jazz ist in diesem Film doch eine weitestgehend weiße Musik, bei der hier und da auch ein paar Schwarze mitmachen. Im übrigen quittiert June Allyson den Auftritt von Louis Armstrong mit einem Stirnrunzeln, sicher stellvertretend für einen Großteil der damaligen Kinozuschauer.

Geändert von Peter L. Opmann (13.08.2023 um 07:29 Uhr)
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